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Titus Dittmann

*1948
Skateboard-Pionier

Kaum ein Deutscher prägte die Entwicklung der Skateboardszene so nachhaltig wie Titus. Neben der Organisation von zahlreichen Wettkämpfen und seiner Rolle als erfolgreicher Unternehmer steht sein Name besonders mit der Stiftung Skate-Aid in Verbindung.

Kurzbiografie

  • Geboren 1948 in Kirchen an der Sieg
  • 1978-1987 Abteilungsleiter Skateboard der Turngemeinde Münster
  • 1982-2005 Ausrichter der Skateboard Weltmeisterschaften
  • 1982 Premiere des Münster-Monster-Masterhip
  • 1984 Teilnehmer der Snowboard Weltmeisterschaft
  • 1989 NRW Meister im Skateboard Slalom
  • Entrepreneur des Jahres 2001
  • Deutscher Gründerpreis 2013
  • 2013 Ernennung zum World Chairman of Skateboarding durch den Weltverband FIRS
  • 2021 Bundesverdienstkreuz am Bande

Titus Dittmann über …

… Kindheit im Westerwald und selbstbestimmtes Lernen

„Heute weiß ich, dass ich von Geburt an ADHS habe. Und von daher war ich natürlich hyperaktiv, und Bewegung war für mich als Kanal das Ein und Alles. Das habe ich dann irgendwann auch ganz bewusst gemerkt. Und heute weiß ich auch, dass dieses Bedürfnis zu diesen ganzen Pioniersportarten, Extremsportarten, Action-Sport, wie man das auch immer nennt, aus zwei Gründen genau das Richtige für mich war: Erstens, es ist nicht nur Bewegung, sondern hat auch viel mit mentaler Stärke zu tun oder zumindest damit, mental stark zu werden. Man muss Angst überwinden und sich damit beschäftigen, wenn man Pionier ist. Und inzwischen weiß ich, das Schönste am Pioniersein, auch im sportlichen Bereich, ist, dass Pioniere keine Lehrer haben. Man kann also selbstbestimmt lernen. Und das selbstbestimmte Lernen hat mich beim Skateboarden so fasziniert. Es ist eigentlich das A und O, sich selber die Ziele zu setzen und hart daran zu arbeiten. Beim Skateboardfahren fällt man laufend auf die Schnauze: Nicht jammern, Dreck aus den Klamotten, Blut wegwischen, wieder versuchen, so lange, bis der Trick steht. Und das kann man ja heute noch beobachten an jedem Anfänger. Die wollen alle einen Ollie lernen. Das ist ein sehr komplexer Bewegungsablauf. Man hört kein Jammern. Immer wieder aufstehen, aufstehen, aufstehen. Das ist das Erste, was man aus solchen selbstbestimmten Sportarten lernt: dass man immer einmal mehr aufstehen muss als hinfallen, ansonsten ist das Leben ja mehr oder weniger vorbei.

Und das hat mir in der Kindheit, gerade in den 1950er-Jahren, auch unglaublich gut geholfen. Ich muss dazu sagen: Wir als Kinder der 1950er-Jahre hatten noch viel mehr Möglichkeiten, um uns selbstbestimmt zu sozialisieren. Also Selbstsozialisation — das habe ich auch in meinem Buch „lernen muss nicht scheiße sein“ versucht klarzumachen, wenn wir heutzutage über Bildung reden, dass wir immer nur ans fremdbestimmte Lernen denken, an Schule, an Universität. Und dann kommen die Kinder nach Hause, dann wird gefördert, und der nächste Trainer wartet hinter der nächsten Ecke. Und Kinder haben fast gar keine erwachsenenfreie Zeit mehr und lernen gar nicht mehr, wie wir früher zwangsläufig, dass man im Leben für sich selber Verantwortung übernehmen muss. Wenn ein Kind immer nur mit Betriebsanleitung unterwegs ist, nur gefördert wird und nicht alleine gelassen wird, dann kann es ja gar nicht spüren, was das bedeutet, Verantwortung für sich selber zu übernehmen. Es kann keine Langeweile bekommen, wenn es immer bespaßt wird. Und Langeweile ist für mich das Nadelöhr zum Glück. Weil sie zwingt einen, kreativ zu werden, um aus diesem Scheißgefühl der Langeweile herauszukommen.

