
Erda Eybe
*1939
Vorsitzende des GTSV Essen
Erda Eybe engagiert sich seit über 65 Jahren in diversen Rollen für den Gehörlosensport. In Ihrer Amtszeit als Vorsitzende des GTSV Essen erhält der Verein zweimal „Das Grüne Band für vorbildliche Talentförderung“ als Auszeichnung für seine leistungssportliche Nachwuchsarbeit.
Kurzbiografie
- Geboren 1939 in Pernitz (Reichsgau Niederdonau, Großdeutsches Reich; heute: Niederösterreich, Republik Österreich)
- 1945-1953 Sogenannte Taubstummenschule (mit Internat) in Dillingen an der Donau (Bayern)
- 1953-1956 Ausbildung zur Damenschneiderin an der Gewerblichen Berufsschule in der sog. Taubstummenanstalt Dillingen an der Donau
- 1957-1968 Berufliche Betätigung als Damenschneiderin im Modeatelier Schröder (später: Thiel) in Essen-Stadtwald
- Seit 1958 Mitglied im den Gehörlosen-Turn- und Sportverein (GTSV) 1910 Essen e. V.
- 1964-1968 Frauenwartin im GTSV Essen
- 1962 Erwerb des Meisterbriefes. Offizieller Titel: Damenschneidermeisterin.
- 1968-1970 Selbständigkeit
- 1981 Mitarbeiterin im Organisationsteam der 14.Gehörlosen-Weltspiele in Köln
- 1982-1984 2. Vorsitzende des GTSV Essen
- 1983-2018 1.Vorsitzende des Stadtverbandes Essener Gehörlosenvereine e. V.
- 1983-2019 Übungsleiterin/Trainerin in der GTSV-Gymnastik
- 1984-2011 1. Vorsitzende des GTSV Essen
- 2000 Bundesverdienst Kreuz am Bande
- Seit 2011 Ehrenvorsitzende des GTSV Essen
- 2012 Plakette für hervorragende Sportführung der Stadt Essen
- 2017 Heinrich-Siepmann-Plakette (höchste Auszeichnung des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes e. V.; ihr Ehemann Siegfried erhält die Siepmann-Plakette im Jahre 2013)
Erda Eybe über …
„Bewegung und sportliche Betätigung war mehr in der Pause, würde ich sagen. Also in der Mittagspause sind wir dann eben rausgegangen, waren im Hof, haben dann Völkerball gespielt und Laufspiele gemacht. Ein bisschen später bin ich auch einmal die Woche zum Turnen gegangen. Eine Stunde Turnen oder so Gymnastik war das damals aber mehr eigentlich nicht. Also damals war es eigentlich wenig Sport. Man ist damals jeden Tag spazieren gegangen und das war es eigentlich. Und da war man natürlich in einer besonders schwierigen Phase.
Wie gesagt, Gebärdensprache war eben in der Schule verboten. Das heißt, man konnte nichts machen. In der Schule hat man die ganze Zeit mit den Beinen auf den Händen gesessen. Man durfte nicht die Hände bewegen, man durfte sich nicht unterhalten. Und die Pause war dann so ein bisschen so, man war draußen auf dem Hof und dann haben das natürlich alle genutzt.
Dann haben wir Gebärdensprache und Gebärden erfunden, haben selber Gebärdensprache genutzt, haben mit den Händen geredet und das war total schön, aber wir durften es nicht. Sobald die Lehrer uns gesehen haben, gab es Ärger. In der Schule war es dann eben für uns dementsprechend sehr anstrengend, weil man nur auf den Mund gesehen hat und alles immer nur auf Sprache lernen ausgerichtet war. Das war so schwer und das war auch anstrengend zu der Zeit damals. Also das war wirklich eine harte Zeit eigentlich. Das war nicht sehr angenehm.
Bei meinem Heim war auch ein Bauernhof, da haben wir dann auch mitgeholfen. Zum Beispiel Kartoffeln vom Acker gesammelt. Oder dass wir was putzen mussten, Schuhe oder so, da haben wir dann auch mitgeholfen. Also wir haben irgendwie Aufgaben bekommen, die wir dann erledigen mussten.
Wir waren auch jeden Tag in der Kirche. Damals waren die Nonnen unsere Lehrerinnen. Und da waren wir jeden Tag in der Kirche und mussten jeden Tag beten. Da gab es immer feste Zeiten.
