

Herbert Watterott
*1941
Radenthusiast und Sportreporter
Der Sportreporter Herbert Watterott war über 40 Jahre die prägende Begleitung der „Tour“. Mit seiner Leidenschaft für den Radsport begeisterte er Generationen, prägte unzählige Übertragungen und wurde zu einer unverkennbaren Stimme des Sports.
Kurzbiografie
- Geboren 1941 in Bensberg
- ?-? FV Bensberg (Fußball).
- ?-? Turnverein Bensberg 1901 e. V. (Leichtathletik).
- ?-? Spiel- und Sportverein (SSV) Overath 1919 e. V. (Leichtathletik).
- ?-? Radsportverein (RSV) Staubwolke Refrath 1952 e. V
- 1958-1963 Lebensversicherungskaufmann beim Gerling-Konzern in Köln
- 1963-2006 Westdeutscher Rundfunk (Fernseh-Sportredaktion)
- Watterott berichtet von 25 Eishockey-Weltmeisterschaften
- 1964-2004 In dieser Phase 18 Olympischen Spiele als Teil des ARD-Fernsehteams.
- Watterott fungiert bei 60 Sechstagerennen als Hallensprecher, u. a. in Berlin, Dortmund und Köln (ebendort ca. 1984-1998)
- 1965-2006 alljährlicher Bericht von der Tour de France (zunächst als Assistent, ab 1969 als Kommentator, ab 1973 live)
Herbert Watterott über …
„Der Cutter hatte weiße Handschuhe an, denn das Filmmaterial musste fest verklebt sein, sonst wäre es aufgegangen. So reihte sich ein Ding ans andere. Zur damaligen Zeit war es außerdem so, dass die Sportschau immer aus Köln kam und die Tagesschau aus Hamburg. Vom 4. Juli 1961 an ist die Sportschau in Köln beheimatet, also Redaktion und so weiter. Damals waren die Leitungsströme durch Europa noch anders: Vom Süden in den Norden ging es immer über Frankfurt. Dann in Köln die Sportschau, in Hamburg die Tagesschau. Deshalb konnte man alle Leitungen, die durch Köln liefen und nicht irgendwelchen Lizenzen unterlagen, aufzeichnen und abgreifen. So habe ich mir also vom kleinsten bis zum längeren Bericht meine Sporen verdient. Dadurch war ich mehr oder weniger Alleinunterhalter, weil alles über Köln lief. Sonst hatte keiner großes Interesse daran. Genauso wie mit dem Eishockey. Wir hatten damals wie heute Iserlohn, Krefeld, Düsseldorf und Köln. Spiele konnte man damals, um sie live zu übertragen, noch schneller verlegen. So ist das mein zweites Standbein geworden, sodass ich im Winter Eishockey machen konnte und im Sommer Radsport.
Der WDR ist ja der einzige Sender in Deutschland, bei dem von Beginn an Fernsehen und Rundfunk getrennt sind – und das bis heute. Da war Kurt Brumme, dann kam Dietmar Schott, zwischendurch Werner Labriger und dann die Schwester von Töpperwien. Eddy war der Hörfunkreporter. Ich hatte eigentlich schon in den Anfangsstufen alles erreicht. Ich hatte immer zu tun, war früh bei den Olympischen Spielen dabei. 1964 waren meine ersten Spiele in Tokio, die letzten 2004. Es waren also 18 Olympische Spiele, die ich mitgemacht habe. Anfangs fanden Winter- und Sommerspiele noch im selben Jahr statt, das hat man aber später geändert – nach 1992 in Lillehammer.
