
Ruth Butzen
*1952
Fußball-Schiedsrichterin mit mehr als 2.700 offiziellen Einsätzen
Schon als Jugendliche entdeckte Ruth Butzen das runde Leder für sich. Nachdem sie sich in diversen Funktionen für ihren Heimatverein FC Adler Werth engagierte, fand sie ihre endgültige Bestimmung als Schiedsrichterin, die sie bis in die 1. Bundesliga der Frauen führte.
Kurzbiografie
- Geboren 1952 in Mausbach (seit 1972 Stadtteil von Stolberg)
- 1969-2009 FC Adler Werth 1919 e. V.
- 1973 Erwerb der Übungsleiterlizenz A in der Sportschule Hennef
- 1973-1990 Übernahme einer Jugend- und Frauengruppe beim FC Adler Werth
- 1975 Erwerb der Fachlizenz für Fußball in der Sportschule Hennef
- 1977 Erwerb der Frauen-F-Schein-Lizenz in der Sportschule Duisburg
- 1977-1990 Leitung einer Frauen-Betriebssportgruppe der VEGLA-Werke Stolberg
- 1977-2023 Schiedsrichterin im Fußball-Kreis Aachen
- 1990-1996 Schiedsrichtern in der 1. Bundesliga der Frauen
- 1997-2018 Beisitzerin im Kreisschiedsrichterausschuss Aachen
- 2018-2022 Vorsitzende des Kreisschiedsrichterausschuss Aachen
Ruth Butzen über …
„Mausbach war ein kleiner Ort. Es wohnten damals nur ein paar Hundert Menschen dort. Aber wir hatten als Kinder viele Möglichkeiten. Es gab bis nach dem Ersten Weltkrieg ein Erzbergwerk in Mausbach – das ist auch heute noch bekannt und steht unter Denkmalschutz. Dort haben wir als Kinder immer gespielt. Wir fanden das einfach interessant. Wir sind sogar durch die alten Stollen gekrochen. Die waren zwar mit Brettern provisorisch zugemacht, aber die haben wir weggetan – und sind dann da durch. Wir hatten viel Freiraum und waren jede freie Minute draußen. Es gab ein sogenanntes Birkenwäldchen, wo wir uns wie Affen von Baum zu Baum geschwungen haben. Dann sagte schon mal eine Mutter: ‚Ihr sorgt dafür, dass ich noch einen Herzinfarkt kriege!‘ Aber das war einfach schön. Es war alles sehr einfach.
Die Eltern hatten alle Nutzgärten. Das war ganz normal. Und die Häuser hatten, wie man so schön sagt, offene Türen. Wir Kinder sind überall rein und raus, die Erwachsenen saßen abends nach der Arbeit oft zusammen im Garten. Mein Vater hat samstags immer im Garten gearbeitet, und wenn er dann fertig war, saßen plötzlich die Nachbarn da. Natürlich waren das nicht viele Leute – da stand hier mal ein Haus, da mal eins. Erst in den 1960er-Jahren wurde etwas mehr gebaut. Und wenn ich heute bedenke, wo wir früher gespielt haben – das ist jetzt ein Industriegebiet. Da fragt man sich schon: Wo sollen die Kinder heute eigentlich noch hin?
Sport gab es im schulischen Bereich gar nicht. Unsere Lehrer hatten den Krieg miterlebt, viele waren durch den Krieg geprägt – sehr ernst, und das haben wir Kinder zu spüren bekommen. Ich erzähle das manchmal in der Familie: Im dritten Schuljahr waren wir 51 Kinder in einer Klasse – und da konntest du eine Stecknadel fallen hören. Ich habe auch noch die Zeit erlebt, in der Lehrer schlagen durften. Einer hatte immer einen Bambusstab dabei, das zischte richtig. Wenn etwas außerhalb der Linie passierte, musste man nach vorne kommen – und bekam eine Tracht Prügel. Zum Glück wurde das später abgeschafft. Mit dem Sport bin ich erst später richtig warm geworden, da war ich schon Jugendliche. Ich hörte, dass es im Nachbarort die Möglichkeit gab, ein bisschen Leichtathletik zu machen. Das war für uns etwas ganz Neues. Ich bin mal hingegangen, habe es mir angeschaut, fand es schön – und wurde direkt angesprochen: ‚Wenn du möchtest, kannst du mitmachen.‘ Das war alles noch gar nicht richtig organisiert.
