Rainer Ruth
*1954
Multi-Sportfunktionär und Schulleiter der Hans-Tilkowski-Schule in Herne
Die Vita des Essener Schulamtsdirektors a. D. ist gekennzeichnet durch sein gesellschaftliches Engagement. Sein sportlicher Werdegang führte u. a. über die Essener Sportjugend zum Präsidium des Westdeutschen Tischtennisverbands (WTTV) bis in das Präsidium des LSB NRW.
Kurzbiografie
- Geboren 1954 in Essen
- I. und II. Staatsexamen (Lehramt Sport und ev. Theologie) Ruhr-Universität Bochum
- 1990-1997 Vorsitzender bzw. Vorsitzender der Sportjugend Essen
- 1992-1997 und 2012-2022 Vorstandsmitglied Essener Sportbund e.V.
- 1992-1995 Mitglied der Arbeitsgruppe Sport-, Jugend-, und Gesellschaftspolitik der Sportjugend NRW
- 1994-2007 Fachberater im Schulsport bei der BR Arnsberg
- 1996-2011 Stellv. Vorsitzender des Trägervereins Ruhrolympiade e. V.
- 1999 Berufung in die Lehrplankommission Sport im Land NRW
- 2000-2012 Rektor der Hans-Tilkowski-Schule in Herne
- 2011-2016 Vizepräsident Sportentwicklung (WTTV)
- 2012 Schulsportpreis des DOSB für die Hans-Tilkowski Hauptschule in Herne
- 2012-2016 Vizepräsident Sportjugend LSB NRW
- 2013-2016 Vorstandsmitglied bei der Deutschen Sportjugend – Sprecher der Landessportjugenden
- Ehrenmitglied des LSB NRW
- 2016 Prämiert mit dem DSJ- Diskus
- 2018 Verleihung der Sportplakette des Landes NRW
Rainer Ruth über …
„Die Erfahrungen mit dem Schulsport waren grundsätzlich sehr positiv. Wir haben ja überall Sport getrieben. Gedeckte Sportflächen waren auch nicht überall vorhanden. Wenn wir Ausdauerlaufen gemacht haben, dann wurden wir von den Sportlehrern auf die Straße geschickt: ‚Jetzt lauft ihr fünfmal um die Schule!‘
Das ist heute nicht unbedingt mehr der Fall. Jetzt müssen Laufbahnen herhalten. Damals war es einfach so, da wo was war, hat auch der Schulsport stattgefunden. Es wurden immer die Rahmenbedingungen als Anlass genommen, um Schulsport zu betreiben, aber vom Grundsatz sehr vielfältig und im Grundschulbereich nicht unbedingt immer von ausgebildeten Sportlehrerinnen und Sportlehrern, sondern eigentlich vom Klassenlehrer. Insofern war immer Bewegung angesagt, nicht Spezialisierung in einem bestimmten Bereich.
Die Intensität hat sich dann gesteigert. In der Grundschule war sie im normalen Bereich. Heute sehen wir das schon etwas anders, was den Bewegungsanlass anders angeht.
Es war auch die Zeit, wo die Schule sich sehr intensiv durch Sport ausgezeichnet hat. Deswegen mussten wir ja auch Kleidung tragen, die deutlich darauf hinwies, dass wir von einer bestimmten Schule kommen, damals in Essen war es das Helmholtz-Gymnasium. Meine Mutter musste damals einen dicken Aufnäher entsprechend auch auf das T-Shirt und die kurzen Hosen nähen.
Der Sportunterricht war vielfältig. Es war deutlich mehr Geräteturnen in der Ausbildung. Es wurden mehr Wettkämpfe miteinander veranstaltet, und er steigerte sich im Laufe der Jahre intensiv. Das heißt also, es gab immer mehr Veranstaltungen in denen man dann auch Sport treiben konnte. Und damit meine ich jetzt nicht so wie heute, immer nur die Bundesjugendspiele, sondern es gab in Essen das sogenannte Stadtwaldfest, in dem die verschiedene Schulen gegeneinander gekämpft haben und wir dann am damaligen Gruga Stadion für die Schule die entsprechenden Siege eingefahren haben. Das war schon sehr intensiv.