Ich war freier Mitarbeiter vom 16. Mai 1963 bis zum 1. Oktober 1966. Huberty sagte mir damals: ‘Hören Sie zu, lieber Herr Watterott, wenn Sie mich fragen, lassen Sie sich fest anstellen.’ Damals war Werner Höfer beim Frühschoppen. Der war nicht für Festanstellungen, sondern immer nur für freie Mitarbeit, damit er mehr Handlungsspielraum hatte, wenn er die eine oder andere Nase nicht mehr mochte. Aber dann habe ich gedacht: ‘Okay, du steigst von Gruppe neun auf sieben, auf vier. Ab zwei gibt es dann die Senilen-Zulage, wie es immer so schön hieß.’ Und das war ganz wichtig. Ich musste mich nicht um den Job kümmern, ich war fest integriert in alle Richtungen. Die anderen mussten dagegen Arbeitsgerichtsprozesse führen, um fest angestellt zu werden – nach dem Motto Besitzstandswahrung.“
„Das Allerwichtigste, was der damalige Teamchef Rudi Michel gesagt hat: ‘Verlieren Sie bitte nicht Ihren Ausweis, denn das ist so kompliziert.’ Und wem passiert das? Mir Jeck. Am zweiten Tag war der Ausweis weg.
Ich erinnere mich an das Radrennen mit Henni Kuiper. Der Holländer wurde damals Olympiasieger. (…) Und dann natürlich unvergessen das Attentat am 5. September, glaube ich. Wir saßen gemütlich bei einem Kollegen im Zimmer, haben diskutiert, wie und was und wo – und dann passierte es. Ein paar Tage vorher hatte ich vorgeschlagen, doch einmal hinter die Kulissen zu schauen: Wie kommen die Athleten in die Wettkampfstätten? Denn bei uns vor dem Gebäude, in dem wir wohnten, hingen morgens früh schon die Ringer aus Aserbaidschan oder sonst woher in den Bäumen und waren am Trainieren. Dazu kamen Fragen wie: Wie kommt man eigentlich ins Schwimmbad? Das habe ich dann mit Günther Münch, einem früheren Kollegen, gefilmt. Wir stellten einen ganzen Beitrag zusammen. Ich bin sogar als Reporter ins Schwimmbad gegangen, habe mich umgezogen und bin ins Becken gesprungen – und plötzlich schwimme ich neben Mark Spitz und Shane Gould, der Australierin, die damals allen überlegen war. Auch Dawn Fraser war dabei.
Den Film habe ich fertiggestellt, er sollte im Vorprogramm des 4. September laufen. Durch irgendeine Programmverschiebung kam es nicht dazu. Wir sagten: ‘Okay, dann morgen.’ Und in der Nacht passierte das Attentat. Man mag sich gar nicht ausmalen, was gewesen wäre, hätten wir den Beitrag doch gesendet. Wie viele hätten gesagt: ‘Durch diesen Film oder durch diese Hinweise sind die erst so richtig auf die Idee gekommen, dort tätig zu werden.’
In der Redaktion und im Pressezentrum hatte man Zugang zu allen möglichen Quellen, man hat das minutiös verfolgt und nachvollziehen können, was passiert ist und was schiefgelaufen war. Natürlich wurde diskutiert: ‘Was hätte man anders machen können?’ Ich habe nur gedacht: Du lieber Gott, stell dir vor, der Film wäre gelaufen. Die Opfer wären zwar auch nicht wieder lebendig geworden, aber der Pressehype hätte womöglich eine ganz andere Richtung genommen.“
„Früher war es ja leichter, an die Leute ranzukommen. Es gab nicht so viele Pressevertreter. Das ZDF gab es zwar, aber die ARD hatte die Rechte. Es war Radio und Fernsehen, also die ARD. Ansonsten keine Privatsender, nichts. Insofern: Ich habe übrigens 60 Sechstagerennen als Hallensprecher kommentiert, in verschiedenen Städten, und dort auch immer wieder Leute getroffen. Die Belgier oder Franzosen sagen dazu Soigneur – also Pfleger, die in den Kabinen die Radfahrer betreuten und massierten. Einer von denen, mit dem ich ein gutes Verhältnis hatte, war Pfleger bei Eddy Merckx. Dadurch kam ich natürlich an Merckx ran, obwohl er ja sonst eher wortkarg war. Er wollte immer lieber Französisch sprechen als Deutsch. Von Merckx habe ich übrigens ein originales Gelbes Trikot bekommen, und zwar aus dem Jahr 1969, als er allein durch die Pyrenäen gefahren ist – mit 17 Minuten Vorsprung vor dem gesamten Feld. Ich war damals bei ihm im Hotel, bei seinem Pfleger, und der hat mir das Trikot gegeben. Das habe ich heute noch.
