Gerhard Gente
*1946
Multifunktionär rund um den Essener Turnsport sowie des Rheinischen Turner Bundes
Bereits als Jugendlicher machte sich Gerhard Gente um den Turnsport in seiner Heimatstadt Essen verdient. Kein Wunder also, dass die lokale Presse den ehemaligen Lehrer gerne als den „Turnvater“ der Stadt Essen betitelt.
Kurzbiografie
- Geboren 1946 in Essen
- 2. Staatsexamen Sport und Deutsch
- Seit 1968 Mitglied im ETB Schwarz-Weiß
- 1970-1977 Vorsitzender der Turnerjugend Essen
- 1975-2011 Lehrer an der Gesamtschule Bockmühle, Essen Altendorf
- 1977-2002 Vorsitzender Turngau Essen
- 1978-1984 Vorsitzender Deutsche Turnerjugend
- 2004 Bundesverdienstkreuz am Bande
- Seit 2010 Geschäftsführer Gemeinschaft Essener Turnvereine e.V. (GET)
Gerhard Gente über …
„Wir sind dann nach Essen gezogen, weil mein Vater eine Stelle bei der Post in Essen bekommen hat. Ich bin dann mit zwölf Jahren nach Essen gekommen. Und meine Schwester hat dann ganz schnell einen Verein gefunden durch ihre Begegnung in München beim Turnfest. Da wussten Sie schon, dass wir nach Essen gehen und dann hat sie sich mal erkundigt, wo die Essener untergebracht sind. Und hat dann sofort einen für die damalige Zeit in Essen wichtigen Mann getroffen. Der war Oberturnwart vom Turngau. Das war ja schon was. Mit das höchste nach dem Vorsitzenden. Und der hat dann gesagt: ‚Wenn ihr nach Essen kommt, dann schau doch mal vorbei.‘ Das hat sie dann gemacht und ist dann sofort da geblieben, weil es da eine rege Jugendarbeit gab. Und einen guten Jugendwart, der Fahrten organisiert hat. Da ist sie dann sofort untergekommen und hat mich dann irgendwann auch als 12-Jährigen bei den größeren Kindern untergebracht. Und das heißt dann danach, so nach einem Jahr, ist man dann Riegenführer gewesen.
Ich würde den Riegenführer, den ich damals auch machen durfte, musste, sollte, – würde ich vergleichen mit dem heutigen Sporthelfer. Der Übungsleiter war da. Damals hieß es ja Kinderturnwart. Der Kinderturnwart war da und der hatte die Stunde geleitet. Es ging los mit Warmmachen, also Rundenlaufen sowie es im Schulsport heute noch in vielen Fällen ist. Und dann kam ab und zu auch mal jemand von den Erwachsenen vorbei. Und wenn der kam, zum Beispiel der Oberturnwart, dann mussten wir alle strammstehen. Und dann mussten wir, wenn ihm aufgefallen war, dass einige nicht richtig sauber gewaschen waren, mussten wir die Hände vorzeigen, umdrehen. Und wer dann keine sauberen Hände hatte, der durfte erst mal die Hände waschen gehen.
Das war damals noch üblich. Das weiß ich nicht nur von unserem Verein, das weiß ich von vielen Vereinen. Dass man zum Turnen nicht mit schmutzigen Klamotten kam, sondern die Turnhose sauber war. Meistens wurde barfuß geturnt, weil viele sich die Turnschuhe nicht leisten konnten. Und das war so 1958, da bin ich nach Essen gekommen und es konnte sich nicht jeder Turnschuhe leisten. Und deshalb gab es nur die Schläppchen. In der Halle waren grundsätzlich Schläppchen und keine Sportschuhe. Und das hieß damals Turnschuhe. Sportschuhe gab es nicht.“
„1963 kam das Turnfest nach Essen. Ich bin `46 geboren. Ich war also noch Jugendlicher und wurden wir `61, `62, alle, die so in der Turnerjugend irgendwo in Essen was machten, dann gefragt oder da wurden die Vereine gefragt, ob wir nicht mithelfen können. Und das ging dann darum, bei der Vorbereitung mitzuwirken. Diese Aufgabenbücher, die es ja damals gab, gibt es bis heute eigentlich bei Turnfesten. Wo dann die unterschiedlichen Wettkämpfe da waren und welche Bewegungsformen gefordert waren. Heute geht das alles über Computer und damals musste das alles per Hand gemacht werden. Dann saßen wir in der Druckerei, und dann kamen die Seiten und die wurden dann in diese Kästen reingelegt. Man musste dann im Vorbeigehen die sammeln. Das war unser Beitrag zum Turnfest. Der Oberturnwart war gewohnt, dass die Turnerjugend sich irgendwie Beteiligte am Turnfest. Jeder musste einen Wettkampf haben, das war Pflicht. Ohne Wettkampf kam keiner