


Cornelia “Conny” Dietz
*1962
Paralympicssiegerin (Goalball), Welt- und Europameisterin (Tor- und Goalball)
Aufgewachsen im schwäbischen Leibertingen, entdeckte Cornelia Dietz ihre schwarz-gelbe Liebe zum Revier. Im Tor- und Goalball reüssierte die Herzensdortmunderin, die sechsmal an den Paralympics teilnahm, einmal Gold gewann und das deutsche Team 2008 als Fahnenträgerin in das Pekinger „Vogelnest“ führte.
Kurzbiografie
- Geboren 1962 in Meßkirch, Kreis Sigmaringen (Baden-Württemberg)
- 1977-1980 Ausbildung zur Bürokauffrau, Telefonistin, Steno-/Phonotypistin
- 1980-2006 Behinderten-Sportverein Stuttgart
- 1980-2018 Diverse Positionen bei der Deutschen (Bundes-)Post / Telekom AG
- 1984-2008 Sechs Teilnahmen als Goalballerin an den Paralympics (mit Ausnahme der Spiele 2000)
- 1985 und 2005 Europameistern im Goalball
- 1989, 1991 und 1999 Europameisterin im Torball
- 1996 Paralympicssiegerin im Goalball
- 1999-2005 Leitung der Abteilung Tor-/Goalball im Deutschen Behindertensportverband
- 2001 und 2004 Weltmeisterin im Torball
- 2007 Weltmeisterin im Goalball
- 2011-2016 ISC Viktoria Kirchderne
- Seit 2017 BV Borussia Dortmund 1909 e. V.
- Silbernes Lorbeerblatt
“Conny” Dietz über …
„Ich bin natürlich als Kind mit Fußball aufgewachsen. Das war auch damals schon der wichtigste und bekannteste Sport, dann kamen Turnen und Leichtathletik im Schulsport.
Ich habe in der Freizeit immer mit den Jungs aus dem Dorf Fußball gespielt – so gut es eben vom Sehen her ging. Und ja, ich wollte halt auch immer dazugehören und immer dabei sein.
Durch die Landwirtschaft hatten wir ja auch ständig Feldarbeit zu bewältigen. Die hat unsere Mutter mit uns Kindern und dem Nachbarn, der schon etwas älter war, gemacht, denn unser Vater war arbeiten. So war ich also schon immer in Bewegung. Ich habe auch körperlich was gemacht, habe Sport getrieben – und das kam mir rückblickend in der Entwicklung zugute.
Ich wurde ganz normal, man würde heute sagen inklusiv, beschult – allerdings ohne jegliche Hilfsmittel. Vor der Einschulung mussten meine Eltern mit mir zum Gesundheitsamt, um testen zu lassen, ob ich überhaupt auf eine Regelschule gehen kann. Das weiß ich noch. Da war ein Lehrer, der hat etwas an die Tafel gemalt, und ich habe das dann nachgemalt – so gut ich es eben vom Sehen her erkennen konnte. Malen und Zeichnen hat mir immer Spaß gemacht, deshalb fiel mir das nicht schwer. Und dann war das okay. Dann gab er das Okay: ‚Das Mädchen kann bei uns auf die Schule gehen.‘
Der damalige Rektor war natürlich auch ein Förderer. Der mochte mich als Kind und sagte: ‚Ja, das muss man doch unterstützen. Du musst helfen.‘
Aber im Schulalltag war es dann oft so, dass die Lehrer, wie ich heute sagen würde, mit der Situation auch überfordert waren. In der Praxis war das so: Die Lehrer schrieben etwas an die Tafel, und wir sollten das abschreiben. Also bin ich immer wieder aufgestanden und von meinem Platz zur Tafel gelaufen – so 30 Zentimeter davor, damit ich es lesen konnte. Ich habe es mir dann eingeprägt, bin zurück an meinen Platz gegangen und habe versucht, es aufzuschreiben. Natürlich habe ich dabei oft die Hälfte vergessen. Also bin ich wieder aufgestanden. Meine Mitschüler waren natürlich genervt, weil ich ihnen im Weg stand. Und irgendwann hatte ich dann keine Lust mehr. Dann habe ich das einfach nicht mehr gemacht, bin sitzen geblieben und habe es irgendwann später von den Mitschülern abgeschrieben.“
„Wir hatten einmal in der Woche Training, und das war’s dann. Mehr habe ich zu dem Zeitpunkt auch nicht gemacht. Früher als Kind war ich durch die Internatsverköstigung immer sehr schlank, aber durch den Internatsaufenthalt, wenig Sport und viel Sitzen habe ich natürlich ein paar Kilo zugenommen. Mit dem Joggen habe ich erst angefangen, als ich schon ungefähr 30 war.
