Christian Rudolph
*1965
Weltmeister und heutiger Bundestrainer im Dreibandbillard
Als erster Deutscher wurde Christian Rudolph Gesamtweltcupsieger und Einzelweltmeister im Dreibandbillard. In seiner Paradedisziplin erspielte er sich auch vier WM-Titel mit dem Team und machte damit Viersen – das „dreibändige Wimbledon“ – zu seinem sportlichen Wohnzimmer.
Kurzbiografie
- Geboren 1965 in Köln
- Studium der Anlagen- und Verfahrenstechnik an der Universität zu Köln
- 1976-1986 Kölner Billard Club
- 1986-1991 Düsseldorfer Billardfreunde 1954
- 1991-2006 BF Horster-Eck Essen
- 1993, 1994, 1997, 2002 Mannschaftsweltmeister 3-Band
- 1996 Weltmeister UMB
- 1997 Weltcup Gesamtsieger
- 2010-2020 Bottroper Billard Akademie
- Seit 2020 BC Weywiesen 24/09
- Honorar-Trainer der Deutschen Billard Union
Christian Rudolph über …
„Als ich geboren wurde, da existierte der Billardsaal schon. Das Problem ist, dass die Billardhöhe es nicht gestatte, einen Fünfjährigen an den Tisch zu lassen, um da spielen zu können, der kommt da einfach nicht dran. Mittlerweile machen das ein paar Billardverrückte schon mal, dann stellen die einen Bierkasten oder irgendwas hin, damit die dann ein wenig an in die Tischhöhe kommen.
Ich weiß noch, wie es aussah. Wir hatten zwei große Räume, einen Raum, der war der öffentlich, da standen sieben Billardtische, alles Karambolage, also keine Löcher in dem Tisch. Nein, mein Vater wollte das partout nicht haben, dieses Lochbillard. Und dann hatten wir einen Klubraum, wo drei große Turniertische standen. Und ich weiß noch, dass ich da mit der Straßenbahn gefahren bin. Es waren vier Kilometer, wir wohnten in Lindenthal, mit einem Mal umsteigen. Und ich weiß nicht, wann konnte ich das erste Mal spielen? Mit sieben, acht Jahren denke ich. Aber ich war auch schon vorher da, das auf jeden Fall. Ich fand es immer toll, wie die Kugeln sich so über den Tisch bewegten. Mein Vater war sehr eleganter Spieler, dem zuzugucken hat mich schon beeindruckt.
Das Publikum, was bei uns im öffentlichen Bereich gespielt hat, war wirklich total gemischt. Das waren Studenten. Rufus Beck hat zum Beispiel bei meinen Vater Unterricht genommen, nachher dann auch bei mir. Das waren aber auch viele Immigranten, die dann auch bei uns gespielt haben. Also das ging so, wenn ein Tisch frei war, dann konnte man sagen: ‚Da würde ich gerne in Spielen.‘ Dann bekam man eine Kugel plus die Queues, die Billardstöcke. Die stehen dann an Ständern, da kann man sich einen raussuchen, der einem gefällt. Dann bekam man ein Stück Kreide. Und dann wurde das minutengenau abgerechnet. Also wenn man jetzt nur 50 Minuten spielen wollte, musste man nur 50 Minuten zahlen, wenn man drei Stunden gespielt hat, dann musste man drei Stunden zahlen.
Die Tische wurden regelmäßig gereinigt. Das ist sehr, sehr wichtig. Um möglichst die Reibung zwischen Kugel und Banden und Tuch gering zu halten, wurden die auch abgesaugt. Die Tische sind auch geheizt, da ist eine fünf Zentimeter dicke Marmorplatte drunter. Die sind also sehr schwer. Die Tische wurden, um auch die Feuchtigkeit und damit den Staub, der sich auch an Tuch anhaftet, möglichst gering zu halten.
