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Christa Vahlensieck

Christa Vahlensieck

*1949
Erste bundesdeutsche Marathonmeisterin

Christa Vahlensieck war die Leitfigur in der Anfangszeit des bundesdeutschen Frauen-Marathons: 1973 siegte die spätere 18-fache bundesdeutsche Meisterin im ersten exklusiven Damenmarathon weltweit. Sie reüssierte bei diversen internationalen Stadtläufen und verdingte sich bis zum Ende der 1980er-Jahre als professionelle Marathonläuferin in den USA.

Kurzbiografie

  • Geboren 1949 in Düsseldorf (als Christa Kofferschläger)
  • 1963-1969 Kaufmännische Lehre und Angestellte im Versand in Düsseldorf
  • 1963-1966 DJK Novesia Neuss
  • 1969-1985 Kaufm. Angestellte in einer Wuppertaler Buchhandlung
  • 1966-1969 DSC 99 Düsseldorf
  • 1969-1990 Barmer TV Wuppertal
  • 1973-1989 Insg. 21 Marathonsiege
  • 1973 Erste Deutsche Frau unter drei Stunden (2:59:25,6 Std.) beim erstem Marathon exklusiv für Frauen in Waldniel
  • 1975 Aufstellung eines (inoffiziellen) Marathon-Weltrekords in Dülmen
  • 1975-1978 Erste bundessdeutsche Marathon-Meisterin
  • 1985 Kündigung ihrer Stelle und Eintritt in das Profilager

Christa Vahlensieck über …

… ihre Kindheit in Düsseldorf-Heerdt

„Wir hatten keine Turnhalle, unsere Sportstunden waren lediglich einmal oder zweimal in der Woche auf dem Schulhof, Völkerball spielen, an Stangen rumturnen und so was. Großartig Sport gab es in der Schule nicht. Allerdings mussten wir jedes Jahr an den Bundesjugendspielen teilnehmen. Und dabei stellte sich dann heraus, dass ich ganz gut war. Ich habe Dreikampf gemacht: Sprinten, Weitsprung und Ball-Weitwurf. Zumindest im Laufen war ich immer eine der besten, allerdings nur im Sprint. Ich gehörte von der Punktzahl zu den drei besten der Schule. Ich war acht Jahre auf dieser Volksschule.

Das war an Sport alles, aber ich habe das sehr gerne gemacht. Vielleicht, weil ich gut war im Vergleich zu anderen Schülern. Und dann kam ich danach, als ich dann entlassen wurde, schon mit 13 in die Lehre – eine kaufmännische Industriekaufmannslehre. Damals hieß das noch Industriekaufmann, da war ich erst 13. Und zum Glück war da ein Lehrling, die schon ein Jahr da war. Die machte Leichtathletik. Das war die Schwägerin vom Adi Rosenbaum. Der war zu der Zeit als Trainer bei DJK Novesia Neuss. Er trainierte da die Langstreckler. So bin ich zum Sport gekommen. Meine Eltern hatten, da war ich zehn, eine Kneipe übernommen. Und da mussten wir Geschwister, ich habe noch eine Schwester und Bruder, viel mithelfen. Und was ich persönlich nicht so schön fand, in der Nähe war ein Männerwohnheim, will ich mal sagen. Und dann waren immer viele besoffene Männer bei uns und zu Karneval und Schützenfest, da gab es immer schlimme Sachen, die ich als Kind schon erleben musste. Und als ich dann mit dem Sport anfing, neben meiner Lehre, durfte ich von meinem Vater aus des Öfteren nach Neuss fahren. Da war ich auch froh, dass ich zu Hause weg war.“

… den Wechsel zum Langstrecken- und Marathonlauf

„Die Strecken waren ja in den Jahren sehr kurz, 600-Meter. Da habe ich auch gleich an Meisterschaften teilgenommen. Es gab anfangs B-Jugendmeisterschaften und später die normalen Deutschen Jugendmeisterschaften. Also 600-Meter, da habe ich gut mithalten können. Ich war immer im Endlauf bei Deutschen Meisterschaften. Aber die letzten 100 Meter wurde ich meistens überspurtet von den schnelleren Läuferinnen und habe da keine besonderen Titel oder so etwas gewonnen. Aber im Winter bei den Deutschen Waldlaufmeisterschaften, da habe ich vielleicht in der B-Jugend schon Westdeutsche Meisterschaften gewonnen, nach nur ein paar Wochen Training. Aber da war die Strecke schon 1000-Meter. Und da waren also Leute, die ich nie über 600-Meter schlagen konnte, dann hinter mir. Waldläufe habe ich fast in der Jugend alle gewonnen, auch alle Meisterschaften. Aber über 600 Meter, da ging nicht so viel. Im letzten Jugendjahr kamen dann 800-Meter, aber das war auch nicht so viel besser.