zum Turnfest, wurde auch nicht bezahlt. Es gab ja auch damals schon die Turnfestbeiträge und dann kam er aber auf die glorreiche Idee, den Jugendgruppenwettstreit. Das war in Hamburg wieder ins Programm genommen worden. Dass die Turnverein-Gruppen mit mindestens vier Paaren tanzen, singen, Leichtathletik, eine Turnsache und schwimmen. Und die haben wir dann geübt. Und wir sind natürlich gestartet. Wir wurden gezwungen, da zu starten oder gedrängt, sehr gedrängt. Und haben das auch alles geschafft. Und da wir ja vorm Turnfest auch ein bisschen Werbung für das Turnfest machen sollten, wurde uns vom Verein gesagt und auch von allen Jugendwarten in der Stadt Essen, damit das ja keine Pleite wird. Wir haben dann geübt, sowohl Singen als auch Tanzen als auch Bodenturnen im Stadtpark. Da war so eine kleine Grasfläche und da haben wir dann dort unser Training gemacht. Denn der Wettkampf passierte ja sowieso im Freien auf Rasen und von daher passt das auch und hat Spaß gemacht.“
„Also vor dem Turnfest sollte die Einweihung des Stadions stattfinden. Und dafür hat sich die Turnlehrerin der Stadt Essen, so hieß das offiziell, die im Schulamt für die Grundschulen und Hauptschulen für den Sport zuständig war. Die hatte sich gedacht, dass man die Grundschulen zum Beispiel mit kleinen Tänzen beschäftigt. Im Stadionrund waren dann 300 Kinder, die so Rundtänze machten, einfachster Art. Aber das wirkt dann natürlich, wenn man auf der Tribüne saß oder auf den Rängen rumstand, dann wirkt das natürlich durch die Masse schon. Und wenn es dann einigermaßen klappt, dafür waren wir dann zuständig vom Turnen her. Dann ist das schon ein tolles Bild. Das waren die Mädchen der Grundschulen. Und die Jungen haben Spiele gemacht oder Bockspringen, das weiß ich aber jetzt nicht mehr. Und es gab da Leichtathletikwettkämpfe, wo dann die Schulen beteiligt gewesen sind und die Vereine haben auch ein Bild gemacht. Aber das war sehr wenig.
Und es war voll, weil ja die Kinder da waren. Das waren ja alles Schulkinder. Das heißt, die Eltern waren da, die Omas waren da. Das Stadion war ausverkauft. Die brauchten nichts zu bezahlen, aber es war voll. 30.000 Menschen mit Stehplätzen auf der anderen Seite der Tribüne.
Also die Idee, ein Stadion zu bauen, war eben, die Stadt Essen, das Ruhrgebiet, wollte den Turnern, die dann anreisten, was bieten. Da die sich immer noch die graue Luft vorstellten und das Grün überhaupt nicht kannten, was wir ja nun bekanntermaßen in Essen sehr viel haben. Und die Konzeption war und das ist hinterher noch in anderen Stadtteilen auch durchgeführt worden, aber nicht in dem Ausmaß, so Bezirkssportanlagen zu bauen. Und darin war immer ein Stadion, also Stadion wurde in Essen so genannt, ein Platz für Fußball geeignet mit Rundlaufbahn und auf einer Seite immer mit einer kleinen Tribüne. Und davon haben wir in Essen bestimmt heute noch zehn, 15. Die dann aber direkt daneben noch eine Sporthalle haben. Und wenn es ging, es hat sich aber nicht bewährt, noch ein Schwimmbad. Die Problematik mit den Schwimmbädern wissen wir ja alle. Da ist Essen dann auch einen anderen Weg gegangen. Aber das war ja erst viel später. Aber dieses Grugabad, das war zum Turnfest gebaut worden und diese große Sportanlage, die Festwiese war, ich weiß es nicht mehr genau bestimmt fünf, sechs Fußballplätze groß, mit einem Ansteigen von fünf, sechs Treppenstufen rundum. Die hieß auch Festwiese, Turnfestwiese und hat diesen Namen auch behalten, bis die Messe Parkplätze brauchte.“
„Also Dortmund-Bochum, wenn ich das jetzt mal mit Essen vergleiche: In Essen spielte das Turnfest sich in der Innenstadt ab. Die Messe zählt für mich auch noch mit zur Innenstadt. Das ist ja Rüttenscheid, das ist vom Bahnhof her oder mit der Straßenbahn oder der U-Bahn vom Bahnhof zur Messe, und da war ja das Zentrum des Turnfestes, das sind sechs Minuten Fahrt. Zu Fuß kam man an so vielen Gaststätten, Cafés und Pommesbuden vorbei, dass man gar nicht merkte, dass man da in der Stadt unterwegs war.