Mein Vater ist das Jahrgang 1918 gewesen und ist leider viel zu früh verstorben. Also 1959 ist der Billardsaal eröffnet worden. Und 1986 wurde mein Vater dann schwer krank, hatte einen Gehirntumor, ist dann auch im September 1986 verstorben. Meine Schwester Sabine und ich, wir haben den dann noch weitergeführt, aber sie studierte Architektur und ich mit 21 fühlte mich da noch nicht zu fähig, den Billardsaal zu übernehmen. Und deswegen haben wir denn dann auch verpachtet. Den gab es dann noch sehr lange. Es war eine Zehn-Jahres-Pacht, den gab es dann also noch länger danach. Aber dann hatten wir nichts mehr damit zu tun. Der hat sich dann aber auch verändern, dann kam Lochbillard auch dazu.“
„Ich bin natürlich geprägt durch meinen Vater und seine Erzählungen. Er kam ja aus Essen. Da gab es vor dem Zweiten Weltkrieg schon 600 Billardtische alleine in Essen. Was wirklich viel ist, die sind halt größtenteils zerbombt worden. So ist er groß geworden, und das war halt seine Liebe. Und das hatte auch so etwas Ästhetisches. Ich sage mal die Fachsprache im Billard ist das Französisch, Karambolage, französisches Billard, das hatte auch so etwas Feines. Die haben früher sogar noch mit Smoking-Jacken gespielt.
Um die Jahrhundertwende also 1910/1920. Da gab es jede Menge Profis in Amerika, die vor Hunderten, wenn nicht gar vor Tausenden von Zuschauern gespielt haben. Und die konnten da gut von Leben, sind sogar teilweise reich geworden. Das ging dann wieder weg mit der Rezession. Aber so ist mein Vater geprägt worden. Und für mich war dann natürlich auch Karambolage eine Art Königsbillard, das, was ich machen wollte.
Poolbillard kannte ich nur aus der Kneipe. Dann war es natürlich schlechtes Material und verraucht und so. Das war für mich nicht interessant. Nachher habe ich dann auch mit der Zeit Pool im Sportbetrieb kennengelernt. Ich hatte mal ein Lehrgang von dem damaligen Bundestrainer Rene Fingerhut, der war mehrfacher Weltmeister im Kunststoßen. Da muss man mit ganz viel Wirkung Positionen auf dem Tisch versuchen zu lösen. Dann schlägt die Kugel auf dem Tisch so einen Haken, schlägt Bögen und so weiter. Und da waren auch zwei Poolspieler dabei. Ein Trickstoß Europameister und noch ein guter Spieler. Und die haben mich dann noch mal mitgenommen zum Bundesliga-Poolspiel. Und da habe ich dann mal gesehen, was die auch beherrschen. Und wenn man das als Sport betreibt, dann ist das genauso wertvoll wie unser Karambolage.
Ich hatte dann auch noch einmal glücklicherweise zur Eröffnung von drei Billardsälen im Raum Köln die Gelegenheit, eine Vorführung zu machen. Da war einer der besten Billardspieler der Welt Earl Strickland aus Amerika. Da habe ich eine Vorführung auf dem Dreibandtisch gemacht und er auf dem Pooltisch. Und da habe ich dann erst einmal gesehen, was er draufhat. Also das war schon beeindruckend. Jetzt hat das den gleichen Stellenwert wie Karambolage auch.“
„Das Highlight war, als ich zu Horster-Eck in Essen gewechselt habe. Das war halt der Topverein zu der damaligen Zeit in der Bundesliga. Und die wollten mich haben. Da haben wir dann auch sehr viele Deutsche Meisterschaften und Pokalsiege mit geholt, mit dem Verein in Essen. Das war dann in der Mannschaft und im Einzel. Dann ging es relativ spät los. 1990 habe ich im Dreiband das erste Turnier auf nationaler Ebene geholt. Das war ein Einladungsturnier, aber da waren alle Spitzenspieler da. Auch Dieter Müller, der dürfte dem einen oder anderen noch bekannt sein. Er hatte früher langen Haare, war natürlich ein Weltklassespieler, auch damals bei den Profis.
Deutscher Meister bin ich das erste Mal geworden 1994, da war ich 29, in Backnang bei Stuttgart.