Ich war später auch in der Volleyball-Schulsport-Mannschaft meines Gymnasiums.
Ich war der erste Jahrgang der das neue Abitur gemacht hat. Ich konnte zwar nicht den Leistungskurs-Sport belegen, wie man es heute machen kann. Aber ich hatte Sport als viertes Abiturfach. Von daher habe ich sehr viel, sehr intensiv Sport getrieben.
Da das ganze System neu war, konnte ich das so durchschauen, dass ich nachher alle meine Pflichtkurse in Jahrgang 13 abgedeckt hatte und dann sechs oder sieben Grundkurse Sport durchführen konnte. Das ist nachher geändert worden, nachdem mein Oberstufenleiter in Düsseldorf angerufen hat und gefragt hat, ob das so sein kann. Das war so ein Bereich, den ich und sehr viele mit mir, dann so mitgemacht und ausgenutzt haben.
Wir waren dann bei einem sehr guten Sportlehrer, der uns sehr intensiv auch gefördert hat – Freddy Wehrmann, der dann Diplom-Sportlehrer aus Köln an die Schule geholt hat. Und der mit uns neben dem normalen Schulsport, auch außerunterrichtlich sehr viel Sport getrieben hat.“
„Angefangen hatte es mit den Vereinssport kurz nach dem Abitur. Mein Schwager spielte in dem Fußballverein Arminia Sodingen in Herne. Und wie es dann so ist innerhalb von Familie und Beziehungen kommt man dann auch zu einem Sportverein, sodass ich dort intensiv, aber nur in der Kreisklasse Fußball gespielt habe. Ich war auch nicht über viele Jahre fußballerisch ausgebildet, von daher war ich in der Verteidigerposition. Aber alle haben dann auch geschrien, wenn der Platz besonders schmutzig, dreckig, nass oder glatt war: ‚Rainer, das ist dein Platz!‘ Und entsprechend habe ich dann auch gekämpft, um die Mannschaft nach vorne zu bringen. Ich habe mir dann allerdings dort einen doppelten Außenknöchelbruch zugezogen, was das Sportstudium dann auch etwas verzögert hat. Aber die Verletzung hat keine bleibenden Schäden hinterlassen.
Ich habe dann im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Zusammenhängen, Kooperationen mit Sportvereinen ausgeführt. Ich habe für jemanden vertretungsweise eine Damen-Volleyballmannschaft trainiert. Ich habe in meinem ortsansässigen Vereinen in Essen-Haarzopf auch Badminton gespielt. Ich war natürlich dann verbunden mit der MTG-Horst, einem Großverein, im Essener Osten, der eine sehr gute Tischtennis-Mannschaft hat und durch meine spätere Tätigkeit im Westdeutschen Tischtennis-Verband, bin ich dort auch Fördermitglied geworden, habe selber aber nicht gespielt, weil das die Zeit absolut nicht zugelassen hat. Da war eine große Bandbreite dessen, was ich ausprobiert habe und wo ich dann auch aktiv und passiv in Sportvereinen tätig war.
Die Organisation des Vereinssports, war damals sehr familiengruppenintensiv. Das heißt also, dass oft ganze Familien in den Sportverein gegangen sind und man sich unabhängig vom Sporttreiben getroffen und sich gegenseitig Hilfestellung geleistet hat. Sollte mal zu Hause eine Bohrmaschine fehlen, wusste man sofort, man hat die entsprechende Ansprechpartnerin oder den Ansprechpartner im Sportverein.
Es war ein Gruppentraining innerhalb des Vereins, was sehr auf den eigenen Verein bezogen war. Das Beste war immer im eigenen Verein. Darauf haben auch Übungsleiterinnen und Übungsleiter geachtet, also dass sich die Qualität auch an entsprechenden Erfolgen messen ließ. Das würde ich heute nicht mehr unbedingt sagen.