In unserem Ort selbst gab es zunächst gar nichts an Sport. Aber ich erinnere mich gut: Anfang der 1960er-Jahre wurde dann eine Fußballmannschaft gegründet. Man muss sagen: Die 1950er-Jahre waren die ersten Jahre nach dem Krieg – viel war zerstört, und die Menschen hatten andere Sorgen, als Sport zu treiben. Vor dem Krieg hatte es in Mausbach schon einmal eine Fußballmannschaft gegeben, aber das war durch den Krieg jahrelang nicht mehr möglich. Ich bin in einer Nachbarschaft groß geworden, in der es – außer meiner älteren Schwester – keine anderen Mädchen gab. Also habe ich mit den Jungs gespielt. Wir haben wirklich auf der Kuhwiese gespielt. Was wir damals „Ball“ nannten – wenn ich heute die teuren Fuß-, Hand- oder Basketbälle sehe, denke ich: Davon hätten wir geträumt. Bei meiner Oma – meine Eltern stammten beide aus der Eifel – hatte ich mal einen Ball, das war für mich der erste Kontakt überhaupt. Wir hatten ein großes Haus, einen großen Hof, und ich war jede freie Minute draußen. Ich habe mit dem Ball gespielt – aber von Vereinen war da noch nichts zu sehen. Das kam erst später. In Mausbach gab es nur die Kuhwiese.“
„Spielerinnen, die ich richtig wahrgenommen habe, das waren die ersten Verbandsmannschaften wie Bettina Wiegmann, Tina Theune, das waren schon Spielerinnen, vor denen ich Respekt hatte. Als Schiedsrichterin habe ich dann später wirklich die Elite kennengelernt, wie Birgit Prinz beispielsweise und unsere heutige Bundestrainerin. Das waren alles Spielerinnen aus meiner Zeit, als ich in der ersten Frauenbundesliga als Schiedsrichterin aktiv war. Das muss man schon sagen, das war toll. Irgendwann wurde vom Kreis direkt die Landesliga eingerichtet, das dauerte ein, zwei Jahre, dann gab es eine Verbandsliga. Plötzlich war es genau so gestaffelt wie bei den Männern: Von Kreis-, Bezirksliga, Landesliga bis Verbandsliga. Das hat sich im Laufe der Jahre angepasst, da kam man auch nicht mehr drum herum, weil andere Landesverbände uns da weit voraus waren. Wenn ich zum Beispiel Bayern nehme – ich hatte private Verbindungen dorthin – da war man im Frauenfußball schon einen Schritt weiter als bei uns. Der Westdeutsche Fußballverband kam noch später, es dauerte vier Jahre, bis es eine Frauen-Regionalliga gab. Die war dann erst mal die höchste Klasse im Frauenfußball. Das alles hat sich über viele Jahre entwickelt.
1971 gab es den allerersten Frauenfußballlehrgang in der Sportschule Hennef. Da habe ich sofort unserer Geschäftsführerin gesagt: ‚Rita, anmelden!‘ Sie hat mich dann angemeldet, und ich fand das toll. Wir hatten ja einen Verbandstrainer, den Herrn Benzlaff, der war geschult, und ich fand das richtig klasse. Da spukte schon wieder in meinem Kopf: So etwas würde ich auch gerne machen, als dann die Lehrgänge ausgeschrieben wurden. Unsere Geschäftsführerin war die einzige, die damals die amtlichen Mitteilungen auf Papier bekam. Da stand, wann und wo welcher Lehrgang stattfand, und wenn ich das zeitlich einrichten konnte – mein Chef war da überhaupt kein Problem, ich bekam sogar Urlaub – dann konnte ich die Lehrgänge besuchen. Treu und brav fuhr ich erst mit dem Bus zum Bahnhof, vom Bahnhof nach Hennef, und von dort zu Fuß zur Sportschule. Das war nicht zu vergleichen mit heute.“
“Zuallererst habe ich mit Jugendspielen angefangen. Das waren Jungs, denn damals gab es ja fast überhaupt keine Mädchenmannschaften. Nach einigen Monaten habe ich dann auch Frauen geleitet. Und durch Zufall bin ich dann in den Herrenbereich reingerutscht. Einmal, sonntagmorgens um 11:00 Uhr, war ich am Platz, wo die Reserve-Mannschaft aus Mausbach spielte. Es war kein Schiedsrichter da, und sie kannten mich alle. Da sagten sie: „Du bist doch Schiedsrichterin, kannst du das Spiel nicht leiten?“ Ich antwortete: „Ich weiß ja nicht, ob ich das darf.“ Sie riefen den Obmann an, der für die Ansetzung zuständig war. „Ja, wenn sie meint, dass sie das kann, dann soll sie das tun.“ Ich habe das Spiel geleitet und bekam sehr viel positiven Zuspruch von beiden Mannschaften. Das wurde an den damaligen Schiedsrichterausschuss weitergeleitet, und von da an wurde ich auch bei den Herren eingesetzt.