Ich bin schon 1993 Weltmeister geworden, da gab es eine Triathlon-Weltmeisterschaft. Ich habe Dreiband gespielt, die beiden anderen haben andere Disziplinen gespielt. Ich war halt in der Mannschaft sehr erfolgreich. In den 90er-Jahren bin ich insgesamt fünfmal Weltmeister geworden und 2002 dann noch einmal im Zweierteam-Dreiband auch noch mal.
Also trainiert habe ich bei uns im Billardsaal. Wir hatten zu Hause keinen Billardtisch. Das haben auch nicht viele, weil so ein Billardtisch, der hat halt Außenmaße, die sind so 3,10 Meter x 1,70 Meter und dann muss man drumherum noch jeweils 1,50 Meter haben. Also man braucht 6,0 Meter x 4,50 Meter mindestens. Dann hätte der bei uns im Wohnzimmer gestanden und dann wäre nicht viel Platz für andere Sachen gewesen. Das wollte meine Mutter dann nicht. Aber ich habe bei meinem Vater im Klub im Billardsaal trainiert. Manchmal war ich trainingsfleißig, insgesamt galt ich jetzt nicht so als der Fleißigste. Ich hatte halt viel Talent. Das hat gereicht, um immer der Beste im Dreiband in meinem Alter zu sein. Ich hatte dann Phasen, wo ich richtig ehrgeizig war und wo ich dann halt auch viel gespielt habe. Aber dann waren auch wieder Phasen, wo ich eigentlich zu wenig gemacht habe. Leider habe ich nicht genug Ausgleichssport gemacht.“
„Dass ich mich mehr mit der mentalen Seite beschäftigt hatte, das kam dann Anfang 20, wo ich dann merkte, manchmal stehe ich mir selber im Weg. Beim Billard gab es früher kein Zeitlimit. Man konnte abstoßen, wann man wollte. Man konnte sich die Zeit nehmen, die man wollte, aber je mehr Zeit man hat, desto mehr negative Gedanken kommen auch auf, gerade wenn man unsicher ist. Das werde ich nie vergessen, dann hatte ich einen Mannschaftskollegen Uwe Matuschak, der hatte mir ein Buch empfohlen „Tennis und Psyche“. Da war ganz einfach dargelegt: Selbst-Eins, Selbst-Zwei – das eine ist das Bewusstsein, der Verstand und das andere ist das Bauchgefühl. Die müssen halt harmonieren, um Höchstleistungen zu bringen. Dann kommt man in einen, heute würde man sagen, Flow rein. Und da habe ich dann angefangen mit autogenem Training und Jacobsen-Muskelentspannung und so. Da habe ich mich halt mehr und mehr mit beschäftigt, auch andere Bücher gelesen. Das wurde dann ziemlich intensiv, wie ich mich mit der mentalen Seite beschäftigt habe, was mir sehr geholfen hat. Gerade autogenes Training konnte ich dann auch während der Partie anwenden. Dadurch habe ich viele Partien und Turniere gewonnen.“
„Leider ist Karambol-Billard, Dreiband-Billard gerade in Deutschland nicht so populär. Viele kennen es gar nicht. In Belgien und Holland sieht das schon anders aus. Und dann ist es sehr schwer, um überhaupt Räumlichkeiten zu bekommen. Wie zum Beispiel in Köln, die kann man dann gar nicht bezahlen. Jetzt in anderen Städten, da ist das für die kleineren Städte schon interessanter. Dann ist das für die auch eine Werbung. Wir haben zum Beispiel in Bad Wildungen seit gefühlten zehn Jahren die Deutsche Meisterschaft. Da ist die Stadt dann halt auch interessiert. Da kommen dann ein paar Hundert Sportler hin. Aus sämtlichen Billardarten, Pool, Snooker, Karambol, Kegelbillard, kommen die Sportler dahin.