Und in Dortmund, da war auch alles zentriert beim Stadion, bei der Westfalenhalle und beim Westfalenpark. Das war toll. Es war wirklich toll und brachte auch viele Zuschauer und viele Dortmunder da hin. Aber in der Stadt passierte halt kaum was. Das hat man zwar versucht, indem man die Pavillons aufgebaut hat, dass man für Vorführungen Plätze hergerichtet hat. Aber das war auch Turnfest. Aber das war nicht so, wie das in Essen gewesen ist. In Essen gab es diese Sachen gar nicht in der Innenstadt, die da extra aufgebaut werden mussten. Sondern da passierte eigentlich einfach was. Und wenn dann eine Gruppe unterwegs war, und das waren viele Leute, dann machten die auch in der Stadt irgendwie was. Turner können immer was machen. Und wenn es nur ein paar Salti sind oder Flickflack. Und dann bleiben alle Leute stehen und gucken.
Wenn man die beiden Turnfeste Ruhrgebiets Turnfeste mal vergleicht, dann muss ich feststellen, dass in Essen anschließend mehr Leute in die Turnvereine kamen, mehr Leute Sport gemacht haben. Und das war eindeutig festzustellen. Und bis Ende der 60er-Jahre ist die Anzahl der Turner, um mal dabei zu bleiben, von 15.000 in Essen auf 23.000 gestiegen. Also schon enormes Steigerungspotenzial, was da gewesen ist. Und das hat dann auch wieder abgenommen, weil Turnen ist nicht mehr die Welt. Und es gab so viele Möglichkeiten, Sport zu treiben und auch außerhalb der Vereine Sport zu treiben. Das kam ja auch noch dazu. Das war ja alles drin in der Zeit. Aber vom Turnfest her darauf aufbauend Jedermann-Turnen, Er-und-Sie-Turnen und dann diese ganzen Geschichten mit Mutter-und-Kind-, Familienturnen. Das sind ja alles Sachen, die sich in der Zeit entwickelt haben. Und da hatte Essen das Glück, dass sie dieses Turnfest hatten. Und das gab dann noch einmal den richtigen Impuls. Der wurde später auch aufgegriffen in Essen. Herr Bosak, zu dem haben wir immer gesagt, Wander-Turnlehrer des Landessportbundes. Der wurde vom Landessportbund angestellt und zog dann in die Städte und in die Dörfer und machte da Lehrgänge. Und wurde dann nach Essen geholt, abgeworben. Und er war Essener und wurde dann vom damaligen Sportdirektor Weitzdörfer, der wesentlich daran Anteil hatte, dass der Basketball nach Deutschland kam, geholt. Der hat dann mit ihm zusammen das Modell entwickelt Übungsleiterausbildung in Essen und das hat ´61 angefangen, also kurz vor dem Turnfest. Und der hat genau daran gearbeitet, was dann so Jedermann-Turnen wurden. Das hat ja schon vor dem Turnfest ein bisschen angefangen und ist beim Turnfest dann ganz groß geworden. Und er hat dann auch hinterher die Sportkurse der Stadt Essen gemacht. Das heißt, der hat sich als Leichtathlet, als Nicht-Turner, aber jemand, der sportlich begeistern kann, das Turnfest zunutze gemacht und da weitergemacht. Es war also dann nicht abrupt zu Ende, wie das ja in Dortmund glaube ich gewesen ist. Das hat Nachwirkungen gehabt.“
„Die 68er, um bei denen noch einmal anzuknüpfen, die haben uns ja auch sehr viel gebracht. Und die haben zum Beispiel uns in Essen gebracht, dass wir zum 25-jährigen Jubiläum des Rheinischen Turnerbundes gefragt worden sind: Ob wir nicht von der Turnerjugend-Essen auch eine Aufführung machen wollen. Das habe ich dann unsere Kunstturner, die richtig mitgearbeitet haben, gefragt: ‚Hört mal, wie können wir das machen? Ich würde ja gerne das machen, was wäre denn da? Was würde euch denn einfallen?‘ Und diese Kunstturner in Essen, die waren schon sehr speziell. Einer hatte zum Beispiel so eine Wolle (zeigt auf die Haare) und er kriegte immer Punkte abgezogen, weil das nicht turnerisch wertvoll war. Die hatten einheitliche Turnkleidung, aber keine einheitlichen Anzüge. Dafür kriegten die Punkte abgezogen: ‚Das gehört sich nicht. Das muss alles einheitlich sein, wenn man als Mannschaft auftritt.