Viele kannten mich und wussten, dass ich kein Kind von Traurigkeit bin und auch mal den einen oder anderen Spruch draufhabe. Ein älterer Mann in der Sparkasse sagte mir noch: „Waren Sie nicht mal Schiedsrichterin?“ Ich antwortete: „Ja.“ Er sagte: „Vor 40 Jahren haben Sie mich auch mal geleitet. Sie waren immer streng, aber gerecht.“ Das lag mir. Wenn ich heute Schiedsrichterleistungen als Beobachterin sehe, denke ich manchmal: Mein Gott, bei mir wäre das ja längst abgepfiffen worden. Ich war kleinlich, aber damit habe ich mir den Respekt erarbeitet.”
„Anfangs war man sehr skeptisch, besonders als ich den Sprung vom Kreis- in den Fußballverband gemacht hatte. Da hieß es: ‘Mein Gott, da schicken die uns eine Frau. Sind die noch normal?’ Da kamen viele Worte und Sprüche, die man heute als tief unter die Gürtellinie bezeichnen würde. Damals musste man einfach damit klarkommen. Als Frau konnte man nur durch Leistung überzeugen. Kolleginnen bei den Lehrgängen haben mir das genauso bestätigt: ‘Ja, mir ist das genauso ergangen.’
Man muss auch bedenken, dass ich beim ersten DFB-Frauenlehrgang mit Abstand die Älteste war. Da bin ich ehrlich gesagt ein Stück weit stolz darauf, Egidius Braun zu verdanken. Mit Trainern hatte ich sehr gute Erfahrungen. Die sagten mir immer wieder, dass sie meine Regelkenntnis schätzten, dass ich regelsicher war und es nichts zu meckern gab – auch wenn mal ein Spiel nicht so gut lief. Aber sie wussten immer, dass ich mein Bestes gebe.
Mit Linienrichtern fing es in der Bezirksliga an. Dann bekam ich Jungschiedsrichter zugeteilt, das waren aber auch nur Jungs, Mädchen gab es ja nicht. Im ersten Jahr in der Frauen-Bundesliga hatte ich Männer an der Linie. Zwei von denen, die damals bei mir waren, schwärmen heute noch von der Zeit. Es war eine sehr schöne Zeit. Später kamen auch Frauen dazu, aber die Zusammenarbeit mit den Männern war schon gut. Probleme beim Umziehen gab es nicht, weil man sich vorher absprach: ‘Ihr geht den Platz besichtigen, ich ziehe mich in der Zwischenzeit um’ oder ‘Ich schreibe den Spielbericht, ihr könnt schon duschen.’
In kalten Wintern ließ ich die Männer meist zuerst duschen, weil sie oft durchgefroren waren. Ich erinnere mich an einen Schiedsrichter aus dem Kreis Aachen, bei dem ich in der Verbandsliga an der Linie gehen durfte. Da wurde die Zusammensetzung der Gespanne bekannt gegeben, und als ich als Frau ankam, meinte der Vorsitzende: ‘Jetzt bist du ganz bekloppt geworden. Du glaubst doch nicht, dass wir dich mit den Männern an die Linie schicken.’ Ein anderer Schiedsrichter, Schiri-Schein in der Hand, sagte: ‘Entweder nehme ich die mit an die Linie, oder du kannst dir das an dein Scheißhaus hängen.’ Wortwörtlich. So wurde ich dann mitgenommen.
Von da an ging alles fließend ineinander über. Es kam eine Frau aus einem anderen Landesverband in unseren Kreis, dann waren wir zwei und wurden schon mal gemeinsam eingesetzt.“
„Ohne die Unterstützung und ohne die Zustimmung der Männer hätte ich es auch nicht gemacht. Vor vielen Jahren gab es einen Vorsitzenden, der wollte mich eigentlich gar nicht im Schiedsrichterausschuss haben. So als Handlanger, als Mädchen für alles, ja, aber nicht als gewähltes Mitglied. Dann haben die Männer mir zugesprochen. Die männlichen Schiedsrichterkollegen sagten: „Stell dich zur Wahl. Du wirst gewinnen und wir unterstützen das.“ Das ist auch so gekommen. Ich habe mich dann zur Wahl gestellt, hatte die meisten Stimmen und sehr große Unterstützung von den männlichen Kollegen. Ich kann sogar sagen: Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich es nicht gemacht. Dann war ich 25 Jahre Beisitzerin. Ich habe das sehr gerne gemacht. Als es dann einen Todesfall im Kreisvorstand gab, musste ganz schnell und kurzfristig umbesetzt werden. Da habe ich gesagt: „Ich mache es für eine Periode, ich gehe auf die 70 zu, und irgendwann muss es auch gut sein.“ Das habe ich dann auch so umgesetzt. Ich muss sagen: Bei den jungen Leuten hat sich einiges verändert. Die machen manches anders, das liegt auch am Generationsunterschied. Für mich ist das absolut in Ordnung. Ich gehe trotzdem zu den Weiterbildungen, ob online oder wenn wir uns treffen – das ist für mich kein Thema. Aber ich bin froh, dass es jetzt ruhiger ist.“