In der Nachkriegszeit war es so, mein Vater hat erneut geheiratet. Ich hatte also eine zweite Mutter und alle um mich herum waren natürlich hörend. Ich war die einzige Gehörlose damals und es war damals, 1957, dass mein Papa wieder zurückkam. Und ja, ich weiß gar nicht so genau. Ich weiß noch, es gab einen Schuhmacher, der war gehörlos. An den erinnere ich mich. Da sind wir dann manchmal hingegangen. Und da haben wir dann zum Beispiel auch ein bisschen geredet. Der wusste dann ein bisschen was, wo sich Gehörlose treffen, wo mal eine Versammlung oder ähnliches ist. Und da wurde ich dann mal von meiner Tante hingebracht. Das war dann ein katholischer Verein oder eine Versammlung. Da bin ich dann auch mal hingegangen und dann wurde zum Beispiel von ihm auch gesagt: ‚Oh ja, katholisch ist jetzt nicht so spannend.‘ Das fand ich jetzt auch nicht so spannend, dann wurde mir gesagt: ‚Geh doch mal zu einem Sportverein.‘ Dann habe ich da mal geschaut, ob es da irgendwie was gibt. Und dann habe ich gemerkt, das macht mir Spaß. Also da konnte ich dann auch mit gehörlosen Personen auch gebärden. Das war schön. Klar, damals war die Gebärdensprache noch mal anders, weil es eben auch in Österreich andere Gebärdensprache als in Deutschland gibt. Aber das wurde dann mit der Zeit spannender. Und ich habe ja später in einem Modeatelier gearbeitet. Dann gab es einen Sportplatz, wo man sich einmal in der Woche zur Leichtathletik getroffen hat. Da ist man dann gelaufen, hat auch zum Bespiel Faustball gespielt. Das habe ich damals auch mitgemacht. Da waren dann eben, wie gesagt, mehrere Gehörlose, die einfach zu dem Sportverein gekommen sind. Und da sind wir gelaufen und haben Leichtathletik geübt. Mittwochs war Leichtathletik und donnerstags war Tischtennis. Und das hat mir dann auch gut gefallen. Da war ich dann ein- oder zweimal der Woche beim Sport, das hat mir gut gefallen. Das war 1958, als ich da eingetreten bin. Und ja, das lief gut. Ich war auch bei Wettkämpfen dabei, bei Tischtennismeisterschaften und so. Das war dann auch teilweise in Wuppertal, in Düsseldorf, in unterschiedlichen Städten, wo dann eben gerade so Vereine waren, wo wir uns dann getroffen haben, auch zu Wettkämpfen.“
„Die Wettkämpfe waren eigentlich deutschlandweit. Also da waren wir in Augsburg und in anderen großen Städten. Für den Gehörlosensport sind wir damals teilweise sehr weit gefahren, um sich zu treffen oder um Wettkämpfe zu machen, weil viele auch von außerhalb kamen aus Mühlheim und aus Bochum. Und man hat sich zum Beispiel auch in Essen getroffen, einfach nur um Gymnastik zu machen, so ganz ohne Wettkampf zum Beispiel. Wir sind teilweise wirklich weit gefahren. Es war natürlich schwierig mit der Bezahlung, aber man hat das gemacht.
Finanzielle Unterstützung gab es eigentlich wenig vom Staat. Ich erinnere mich nicht. Also, Mitglieder haben natürlich ihren Beitrag bezahlt. Dadurch haben wir Geld eingenommen. Wir haben manchmal Anträge gestellt für Zuschüsse, beispielsweise für Materialien und andere Anschaffungen. Aber oft mussten wir das auch durch Eigenmittel finanzieren.
Ich überleg jetzt gerade: Dann gab es auch noch den Stadtverband Essen für Gehörlose. Es gab den Sport allgemein, es gab auch katholische Vereinigungen usw. und die liefen unter dem Stadtverband Essen für Gehörlose. Und damals hatte man 9000 Mark. Da hatten wir dann Möglichkeiten, um damit zum Beispiel den Sport zu finanzieren, aber auch die anderen Vereinigungen, die sich darunter befunden haben. Und dann wurde das quasi in die verschiedenen Vereinigungen verteilt und dadurch hat der Sportverein eben ein Teil davon bekommen und konnte das dann wieder nutzen. Aber das war eigentlich alles, also mehr gab es wirklich nicht. Das war eben 9000 Mark, die man dann unter verschiedenen Organisationen verteilen musste und da war dann am Ende nicht so viel übrig geblieben. Also wirklich, in der Zeit wurde wirklich viel auch selber aus eigener Tasche bezahlt.