Als ich meine erste Arbeitsstelle antrat, habe ich die Kollegen gefragt: ‚Wo kann man hier in Stuttgart als sehbehinderter Mensch Sport machen?‘ Einer kannte den Verein und fragte den Vorsitzenden Wolfgang Rochhausen. Er war früher selbst ein aktiver Behindertensportler, hatte eine Beinprothese und kam aus der ehemaligen DDR. Er war in den Westen geflüchtet und begann dort, Behindertensportnetzwerke aufzubauen. Er knüpfte Kontakte zu Vereinen in Deutschland und Europa. Wir fuhren zu Leichtathletik-Sportfesten nach Dänemark oder Italien.
Der Abteilungsleiter, der auch blind war, hieß Edgar Knecht. Den habe ich so kennengelernt und auch die Gruppe. Dann begann ich zu trainieren, und er sagte: ‚Wir haben auch Turniere!‘ Es gab immer Einladungen zu Freundschaftsturnieren. Einmal im Jahr veranstalteten wir ein Turnier und luden Vereine ein, die uns dann europaweit ebenfalls einluden. Italien, Frankreich, Schweiz, Österreich und Belgien waren die Hauptreiseziele. Am Wochenende sind wir dann immer hingefahren: Freitag Anreise, Samstag Turnier, Sonntag Abreise. Das war immer eine schöne Zeit.“
„Die Berichterstattung der Medien war früher eher minimal. Bei den Weltspielen der Behinderten in New York gab es einmal eine Sondersendung am Sonntagnachmittag im ZDF, die etwa eine Stunde dauerte. Dabei stand aber nicht der Sport im Vordergrund, sondern eher die Behinderung und die gesundheitlichen Einschränkungen. Der Fokus lag darauf: ‚Das sind jetzt Menschen, die machen halt ein bisschen Sport, und darüber wollen wir mal berichten.‘ Und es wurde betont, wie toll das alles sei.
Als ich dann in Peking an meinen letzten Paralympischen Spielen teilgenommen habe, betrug die Medienberichterstattung schon rund 100 Stunden. Dort wurde der Sport zunehmend in den Fokus gerückt, eben unter der Prämisse, dass es Sport von Menschen mit Behinderung ist – aber auf höchstem Leistungsniveau. Man kann das ohnehin nicht mit dem Sport von nichtbehinderten Menschen vergleichen; man muss das getrennt und differenziert betrachten.
„Nach 1992 hatte ich tatsächlich auch mal eine kurze Pause eingelegt und bin dann 1993 wieder in die Nationalmannschaft eingestiegen. Da war eine Spielerin zurückgekommen, und dann kam noch eine zweite sehr starke Werferin dazu, sodass wir 1994 bei den Weltmeisterschaften in Colorado schon mit einer deutlich leistungsstärkeren Mannschaft antreten konnten. Wir haben dort tatsächlich die Vizeweltmeisterschaft gewonnen. Das war für uns ein großer Erfolg – damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Umso größer war die Freude, weil auch die Qualifikation für Atlanta damit verbunden war.
Und in Atlanta – da haben wir dann als Mannschaft alle noch mal einen Zacken zugelegt und eine Schippe draufgelegt. Das war auch für mich persönlich das Turnier meines Lebens. Ich habe als Center gespielt, also die Mittelposition übernommen, und ich habe mich von Spiel zu Spiel immer mehr reingespielt. Ja, das war schon klasse.
Wenn man die allgemeine Entwicklung und den Stellenwert von Goalball innerhalb des Verbandes betrachtet, dann war das so, dass wir dort nicht zu den Favoriten gehörten – aus Verbandssicht. Wir waren entweder gut oder es lief eben nicht so gut. Also nicht konstant. Dementsprechend hatten wir eher so eine Außenseiterrolle. Das hat sich erst mit dem Gewinn der Goldmedaille in Atlanta geändert. Da hat auch der Verband wahrgenommen: Die Goalballerinnen können ja was, die können Medaillen gewinnen. Und ja, das war schon gut. Mich hat das persönlich auch gefreut, dass dann auch seitens des Verbandes Anerkennung kam.