Meine Eltern hatten fünf Kinder, noch keine Nanny, kein Geld für eine Putzhilfe, der Alte musste noch samstags arbeiten, acht Stunden am Tag, wie auch immer. Ja, dann bleibt pro Kind gar nicht mehr so viel Aufmerksamkeit. Und dann heißt es: ‚Hau endlich ab, hör auf zu nerven. Komm wieder, wenn es dunkel wird.‘

Und dann waren wir Zwangsunternehmer im Westerwald.

Und dann stand man da alleine, hat sich gelangweilt und ist dann hergegangen und hat gesagt: ‚So, jetzt bin ich clever, jetzt sag’ ich meinen Kumpels Bescheid, dann trifft man sich ja. Was können wir machen?‘ Also hat man Spiele erfunden. Wir haben damals ‚Westerwälder Gotcha‘ Ende der 1950er-Jahre erfunden. Mit anderen Worten: Wir haben uns Tannenzapfen in die Hosen gesteckt, dann wurden zwei Mannschaften gebildet, da wurde sich damit beworfen. Und wer getroffen wurde, der war tot. Ich war allerdings ganz geschickt im Bäume klettern. Ich habe mich immer verpisst in die höchste Tanne, habe gewartet, bis sich alle totgeschossen haben, dann bin ich wieder heruntergekommen. Da war ich immer bei den Gewinnern.

Ich wollte damit auch sagen: Bei Bewegung und beim Sport geht es ja nicht nur rein um die sportliche Leistung, sondern je mehr es auch ein selbstbestimmter Sport ist, umso mehr ist das auch Persönlichkeitsbildung.

Deswegen sagen wir bei Skate-Aid: ‚Wir machen Kinder stark‘, weil wir ihnen den Raum geben, sich selbst die Aufgaben zu stellen, daran zu wachsen und das Selbstkonzept zu heben. Jeder Mensch, insbesondere Kinder, die haben ja auch ein Selbstkonzept. Das ist das, was man sich zutraut. Und es ist oft schwierig, dieses Selbstkonzept von außen zu heben und zu sagen: ‚Ach komm, das schaffst du schon.‘ Wie auch immer, ist alles gut gemeint. Aber das Beste ist, wenn sich ein Kind oder ein Jugendlicher selbst entscheidet: Das werde ich jetzt machen und das werde ich packen!

Denn wenn dann anschließend der Erfolg kommt, dann nennen wir das so schön Euphorie. Aber in Wirklichkeit ist das ja nichts anderes als ein körpereigener Drogenrausch, wo unser Belohnungszentrum überschüttet wird mit Endorphinen, Dopamin und was weiß ich. Und das ist ja auch das Schöne.“

 

… Skateboarden im Curriculum

„Es gibt so viele Gründe, warum ich Lehrer geworden bin. Man wird ja oft das, wo man spürt: Das könnte mein Ding sein. Zum einen kann man bei der psychologischen Seite anfangen: Wenn man in der Schule nicht so die Akzeptanz findet und so weiter. Der Lehrer ist immer der Große, und du bist immer der Kleine. Man möchte ja auch mal groß werden und auf der anderen Seite stehen. Das ist vielleicht das erste Bedürfnis gewesen, Lehrer zu werden – um endlich in diese Position zu kommen, vom Establishment akzeptiert zu werden, dass du etwas leistest und dass du auch dazugehörst. Aber es gab noch viele andere Gründe, natürlich auch den Zeitgeist und den Einfluss der Politik auf Berufe und die Gesellschaft. Es herrschte Lehrermangel, und plötzlich hieß es überall: ‚Wir brauchen Lehrer, wir brauchen Lehrer!‘ Es wurden damals S-Klassen, also Sonderklassen, eingerichtet, damit man ein Schmalspur-Abitur machen konnte und dann an der Pädagogischen Hochschule für die Volksschulen, so hießen die damals, Lehrer bekam.