Also damals war das große Ding, dass Gehörlose zusammenhalten, egal, wie Hörende zu uns gestanden haben. Das hat uns quasi nicht interessiert, weil wir Gehörlosen untereinander zusammengehalten haben. Zum Beispiel in einem Restaurant, da haben wir bei einer Veranstaltung natürlich viel mit Händen gesprochen. Oder wir wussten nicht, wie laut wir sind beispielsweise. Das war vielleicht für andere unangenehm, aber das war uns egal, weil wir quasi eine feste Gruppe waren und das war uns wichtig.“
„Ich hatte damals mit den Sportvereinen in Nordrhein-Westfalen viel Kontakt, damals auch mit dem Sportbund Essen. Da hatte ich Kontakte als Vorsitzende, zum Beispiel, dass wir Platzreservierungen vornehmen mussten oder Hallenreservierungen für unsere Wettkämpfe. Da stand ich im Kontakt mit unterschiedlichen Sportvereinen, hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen. Manchmal haben wir uns auch gegenseitig geholfen. Aber mit hörenden Vereinen hatten wir weniger Kontakt. Es war meistens eigentlich mit gehörlosen Sportvereinen im Ruhrgebiet. Zu denen hatten wir guten Kontakt. Da haben wir auch Wettkämpfe miteinander organisiert und abgemacht, uns gegenseitig auch eingeladen zu unterschiedlichen Sportveranstaltungen, Festen, Wettkämpfen oder sind irgendwo hingefahren und zu Turnieren gegangen. Da war eher der Gehörlosensportverein der Fokus.
Also meistens mussten wir selber aktiv sein, wenn wir Finanzen brauchten für unseren Sportverein. Wir sind ja sehr weit gefahren für die Wettkämpfe und das haben wir dann oft selber übernommen oder mussten eben damals noch 15 Pfennig pro Kilometer oder so zahlen. Dann mussten wir irgendwie Geld sammeln oder es eben selber finanzieren. Aber von der Stadt Essen haben wir eigentlich damals keine Unterstützung bekommen. Wir haben manchmal Anträge gestellt. Zum Beispiel haben wir beim Landessportbund Anträge gestellt und haben gesagt, dass wir Geld und Materialien für Bälle und anderes Material benötigen. Das war viel Arbeit, diese Anträge auch zu stellen und das war halt klar, keiner hatte da Lust zu. Ich habe mich schon oft der Aufgabe angenommen. Wir haben dann auch oft viele Eigenmittel verwendet und mussten dann auch von Mitgliedern teilweise Eigenmittel einsammeln. Das war so meine Aufgaben und wir haben halt wenig Unterstützung von außen gehabt damals.
Wir hatten ja verschiedene Abteilungsleiter für den Sport im Hauptverein. Darunter waren ja die verschiedenen Abteilungen gegliedert. Und das Geld. Das habe ich verteilt, aber Lehrgänge besucht habe ich eigentlich nicht. Also ich habe mir das eigentlich selber erarbeitet. Damals gab es eben noch die Übungsleiter Ausbildung, die habe ich gemacht.
Heute sagt man ja eher Vereinsmanager. Damals war das noch Organisationsleitung. Da hat man ein bisschen gelernt, wie man Satzungen aufstellt und formuliert usw. Aber ich habe da wirklich auch selber mehr erfragt, selber gelesen, mir selber überlegt, wie das funktioniert.
Also wir hatten damals mehr Handwerker und weniger Rechtsanwälte in unseren Reihen in unserem Verein. Das heißt, wir haben das dann eher selber versucht, das so gut wie möglich zu machen. Also wir waren selber einfach fleißig und selber tätig und ich habe dadurch einfach viel gelernt und das hat auch immer funktioniert. Also es war nie ein Problem. Das einzige Problem war, es war halt für alle ein Ehrenamt. Es war nie, dass wir da irgendwelches Geld für Tätigkeiten bekommen haben. Diese Tätigkeiten waren immer ein Ehrenamt.“
„In dem Verband der Stadt Essen wurden die Zuschüsse verteilt für die gehörlosen Sportvereine. Der Stadtverband wurde 1972 gegründet in Essen, und ich habe das Gefühl gehabt, dass wird da zu wenig über den Stadtverband verteilt bekommen. Und deswegen habe ich mich dann im Stadtverband Essen engagiert, um eben die Mittel mit verteilen zu können. Dadurch haben wir dann auch teilweise Mittel bekommen, um Dolmetscherkosten zu bezahlen oder für andere Verwendungen und die wurden von dort aus dann verteilt. Und dann braucht man auch einen Verwendungsnachweis, wofür wir das Geld genutzt haben. Das wurde auch im Stadtverband gesammelt, das wurde dann abgerechnet. Das haben wir dann wieder weitergegeben. Im Stadtverband ging es auch ganz viel um Kulturförderung, dass beispielsweise Museumsführungen auch mit Dolmetschern organisiert wurden, damit Gehörlose auch in Museen können. Das hat auch Spaß gemacht. Das war auch schön, dass quasi für die Gehörlosen auch die Kultur geöffnet wird. Und da habe ich viele Aufgaben übernommen, die auch sehr gut waren.