‘ Und da haben die gesagt: ‚Machen wir was draus. Und dann machen wir die Publikumsbeschimpfung.‘ Die kamen alle von einer Schule, einem Gymnasium. Und da war die Publikumsbeschimpfung gerade „In“. Und ich habe gesagt: ‚Okay, macht mal! Den Text könnt ihr ja nicht übernehmen. Wir können nur die Art und Weise übernehmen, den Text müsst ihr schon selber schreiben.‘ Und dann sind sie auf die Idee gekommen: Wir nehmen „Turner auf zum Streite“. Das haben wir geübt. Das durfte ich denen dann beibringen. Und das haben die dann gesungen. Sie kamen dann da rein, wie das früher noch üblich war. Das hatten die nicht mehr mitgekriegt. Aber ich habe ihnen das erzählt, dass das so zu Beginn des Rheinischen Turnerbundes so war, dass zum Beispiel, wenn Jahreshauptversammlung war, dann kam die Turnerjugend und hat ein, zwei Lieder gesungen. Schön adrett, weißes Hemd, dunkle Hose, die Mädchen weiße Bluse, dunkler Rock. Und dann wurde gesungen und dann unter anderem auch „Turner auf zum Streite“. Und dann marschierten die da so rein und sangen dann „Turner auf zum Streite“ und bauten sich so auf und sangen. Einer von denen dirigierte. Dann haben die die Leute aufgefordert, bei der dritten Strophe mitzusingen. Die kannten den Text natürlich, den haben sie gelernt. Und die Alten, die da saßen, haben begeistert mitgesungen. Und dann ist eine zweite Truppe gekommen, hat gesagt: ‚Was macht ihr da eigentlich für ein Scheiß hier?‘ Hat losgelegt: ‚Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei – Fotogen, Foul und Fett.‘ Die haben das Publikum beschimpft. Ich war ja der Veranstalter ich sollte mich dann vor dem Rechts- und Ehrenausschuss rechtfertigen. Habe ich gesagt: ‚Ja gut, kein Problem.‘ Dazu ist es nicht gekommen, weil die Rheinische Turnerjugend, mit denen hatte ich auch schon einiges so gemacht, und die sagten dann: ‚Völlig unmöglich.‘ Der Jugendwart sagte dann: ‚Ich habe die engagiert und habe denen gesagt, sie können machen, was sie wollen, und die haben was gemacht. Und es ist ja auch gut angekommen bei vielen, nur bei bestimmten Leuten nicht.‘ Und der Gag jetzt dabei: Derjenige, der mich vor den Rechts- und Ehrenausschuss bringen wollte, der war hinterher in meinem Vorstand des Turngaus Essen für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er hat mit mir seinen Frieden wiedergefunden. Das ging damals noch.“
„Ich kam dann an die erste Gesamtschule in Essen, neunzügig. Und wo die ersten Gesamtschulen gebaut wurden, weiß man hier in Köln auch. Die kamen nur dahin, wo es dringend notwendig war, dass überhaupt Schule dorthin kam. Ich kam dann im dritten Jahr dazu, die ersten Jahrgänge, da war die Gesamtschule so gedacht, da konnten die Schüler machen, was sie wollten. 1972 ist sie gebaut worden oder fertig geworden und ich war ab ´75 da. Aber aus denen ist komischerweise allen etwas geworden. Das hat mich wirklich gewundert, nachdem ich das gehört habe. Was da speziell aus dem ersten Jahr rausgekommen ist, das ist unglaublich. Das haben wir hinterher nicht mehr geschafft. Aber wir haben auch nie mehr diesen Einstieg gehabt. Denn da wollte ja jeder, der irgendetwas in der Politik zu sagen hatte, der wollte entweder seine Kinder nicht dahin bringen – die schwarze Partei oder auf jeden Fall die Kinder dahinbringen – die rote Partei. Und da es damals in Essen noch keine Schulbezirke gab. Daher haben wir von ganz Essen Kinder gehabt. Und wir hatten das Glück, diesen Einstieg wirklich so machen zu können: Ein Drittel Gymnasiasten, ein Drittel Realschüler, um das mal so allgemein zu sagen und ein Drittel Hauptschüler. Und solange wir das hatten, lief das. Und lief das sehr gut. Und das ist dann aber aufgebröckelt worden, als wir umringt worden sind, von Gesamtschulen, die einen besseren Standort hatten. Und da mussten wir dann kämpfen.“