Wenn es so in dem Breitensport Übungsleiterbereich reingeht, dann liegt es den Übungsleiterinnen und Übungsleitern eher nahe die Kinder dahin zu führen, dass sie entsprechend Sportspiele und Bewegungen ausführen können und einfach mit einem guten Gefühl und einer sportlichen Leistung nach Hause gehen, das Miteinander in der Gruppe dann entsprechend fördern und möglichst, viele Erfolgserlebnisse für jeden zu schaffen. Selbst diejenigen, die nicht so sportaffin noch so weit zu unterstützen, dass sie entsprechend auch mit einem guten Gefühl nach Hause gegangen sind.“
„Meines Erachtens wird viel zu wenig berücksichtigt, dass wir ein sehr aufgeteiltes Ruhrgebiet haben. Ich würde schon sehr deutlich sagen, dass wir ein Nord-Süd-Gefälle im Ruhrgebiet haben. Ich sage immer so grob, dass die A40 eine trennende Linie markiert, dass Kinder und Jugendliche, die südlich der A40 aufwachsen, andere Voraussetzungen, andere Bildungschancen und andere Möglichkeiten haben. Das eröffnet sich dadurch, dass es dort auch Haushalte gibt, die bildungsnäher sind, während sich im Essener- oder Ruhrgebiets Norden doch vielfältige Probleme auftun. Das hat auch etwas mit der Ausstattung an Sportgelegenheiten zu tun. Das hat was mit der dichten Wohnbebauung zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass sich gerade eher im Ruhrgebiets Norden höhere Migrationszahlen oder Zuwanderungszahlen ergeben. Und das eine entsprechende Sozialisation dann auch gemeinsam mit den Eltern in den Verein zu gehen nicht gegeben ist. Ich beobachte sehr stark, dass Jugendliche im Verein nicht so bindungsfähig sind, weil auch die Eltern da nicht tätig sind. Sie begleiten die vielleicht mal, wollen alle, dass die Kinder Spitzenfußballer werden oder später vielleicht auch noch Geld verdienen, sich aber selber nicht so intensiv in die Vereinsarbeit einbringen.
Gleichzeitig gibt es dort auch größerer Migrantenvereine, die das Ganze etwas auffangen, allerdings fehlt mir da die Heterogenität. Meines Erachtens sollte da in der Stadtentwicklung viel mehr Rücksicht darauf genommen werden, dass also diese Bewegungsarmut, die ich auch dort beobachtet, berücksichtigt wird durch andere Sportgelegenheiten, Sportstätten und Sportangeboten, die auch vereinsungebunden stattfinden könnten.
Also der Zuzug von polnischen und russischen Schülerinnen und Schülern war sehr unterschiedlich. Zuerst kamen gerade diejenigen, die noch Deutsch gesprochen haben, die also noch einen leichteren Zugang hatten und von daher relativ schnell integriert waren. Später, als mehr Schülerinnen und Schüler aus dem Osten kamen, war es schwieriger sie dann entsprechend zu integrieren. Aber das ist eben auch die Möglichkeit des Sports. Spätestens im Sportunterricht konnte man beobachten, dass die Sprache keine Rolle mehr spielte. Also dieses Motto ‚Sport spricht alle Sprachen‘, das konnte man ständig entsprechend beobachten. Man hat sich dann die Worte zugeworfen. Jeder wusste sofort, was zu tun ist. Die Grundlage für das Miteinander im Unterricht, wurde dann auch schon im Sportunterricht angelegt, weil man sich dann ganz anders nahegekommen ist.“
„Ein Großteil der dort engagierten Menschen wollte die Ruhrolympiade verändern. Das hat nicht zum Konsens geführt, es sind Risse und Splittergruppen entstanden.
Die einen waren dafür, die anderen weniger, die einen waren sehr konservativ und wollten bestimmte Dinge so zu lassen, wie sie waren, weil eben auch dadurch der Vorteil entstand, mit der Kommune zum Beispiel ganz anders im Gespräch zu sein.
Es ist letztendlich an der mangelnden Kooperation gescheitert, bis dann der RVR, beziehungsweise Mitarbeiter des RVR, die Ruhrolympiade neu gestaltet haben.