Dann war ich ja nach vier Jugendjahren Juniorin. Ich glaube, da wurden zum ersten Mal 1500-Meter gelaufen. Das war natürlich dann auch schon wieder einen Schritt vorwärts für mich, dass ich auch über 1500-Meter deutsche Juniorenmeisterin wurde.  
Und dann kam die Zeit, wo ich mein Mann kennenlernte. Und dann hatte ich überhaupt keinen Bock mehr 1500-Meter zu laufen und habe dann erst einmal zwei Jahre keine Wettkämpfe macht. Die Strecke war mir zu kurz. Bei Meisterschaften bin ich zwar immer im Endlauf gewesen, aber meistens irgendwo 4. oder 5. geworden. Da hatte ich keine große Lust mehr. Ich habe zwar immer noch ein bisschen trainiert, aber keine Wettkämpfe mehr gemacht.“

… den ersten Frauen-Marathon 1973 in Waldniel

„Wir sind dann tatsächlich nach Waldniel und wollten an dem Lauf teilnehmen. Van Aaken hatte auch viele Läuferinnen zusammengetrommelt. Eigentlich alle, die auch die Mittelstrecken gelaufen sind, sind gekommen und auch an den Start gegangen. Aus Holland kamen auch welche.
Und das Fernsehen war dabei, also die Presse. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten nicht daran geglaubt haben, dass Frauen das können, sondern dass die dabei sein wollten, wenn die Frauen da reihenweise zusammenklappen. Ich glaube, das war der Hauptgrund. Aber es war nicht so. Der Paul Angenvoorth ist mit dem Fahrrad mitgefahren. Wir sind also gestartet, ganz gemütlich losgelaufen, so mit langen Klamotten. Ich hatte ganz normale Trainingssachen an, weil ich mir nicht vorstellen konnte, in kurzer Hose so eine lange Strecke über paar Stunden zu laufen. Also ganz normal, als würden wir im Training laufen, ich jedenfalls.
Ich weiß, eine Frau ist los. Und der Paul Angenvoorth, der fuhr mit dem Fahrrad und sagte zu uns: ‚Nein, ihr müsst langsamer laufen. Lasst sie laufen.‘ Und so sind wir dann losgelaufen. Es waren vier Runden, die wir laufen mussten. Und das ging sehr gut. Wir hatten die Hälfte, das kam mir das alles unheimlich langsam vor. Dann bin ich immer schneller gelaufen. Ich weiß gar nicht, ob ich da schon alleine vorne war, kann sein. Ich weiß nicht, ob die Manuela noch dabei war. Ich weiß nur, dass ich die zweite Hälfte dann neun Minuten schneller gelaufen bin als die erste Hälfte und eigentlich bis auf ein bisschen Muskelkater in einem Bein, da ohne Probleme ins Ziel gekommen bin. Und dann bin ich auch direkt unter drei Stunden gelaufen. 2:59 Stunden oder so etwas. Und Dr. Van Aaken war hellauf begeistert. Die meisten Frauen sind auch angekommen. Ich glaube, es sind ganz wenige nur ausgestiegen. Die kamen alle gut ins Ziel. Und Carmen Thomas war damals die Reporterin, dann taten alle ganz begeistert. Aber ich glaube, es hat schon noch eine Weile gedauert, bis die Frauen sich da wirklich etabliert hatten. Man wurde doch eher belächelt.

Dieser Lauf, der war ja einmalig. Man hatte auch gar nicht in Aussicht, weiter lange Strecken zu laufen. Es gab ja nicht mal 10.000-Meter zu der Zeit. Also 3000-Meter war die längste Strecke, die man offiziell laufen durfte. Und Marathon? Wir haben das mitgemacht, dem Doktor van Aaken zuliebe. Aber es ging dann ohne irgendwelche Überlegungen auf der Bahn weiter, denn es gab nichts Offizielles. Aber Doktor van Aaken hat die drei ersten von dem Lauf nach Boston eingeladen. Das war schon ein halbes Jahr später. Er hat uns die Reise bezahlt, weil dort Frauen schon mitlaufen durften. Da hatte die Kathy Switzer schon ein paar Jahre vorher es geschafft, dass Frauen da laufen durften. Und da haben wir dann auch schon unseren zweiten Marathon gemacht, ein halbes Jahr später. Aber in Deutschland war da noch gar nichts.“