Ich wollte nie weiter zur Schule gehen. Nach der Hauptschule wollte ich Elektriker werden, wie mein Bruder und mein Vater. Und allein diese Versagensangst: Ich bin der Erste, der Abitur machen soll, denn meine Eltern wollten das so. Da habe ich mich mit Händen und Füßen geweigert. Aber als ich dann von der S-Klasse gehört habe, war das für mich eine schöne Brücke. ‚Ach ja, S-Klasse, das ist vielleicht doch nicht so anspruchsvoll, das probiere ich mal.‘ Dann bekam ich irgendwann die Mittlere Reife, und da habe ich gesehen: Die machen auch alle nur mit Wasser kochen. Da kannst du auch das normale Abitur schaffen, kannst auch Studienrat werden – so hat sich das entwickelt. Also wirklich aus der politischen Kampagne: Wir brauchen Lehrer.

Dann war natürlich auch die Frage dabei: Wie gestalte ich mein Leben? Ein bisschen das Bedürfnis nach Sicherheit befriedigen. Welchen Weg gehe ich? Ich muss erst mal lernen, was wichtig im Leben ist. Ich habe mich nach den vorgegebenen Zielen gerichtet: Sicherheit, ein bisschen Geld und so. ‚Okay, dann werde ich Beamter, dann ist das erledigt.‘ Das waren alles Beweggründe. Ich musste erst lernen, dass das nicht zum Glück führt, sondern dass Geld mit Glück nur indirekt zu tun hat. Sondern es hängt davon ab, ob du dich gut fühlst. Machst du sinnvolle Sachen, bist du stolz auf dich, was bewegst du im Leben? Und das war dann der Grund, warum ich den Beamtenstatus an den Nagel gehängt habe. Ich habe gemerkt: Das System ist wie ein Korsett.

Ich hatte das Skateboarden schon sehr früh kennengelernt, noch vor der Schulzeit, kurz vor dem Uni-Examen. Da musste man noch eine zweite staatliche Examensarbeit schreiben, und da habe ich das Skateboarden entdeckt. 1977 war das noch Hardcore und ziemlich schlecht angesehen. Man kann das googeln: ‚Gefährliche Rollbretter, Tagesschau 1977.‘ Da sieht man einen Mann mit Backenbart, der dem deutschen Volk erzählt, dass die Bundesregierung zusammensitzt, um Skateboardfahren in Deutschland zu verbieten, weil man diese Gefahr aus den USA nicht auf die deutsche Jugend kommen lassen will. Das lief in allen Nachrichtensendungen, und ich habe voll an die Presse geglaubt und war überhaupt nicht kritisch. Ich dachte: ‚Ja, das ist doch alles Quatsch, nur gefährlich, nur Kinderkram wie Hula-Hoop, das geht vorbei.‘

Dann habe ich als angehender Pädagoge, vor meinem Referendariat, das erste Mal Skateboarder live in Münster gesehen. Und mit meinen pädagogischen Antennen, die mir im Studium ständig sagten: ‚Boah, die haben alle keinen Bock. Da musst du dir tausend Tricks ausdenken, um die zu motivieren.‘ Auf einmal sehe ich da ein Dutzend Jugendliche, die vom Lernen keine Schnauze voll haben. Kein Erwachsener, kein Lehrer dabei, und die wollen lernen, lernen, lernen – sie wollen Skateboard fahren, lernen und fallen dabei ständig auf die Nase. Sie tun sich weh, aber das ist egal.

Als angehender Lehrer hat mich das fasziniert, und ich dachte: Das ist unfassbar, was dieses Brett da bewirkt. Aus pädagogischer Sicht entsteht plötzlich eine intrinsische Motivation – man will das einfach. Da habe ich mir gedacht: Wenn du das Geheimnis kennst, dann hast du als Lehrer einen geilen Job. Du musst dich nicht dauernd bemühen, die Kinder zu motivieren, sondern du musst nur das Richtige anbieten, und sie sind motiviert.