Das hat zu den sehr erfolgreichen und mit Sicherheit hochprofessionalisierten Ruhr Games geführt. Aber das ist nicht mehr vergleichbar. Die Ruhr Games sind nicht mehr eine Veranstaltung für Kinder und Jugendliche im Ruhrgebiet, sondern es geht darum, dass das Ruhrgebiet zeigen kann, wie gut der Nachwuchsleistungssport ist, welche Möglichkeiten sich auch im kulturellen- und im Jugendbereich eröffnen. Es sind also die unterschiedlichsten Aspekte darin zu sehen, aber nicht mehr der ‚Familienbetrieb‘, der vorher stattgefunden hat. Sportjugenden verloren an Bedeutung. Das hat zu sehr vielen negativen Auswirkungen auch bei einzelnen Sportjugenden geführt. Und da der RVR nicht unbedingt die intensivste Zusammenarbeit in dem Bereich pflegt, hat auch die Sportjugend NRW sich dann entsprechend herausgehalten und organisiert eigentlich nur die internationalen Begegnungen im Rahmen der Ruhr Games. Was eine hervorragende Veranstaltung ist. Denn wie gesagt, das ist auch die wahnsinnig wichtige Möglichkeit, um Menschen zusammenzubringen. Völkerverständigung findet im Sport und durch Sport statt. Und wenn sich da Hunderte von Menschen treffen, gleichgesinnt im Sport ist das eine Möglichkeit, die man in anderen Bereichen, vielleicht im kulturellen Bereich noch, aber sonst kaum wahrnehmen kann. Aber wie gesagt, die Ruhr Games haben sich etabliert, sind auch entsprechend anerkannt. Sie haben eine hohe Akzeptanz. Es sind auch andere Bezuschussungen seitens der Landesregierung da. Das muss man auch noch mal deutlich sagen, und in dem Rahmen hätte die Ruhrolympiade vielleicht auch anders ausgesehen. Aber insofern sehe ich die Sache sehr ambivalent. Das eine ist diese erfolgreiche neue Veranstaltung – Ruhr Games und andererseits der Verlust einer Veranstaltung.“
„Da ich aus Essen komme, darf ich das sagen: ‚Herne ist ein Dorf.‘ Aber es ist ein liebes Dorf. Man kennt in Herne alle und jeden. Man kennt sich untereinander. Man kann ganz vieles regeln, indem man mal eben ein kurzes Telefonat führt und nicht einen langen Antrag stellt. Und vor diesem Hintergrund hatte ich auch sehr gute Kontakte. Einerseits natürlich zu Westfalia Herne, aber vor allen Dingen auch zum HTC. Das ist der Basketballverein, der auch eine Damen-Bundesliga-Mannschaft hat. Ich habe mit dem Vorsitzenden Wolfgang Siebert die erste Kooperationsvereinbarung für den Ganztag gehabt. Das heißt, wir sind als eine der wenigen Schulen von Anfang an gebundene Ganztagshauptschule geworden und mussten natürlich auch eine Gestaltung des Nachmittags vornehmen. Zum einen war mir wichtig, dass Kinder und Jugendliche mehr als drei Stunden Sport in der Woche haben. Gerade bei den Schülerinnen und Schülern, die zur Hauptschule gehen. Und zum anderen brauchte ich kompetente Menschen, die auch Lust hatten, sich mit diesen Schülern entsprechend auseinanderzusetzen.
Da bot mir Wolfgang Siebert an, dass er die Ganztagsbetreuung als Kooperationspartner entsprechend übernimmt. Und so ist praktisch der gesamte Verein mit eingestiegen, indem er Übungsleiter und Übungsleiterinnen gestellt hat. Der Verein hat über Zivildienstleistende dann Leute in die Schule mitgebracht, die dann weitere Aufgaben übernommen haben.
Wir haben also ein tägliches Sportangebot geschaffen, das bei damals 360-400 Schülern schon einer intensiven organisatorischen Vorbereitung bedurfte, sodass wir auch in Herne die erste und einzige Schule mit einem Sport-Träger waren. Und da trat der Verein als Träger des Ganztages auf. In der Regel haben eher kirchliche Organisationen, die AWO oder andere diese Aufgaben übernommen. Aber die Hans-Tilkowski-Hauptschule war damals dafür bekannt, eben auch mit Bewegung, Spiel und Sport ganz vorne zu stehen. Was sich dann später auch in dem Deutschen Schulsportpreis gezeigt hat.“