… Weltbestzeiten und zu kurze Strecken

„Anfangs war die Motivation nicht so da, um Marathon weiterzulaufen, auch nach Boston nicht, weil es in Deutschland nichts gab. Es gab überhaupt keine Strecke, die wir laufen konnten. Und die Motivation, das im Training auch auszubauen, kam erst nach meinem zweiten Lauf in Waldniel. Der van Aaken hat im Jahr darauf den Lauf wieder ausgerichtet. Und da bin ich dann auch wieder als Mittelstrecklerin gegen Liane Winter gelaufen, noch ohne Marathontraining. Mit der konnte ich 30 Kilometer gut zusammenlaufen. Und Liane war schon zu der Zeit eine Läuferin, die nur Ausdauertraining gemacht hat. Die war gar nicht auf der Bahn zu sehen. Die hat nur so etwas gemacht, jetzt nicht als Wettkampf, sondern mehr so für sich. Und nach diesem Lauf, da bin ich zwar schneller gelaufen als im Jahr davor, aber da habe ich gedacht: Wenn man jetzt mehr trainieren würde, längere Strecken trainieren würde, müsste man eigentlich auch deutlich schneller laufen können. Und das war dann der Punkt, wo ich dann gedacht habe, ich mache mal lange Strecken im Training.
Als ich mich entschlossen habe, Marathon zu laufen, sah das Training dann so aus, dass ich jeden Tag 20-Kilometer gelaufen bin – also nur Ausdauerlaufen. Und kam dann auch mal auf über 100-Kilometer in einer Woche. Dann habe ich mich in Essen bei einem Lauf angemeldet. Da liefen alle meine Bekannten. Dieser Lauf ist ja auch jedes Jahr am Baldeneysee. Und nachdem ich fünf Wochen dann meine Trainingskilometer hochgeschraubt habe, auf über 100, habe ich mich da direkt um 15 Minuten verbessert und bin Weltbestzeit gelaufen, die mir dann aber wieder aberkannt wurde, weil die Strecke zu kurz war. Das war auch so eine Sache. Die liefen schon zehn Jahre in Essen auf einer zu kurzen Strecke. Und dann kam ich als erste Frau und lief für die eine utopische Zeit und dann war die Strecke zu kurz, und die Männer sind die ganzen Jahre vorher immer Bestzeiten gelaufen. Das sind so Sachen, die man auch erlebt hat, dass die Strecken dann oft nachgemessen wurden, weil die Frauen plötzlich zugute Zeiten liefen.“

… erste Preisgelder und die Professionalisierung des Frauen-Marathons

„Mein erster Sachpreis, der war bei einem Zehn-Kilometer-Lauf. Das war ein Eierkocher. Das vergesse ich auch nie. Mit Preisgeldern fing das irgendwann in den 80er-Jahren an. Und zwar kam das hauptsächlich durch AVON. AVON ist in Amerika ganz groß eingestiegen durch die Kathrine Switzer, die da beschäftigt ist. AVON hat ja dann auch da die ersten reinen Frauenläufe ausgerichtet, wo es dann auch zum ersten Mal Preisgelder gab. Da durften nur Frauen laufen und die ersten zehn- und 15 Frauen bekamen Preisgeld. Es ging dann vielleicht mit 10.000 Dollar damals los, bis zur Letzten, die dann noch 500 Dollar bekam. Das war Anfang der Achtziger, da bin ich noch nicht gelaufen.

Aber 1982 oder 1983 muss das gewesen sein. Es waren amerikanische Ausscheidungen für Olympia 1984. Und bei diesen amerikanischen Meisterschaften in Los Angeles war ich eingeladen. Da gab es ersten Mal Preisgeld, und zwar 15.000 Dollar für die Erste, dann für die zweite 10.000. Und das war ein reiner Frauenlauf und auch eine schwere Strecke eigentlich. Im Februar war das. Und da ging es auch hoch den Berg ziemlich lange bergauf, zehn Kilometer oder so. Dann geht’s nachher natürlich wieder runter, und da bin ich dann gelaufen. Das war also ganz verrückt, so an zehnter, elfter Stelle. Dazu muss ich sagen, dass ich sehr gerne Läufe gemacht habe, wo Frauen alleine laufen, weil man da immer gut wusste, wo man liegt.