Mit den Deutschen war es klar, da war nicht diese Abschottung wie heute, wo man kaum noch in ein Hotel hineinkommt. Oft saßen die Rennfahrer zwar für sich am Tisch, aber ich saß dann am Nebentisch mit den Mechanikern und Pflegern. Mit denen habe ich häufig gegessen und dabei vieles aus erster Hand erfahren. Es war also nicht so hermetisch wie heute. Da kommt man ja nicht mal so einfach zu jemandem wie Tadej Pogačar – auch Jungfrau im Sternzeichen. Da muss ich schon Nils Politt einschalten.
Wie gesagt, die ARD hatte die Rechte, das ZDF nicht. Wir haben damals die Bergetappen vom Start bis ins Ziel kommentiert und übertragen. Die Flachetappen sind bei über 200 oder 250 Kilometern ja oft recht eintönig. Als dann Eurosport einstieg, hieß es bei uns: ‘Das bringt nichts.’ Denn die nahmen von Anfang an das erste Bild, das das französische Fernsehen lieferte. ‘Wenn wir erst eine Stunde später kommen, bleiben die Zuschauer bei Eurosport und schalten nicht mehr zu uns.’ Deshalb haben wir die Flachetappen kürzer gefasst und die Bergetappen in voller Länge übertragen.
Dadurch hatten wir aber auch weniger Kontakt zu den Fahrern. Denn wenn wir Flachetappen übertrugen, mussten wir schon gegen drei Uhr nachmittags auf der Tribüne sein. Früher konnte man noch um zehn oder elf Uhr am Start stehen, mit allen reden, die zur Einschreibung kamen. Das ging dann nicht mehr. Abends nach der Etappe haben wir uns kurz besprochen: Was war gut, was war schlecht? Danach ging es direkt weiter zum nächsten Zielort, ins Hotel, Vorbereitung für den nächsten Tag. Dann rechtzeitig wieder in den Zielbereich, wo die Ü-Wagen standen, dort Konferenz, und schließlich nur noch kurzfristig auf die Tribüne – ohne zusätzliche Autofahrten. So hat sich der zeitliche Ablauf damals verschoben.“
“Es gibt noch eine kleine Story, bei der man lachen muss. Ich war einmal bei einer Pyrenäenetappe am Mikrofon, da flog majestätisch ein großer Vogel mit weiten Schwingen durch die Lüfte. Und ich sage im Fernsehen: ‘Das ist ein seltener Vogel, der eigentlich in Frankreich gegessen wird. Und zwar ist das die Ortolantaube. François Mitterrand hat sich extra im Hinterzimmer seines Lokals zurückgezogen, um das Fleisch der Ortolantaube, in Weiß- oder Rotwein geröstet, zu genießen.’ Und das habe ich also live im Fernsehen gesagt. Gott, oh Gott, oh Gott. Da hatte ich was losgetreten. Der Deutsche Tierschutzbund rief sofort an – ich war noch gar nicht von der Tribüne runter, da klingelte schon das Telefon im Redaktionswagen: ‘Ihr werdet verklagt! Das gibt einen Prozess und 5.000 Euro Strafe. Dieser Vogel ist geschützt!’ Ja, vielleicht mag das in Frankreich so sein, aber bei uns natürlich nicht. Wir haben dann eine Pressemitteilung herausgegeben und die Sache beruhigt.