Und so war es dann halt auch bei der Einzel-Weltmeisterschaft in Hattingen, die ich 1996 Gewinnen durfte. Da ist man an eine relativ kleine Stadt herangetreten, um da günstig die Räumlichkeiten zu kriegen oder vielleicht sogar umsonst, das weiß ich nicht. Aber das geht ja dann durch die Presse und auch international. Und dann kommt die Stadt Hattingen auch mehr ins Gespräch, als das normal der Fall ist. Deswegen sind halt oft kleinere Städte beliebt, bei Billard-Großereignissen wie zum Beispiel die Weltmeisterschaft in Viersen.
Die ist jetzt seit 1990 immer dort gewesen, Mannschaftsweltmeisterschaft in Zweier-Teams. Und in der Billardwelt kennt jeder Viersen. Es ist richtig populär geworden. Das ist wie Wimbledon im Tennis, das ist Viersen bei uns. Viersen kennt hier jeder. Da will jeder spielen, da will jeder hin. Da ist jetzt auch nur Platz, vielleicht für 400 Leute. Aber an den Finaltagen ist es voll und eine super Atmosphäre. Da finden auch Konzerte statt, also eine super Akustik. Also Viersen kennt jeder. Das ist natürlich dann auch für die Stadt interessant.“
„Es ist wirklich erstaunlich, wie unterschiedlich populär unser Karambolage oder Dreiband-Spiel in unterschiedlichen Ländern ist. Also in Deutschland leider nicht so, wie ich mir das wünsche. Aber wo es wirklich unglaublich ist, ist Korea. Gerade im letzten Jahr hat es da einen Hype bekommen, aber auch in Kolumbien. Ich war Ende der Neunziger das erste Mal in Kolumbien, da hat man mir gesagt, bei 40 Millionen Einwohnern gibt es 200.000 Karambolage-Billard-Tische, 200.000, das ist unvorstellbar. Und wir waren auch Stars. Wir haben ja auch Schaukämpfe gemacht und so weiter. Wir wurden ja echt behandelt wie Fußballstars oder so. Da war ein Sponsor von den Veranstaltungen, das war über mehrere Jahre eine Brauerei, eine der größten in Südamerika Costeña. Und da waren auf der Bierdose Billardspieler von uns abgebildeten, zum Beispiel der Däne Lionel. Das wäre hier unvorstellbar. Und ich war auch mal in einer Kleinstadt in Kolumbien, wo ich einen Schaukampf gemacht hatte, auf der Titelseite dann abgebildet, gibt es hier nicht. Außer in Viersen, da war ich auf einem kostenlosen Magazin, da war ich auch mal auf der Titelseite, weil ich da halt so viele Jahre gespielt hatte. Und in Korea, da war es noch extremer.
Also in diesen Vergnügungsvierteln, da habe ich das Gefühl, in jedem dritten Haus ist ein Billardsaal. Da sieht man dann immer so Neonreklamen, da sind dann so bunte Ringe und Kreise. Und wenn man das sieht und da reingeht, dann findet man halt einen Billardsaal. Und nicht, dass man denkt, da sind viele Pool-Tische, das sind nur Karamboltische, alles Billardtische ohne Löcher. Einmal war ich in Korea, ist jetzt auch schon einige Jahre her, da war der beste Koreaner, der hat mich da so ein bisschen mitgenommen und in seinem Verein da waren 15 Billardtische, 14 Dreibandtische und ein Pooltisch. Alle Tische waren belegt, nur einen Tisch war frei, das war der Pooltisch. Es war eine komplett andere Welt. Da gibt es auch bestimmt 100.000 Billardtische in Korea. Da war ein Turnier, da hatten die zwei riesengroße Ü-Wagen, mit bestimmt 50 Leute vom Fernsehen. Mit acht Kameras haben die zwei Tische aufgenommen. Damals gab es zwei Fernsehsender, die rund um die Uhr Billard übertragen haben. Also ein sehr starkes Interesse, wirklich. Früher haben die Leute in Korea auch viel gespielt, aber nur so just for fun. Aber mittlerweile, weil halt auch damit Geld zu verdienen ist, ist das ein richtiger Sport geworden.“