Da lag ich von Anfang an, so an zehnter, elfter Stelle. Vorne weg war schon eine Gruppe, also lief ich ziemlich alleine. Da habe ich gedacht: Boah, wenn man das hält. Die Fünfzehnte kriegt noch tausend Dollar. Das war zu der Zeit unvorstellbar für jemanden, der sonst eine Medaille bekam. Auf jeden Fall lief ich da immer so mein Tempo und die ganze Gruppe, die vorne lief, die hatte ich immer im Blickfeld. Und irgendwann bei Kilometer 25 war ich plötzlich dran und dann direkt vorbei. Da lag ich aber an zweiter Stelle, eine war so weit vorne, die hatte dann auch die Olympia-Ausscheidung gewonnen. Die habe ich gar nicht gesehen. Aber in dem Rennen bin ich zweite geworden und habe 10.000 Dollar gewonnen. Das war also 1982 oder 1983. Ich habe da meinen Mann angerufen. Ich habe gesagt: ‚Stell dir mal vor!‘ Ich bin Bestzeit gelaufen, 2:33 Stunden oder so. Das war unvorstellbar. Das war so der Anfang der 1980er-Jahre und die anderen Läufe, die man dann gemacht hat, davon habe ich keinen gewonnen. Ich bin dann noch mal in Los Angeles gelaufen. Da war ich auch Zweite, mit nur neun Sekunden Rückstand. Das war auch ein Männer-Rennen. Da habe ich nicht gewusst, dass ich so weit vorne liege. Und ja, dann konnte ich mir auch noch was verdienen.“

… ihren Verzicht auf den ersten olympischen Marathon der Frauen 1984

„Es war ja Olympia 1984, und da ist im Vorfeld eine Sache passiert, und zwar war das 1983.
Es waren Weltmeisterschaften und es sollten Ausscheidungen sein. Und ich bin in einem Jahr schon zweimal die Quali gelaufen. Nämlich in Los Angeles, wo ich Zweite war und auch noch woanders. Und dann waren deutsche Meisterschaften auf der Bahn, ich hatte da Probleme mit meiner Verse, wo ich dann eine längere Zeit laboriert habe.

Mit Absprache des Verbandstrainers bin ich nicht die 10.000 auf der Bahn gelaufen, weil ich auch nicht so gerne die 10.000 auf der Bahn lief. Danach wurde dann für die Weltmeisterschaft die Mannschaft nominiert. Und ich lese die Zeitung am nächsten Tag, und ich war nicht dabei. Da hat man mich nicht nominiert, weil ich bei den 10.000-Metern nicht mitgelaufen bin. Mit dem DLV-Trainer hatte ich abgesprochen, dass ich da nicht laufe und der hat es nicht geschafft, denen das klarzumachen. Also es blieb dabei, ich war nicht nominiert. Und da sind so viele Leute auf die Barrikaden gegangen. Ich weiß nicht, wer sich da alles beim DLV beschwert hat. Ich hatte die beste Zeit damals mit Charlotte Teske.

Und eine Woche oder anderthalb Wochen vorher kriegte ich einen Anruf im Büro. Wenn ich heute Abend 5000-Meter laufe und einen Leistungsnachweis bringe, dann würde ich vielleicht doch noch mitkommen nach Helsinki. Ich wollte das nicht. Ich habe gesagt: ‚Mach ich nicht. Ich kann nicht jetzt heute Abend einen Leistungsnachweis bringen.‘ Und dann haben sich aber alle meine Trainer vom Verein, mein Mann, alle haben mich bekniet, das doch zu machen. Die 5000-Meter irgendwo in Dormagen als Leistungsnachweis zu laufen. Dann habe ich das widerwillig gemacht. Der Leistungsnachweis passte, und dann bin ich noch nachnominiert worden. Aber ohne jetzt wirklich vorbereitet zu sein. Und dann bin ich auch relativ schlecht gelaufen in Helsinki. Wir alle drei übrigens: Charlotte Teske, Monika Lövenich und ich. Wir sind alle nicht so in dem Bereich gelaufen, was wir vorher gelaufen wären. Und das Erste, was uns dann gesagt wurde: ‚Mit solchen Leistungen braucht ihr nicht zu denken, dass ihr nächstes Jahr bei Olympia dabei sein werdet!‘ Da war ich so sauer, dass ich zu dem DLV-Trainer gesagt habe: ‚Weißt du was? Ihr könnt mich mal, ich mache jetzt gar nichts mehr.‘ Ich war ja auch schon 35. Da war ich ja auch schon relativ alt. Ich war so sauer darüber, dann habe ich mich aus dem DLV abgemeldet, komplett abgemeldet. Ich habe meinen Job damals gekündigt, um noch solange ich das konnte, es gab ja inzwischen auch Geld zu verdienen, in Amerika zu laufen. Das habe ich auch durchgezogen. Aber im Jahr als Olympia war, dann war ich schon ganz traurig, nicht dabei zu sein. Aber letztendlich war ich schon sehr sauer.“

Streckenlängen als jugendliche Läuferin

Von der Mittel- zur Langstreckenläuferin

Der erste exklusive Marathon für Frauen in Waldniel 1973

Schuhsponsor Brütting

Friedensmarathon in Košice


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

Mehr zur Vita von Christa Vahlensieck finden Sie auf der Seite der WUPPERFRAUEN