Ich war sehr aktiv. Ich habe ja schon gesagt, ich war immer eine hilfsbereite Person. Ich wurde sehr hilfsbereit erzogen. Ich bin da einfach reingerutscht. Auch in den nordrhein-westfälischen Verband. Also ich habe mich immer gefreut, anderen Personen zu helfen. Und ich war nie ein Besserwisser. Es war nie, dass ich gesagt habe: ‚Ich weiß das besser, ich kann das besser.‘ Ich hatte immer das Gefühl, dass ich gerne helfen möchte. Und so wurde ich erzogen und das habe ich einfach ausgelebt.
Beim Gehörlosen Sportverband Nordrhein-Westfalen. Da gab es früher zum Beispiel einen Fachverband für Fußball. Und der war zuständig für die unterschiedlichen Fußballabteilungen in ganz Nordrhein-Westfalen. Und dann waren Themen bei uns, dass wir Wettkämpfe organisieren, dass wir Zusammenkünfte organisieren. Wir haben landessportliche Aufgaben übernommen. Also viel für unterschiedliche Abteilungen organisiert. Da gab es verschiedene Fachabteilungen für die Leichtathletik und auch für andere Sportarten. Und die wurden dann landesweit organisiert in dem Landessportverband für Gehörlose in NRW.“
„Also man muss ehrlich sagen, wir haben im Sportverband in den letzten 60 Jahren bzw. jetzt in letzter Zeit viel Schwund gehabt. Es wurden einige Sportvereine aufgelöst, leider. Viele Mitglieder sind ausgetreten. Es gibt einen großen Schwund, was das angeht. Der Essener Gehörlosen Sportverein, der läuft noch gut. Es gibt immer noch über 300 Mitglieder in dem Verein. Aber die ganzen katholischen Vereine oder andere Vereinigungen von Gehörlosen sind viel weniger geworden und ich kann mir vorstellen, dass sie in Zukunft auch aufgelöst werden. Das heißt, dass es aktuell leider eher schlecht aussieht, was sehr schade ist, weil Gehörlose jetzt einfach viel mehr andere Möglichkeiten haben. Durch Computer, durch Handy, durch Internet hat man viel mehr Möglichkeiten, miteinander vernetzt zu sein. Da hat dieses lokale Treffen einfach nicht mehr so den Stellenwert wie früher.
Meine Nachfolgerfolge, die läuft gut. Ich war aber trotzdem sehr froh, als ich dann auch endlich mal aufhören durfte, weil ich eine Nachfolgeperson gefunden habe. Ich war natürlich immer noch beratend tätig, habe immer noch weitergeholfen, wenn irgendwie Not am Mann war. Aber an sich läuft es jetzt sehr gut und da bin ich sehr zufrieden. Da freue ich mich. Wir haben auch zum Glück nicht den Mitgliederschwund, den andere Vereine erleben, sondern bei uns gibt es eher mehr Mitglieder. Da haben wir sehr viel Glück. Aber so an sich ist leider schon Mitgliederschwund zu sehen. Ich glaube, die hörenden Vereine haben auch oft Nachwuchsmangel.
Der Stadtverband Essen bekommt immer noch finanzielle Mittel für Dolmetscherkosten. Und der Sportverein muss trotzdem immer noch an den Stadtverband Anträge stellen. Also damals wäre das an mich gegangen, jetzt nicht mehr. Aber es müssen immer noch Anträge gestellt werden, um Mittel beispielsweise auch für die Dolmetscherkosten zu bekommen. Und der Stadtverband ist das immer noch am Verteilen und am Organisieren und schaut immer noch, wofür die Gelder ausgegeben werden. Er gestattet das oder lehnt es ab. Das heißt, man ist immer noch sehr abhängig davon und schaut immer noch, dass die Mittel gut an alle Vereine verteilt werden.“