In der Bildzeitung stand am nächsten Tag: ‘Ullrich leidet – Watterott spricht von Ortolantaube.’ Und als ich später zum Dortmunder Sechstagerennen kam, durfte ich wie immer in der Fahrerküche mitessen. Ich schlage so die Speisekarte auf, blättere – und lese: ‘Heute auf besonderen Wunsch: Ortolantaube in Weißwein geschmort – für Herbert Watterott.’ Da musste ich herzhaft lachen. Damit war das Thema dann auch ausgestorben.
Warum ich das überhaupt erzählt habe? Weil ich ein Buch in die Finger bekommen hatte, das Werner Zimmer geschrieben hatte. Er war mit anderen vom Saarländischen Rundfunk im Frühjahr die Etappenstädte abgefahren und hatte überall die Besonderheiten aufgeschrieben – was es zu essen und zu trinken gibt: von Tarte Tartar bis Ortolan. Daher hatte ich das. Ich wusste nur in dem Moment nicht mehr, woher. Später fiel mir ein, dass Werner Zimmer mich auf die falsche Fährte gelockt hatte. Am Ende ist zum Glück alles glimpflich verlaufen.“
„Die Tour de France ist ja schon sehr alt. Die erste fand 1903 statt und ist seitdem nur zweimal ausgefallen, nämlich in den beiden Weltkriegen. Auch die Deutschland-Tour hat früh begonnen, ebenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber die war nie durchgängig. Es gab mal fünf Austragungen, dann wieder Pause, dann ging es los, dann wieder Pause. Später hat man versucht, die Deutschland-Rundfahrt – wie sie dann hieß – zu Zeiten von Gregor Braun und Didi Thurau neu ins Leben zu rufen. Das hat auch funktioniert, aber nur fünf oder sechs Jahre, wenn überhaupt. Dann ist der Sponsor wieder abgesprungen. Eine Zeitlang hieß sie Vitamalz-Rundfahrt.
Heute, seit die Deutschland-Tour wieder ins Leben gerufen worden ist, hat die ASO das übernommen – also die Tour-de-France-Veranstalter, die auch Lüttich–Bastogne–Lüttich, Paris–Roubaix und viele andere Klassiker organisieren. Rund um den Henninger Turm heißt es inzwischen auch nicht mehr, weil der Sponsor fehlt. Die ASO hat es geschafft, in Paris eine feste Basis zu entwickeln, von der aus die Deutschland-Tour jedes Jahr promoted und mit derzeit fünf Etappen ausgetragen wird. Vielleicht werden es nach und nach mehr Etappen, aber wie bei anderen Rundfahrten fängt man nicht gleich mit zehn an. Man muss sich da hocharbeiten – und die achten schon sehr darauf, dass das Ganze in den richtigen Händen liegt. Und das können die.
So gerne ich Radsport und Eishockey mag, so sehr liebe ich auch das Reisen. Sprachen habe ich eigentlich nie klassisch gelernt wie andere. Ich begreife das schnell, das fliegt mir zu. In der Schule hatte ich Englisch und Latein – und was will ich mit Latein? Ich werde kein Priester, kein Doktor. Dann habe ich Französisch genommen, was mir bei der Tour natürlich sehr zugutekam. Ohne Französisch versteht man dort nichts, man kann mit niemandem reden und keine Zeitung lesen.
Italienisch habe ich mir ebenfalls angeeignet, schließlich habe ich 28 Jahre lang den Giro d’Italia kommentiert – erst mit Filmen, später auch live. Italienisch ist zwar in mancher Hinsicht kompliziert, aber mir war es irgendwie eingängig. Beim WDR habe ich jeden Tag die L’Équipe gelesen und die Gazzetta dello Sport – übrigens die älteste Sportzeitung der Welt, die immer auf rosa Papier gedruckt wird. Der Organisator in Mailand hatte die Zeitung schon früh so angelegt, und daher kommt auch die Assoziation zur Maglia Rosa, dem Pendant zum Gelben Trikot der Tour de France.“