Die öffentliche Meinung hat sich ähnlich entwickelt wie die mediale Berichterstattung. Durch den Gewinn der Goldmedaille wurde plötzlich mehr berichtet. Es gab auch mal einen Artikel in der Zeitung oder man wurde zu einer Sendung eingeladen. Aber wenn die Spiele vorbei waren, flachte das wieder ab. Wir waren eben eine Mannschaftssportart – da gibt’s nur eine Medaille. Wenn man sich dagegen Leichtathleten, Judoka oder Schwimmer anschaut – die können in verschiedenen Kategorien antreten und mehrere Medaillen gewinnen. Da lag das Medieninteresse eben stärker.“
„In meiner ersten Zeit in Dortmund habe ich natürlich auch immer ein bisschen den BVB verfolgt. Ich hatte aber keine Dauerkarte zu dem Zeitpunkt, sondern bin halt dann ins Stadion gegangen, wenn es möglich war. Tatsächlich war es so, dass mein eigener Sport für mich oberste Priorität hatte. Das hat sich erst später geändert, als ich mit meiner internationalen Karriere aufgehört habe – dann habe ich mich mehr dem Fußball gewidmet.
Und tatsächlich hat mir die Goldmedaille zu einer Dauerkarte bei Borussia Dortmund verholfen. Das ist auch noch mal eine ganz eigene Geschichte. Nach dem Gewinn der Goldmedaille in Atlanta hatte eine Arbeitskollegin organisiert, dass ein örtlicher Radiosender zu mir nach Hause kam und ein Interview machte. Sie fragte: ‚Als Sportlerin hast du doch jetzt schon alles erreicht. Was wäre denn noch so dein Traum?‘ Und dann habe ich ganz schlagfertig gesagt: ‚Also ich sag mal so: Es ist einfacher, bei Olympia eine Goldmedaille zu gewinnen, als bei Borussia Dortmund eine Dauerkarte zu bekommen.‘
Das hat der damalige Geschäftsführer Walter Maaß im Radio gehört – und dann tat sich lange Zeit nichts. Aber ein Kollege bei der Telekom sprach mich nach drei, vier Wochen an und sagte, ich solle mal unbedingt in der Geschäftsstelle von Borussia Dortmund anrufen, da sei etwas für mich hinterlegt. Und das waren dann tatsächlich die Dauerkarten.
Was mich besonders gefreut hat – das muss ich wirklich sagen: Ich komme aus Süddeutschland und habe diese Rivalität zwischen Dortmund und Schalke nicht so in mir. Aber ich fand es ganz toll, dass 1997 der BVB die Champions League gewonnen hat und Schalke 04 den Europapokal. Das war für mich eine richtige Bestätigung für das Ruhrgebiet.
Ich sage auch immer: Klar, man kann Rivale sein, man kann ein bisschen frotzeln und sich necken. Aber ich finde, man muss respektvoll miteinander umgehen. Ich lehne Gewalt ab. Man sollte friedlich bleiben. Wir machen das doch für den Fußball, für unsere Gesellschaft und für das Ruhrgebiet. Und es gibt keine andere Region in Deutschland, in der der Fußball eine so große Rolle spielt wie hier, meiner Meinung nach.
Als ich dann 1997 die Dauerkarte bekommen habe, habe ich mir natürlich auch gesagt: Dann trete ich auch in den Verein ein, um einfach zu unterstützen. Ich war ja noch voll im Sportlerleben, habe aber nach und nach die Fan- und Förderabteilung von Borussia Dortmund und die Menschen dort kennengelernt.
Es gibt dort eine Arbeitsgruppe: ‚Uns verbindet Borussia‘ – da geht es darum, ehrenamtliche, soziale und gesellschaftliche Themen zu bespielen. Also zum Beispiel in eine Kinderklinik gehen, mit den Kindern spielen oder etwas vorlesen. Oder Erinnerungsarbeit leisten, etwa beim Stolpersteine-Putzen zur Erinnerung an die Holocaust-Opfer. Das fand ich ein gesellschaftlich sehr wichtiges Thema. Und das hat mich bewogen, da auch mehr Zeit zu verbringen und mich stärker zu engagieren.“