Ich habe es selbst ausprobiert und gespürt, was das bei mir bewirkt hat, mit fast 30 Jahren. Dieses selbstbestimmte Lernen, das ich unbedingt wollte, das mich weitergebracht und stark gemacht hat. Das ständige Dranbleiben, Hinfallen, Aufstehen und dann stolz sein. Und in meiner Laufbahn, in der ich fürs Establishment oft nur der Störer war, wurde ich plötzlich der ‚alte Sack‘, der mehr draufhatte im Organisieren, und die Kids fanden einen Erwachsenen, zu dem sie sagen konnten: ‚Ey, wir brauchen das, wir brauchen das.‘ Ich war begeistert und habe alles umgesetzt. So bin ich in so ein Vakuum reingezogen worden, das meiner Persönlichkeit extrem gutgetan hat – dieses selbstbestimmte Lernen und der Erfolg, den ich hatte.“

 

… Skateboarder im Turnverein und das Titus-Skates-Show-Team

„Als ich 1982 angefangen habe, den ersten Contest in Münster zu organisieren, habe ich dafür gesorgt, dass wir einen Skatepark bekommen. Dafür habe ich extra eine Abteilung in der Turngemeinde Münster gegründet. Das war mein Vorteil: Ich war damals schon erwachsener und konnte strategisch vorgehen. Die Skateboarder haben gar nicht gemerkt, dass sie plötzlich in einem Turnverein waren oder wie auch immer. Ich habe diese etablierten Strukturen einfach genutzt, damit wir unseren Sport beziehungsweise unsere bewegungsorientierte Jugendkultur umsetzen und einfach Skateboard fahren konnten. So ist das entstanden – ich habe als Erwachsener mehr Gehör bei der Stadt und in Vereinen gefunden und konnte erklären, was da passiert, was wir machen wollen, und das dann nutzen, um überhaupt eine Basis zu schaffen.

Bevor das mit dem Verein und dem Park losging, ist noch etwas Interessantes passiert: Du hast gerade von diesem Schülerteam und dem Titus-Show-Team erzählt. Das ist spannend, wie das überhaupt entstanden ist. Das war keine Marketinggeschichte nach dem Motto: ‚Ich will Skateboards verkaufen.‘ Das waren Schüler von mir, und wir wollten natürlich auch fahren. Ich habe eine transportable Halfpipe besorgt, die aussah wie Sperrmüll auf einem Anhänger. Die haben wir dann immer aufgebaut. Aber wir haben ständig Ärger gekriegt, weil die Halfpipe natürlich laut war und Krach machte. Nach spätestens einer halben Stunde kam die Polizei, und wir mussten wieder abbauen. Wenn man dann schon erwachsener ist, kommt man auf kreative Ideen.

Da habe ich gesagt: ‚Weißt du was? Ab jetzt sind wir das Titus-Skates-Show-Team, und ich besorge uns Auftritte.‘ Das war damals etwas völlig Neues. Für die Leute war es eine Sensation, dass da jemand mit einem Skateboard die Wände hochfahren konnte. Citroën war damals schon mein Sponsor als Drachenflieger, also bin ich zu ihnen gegangen und habe gesagt: ‚Hey, ihr stellt die neue Ente vor, wir liefern euch eine Show. Wir wollen gar kein Geld, gebt uns ein paar Würstchen und Cola. Wir wollen nur die Hardware aufbauen und dann die größte Show machen.‘ Und genau das haben wir gemacht. Unter dem Deckmantel eines Showteams, das gut ankam, hatten wir am Wochenende plötzlich Möglichkeiten zum Üben und konnten besser fahren. Als wir besser wurden, haben wir kleine Choreografien einstudiert.

Die erste Shownummer war so, dass jeder ein bisschen fuhr, was er konnte. Zum Abschluss sind wir zu dritt in die Halfpipe gefahren, während zwei andere Skateboarder außen parallel fuhren. Die Halfpipe war nicht sehr breit, und wir waren eng beieinander. Die Außenfahrer sind einfach hin- und hergeschaukelt, hatten noch keinen Flat, keinen Pop und auch keine Plattform oben. Ich bin in der Mitte entgegengesetzt gefahren – für die Zuschauer war das eine Todesnummer, denn wir hätten uns ja treffen können. So ist die Shownummer entstanden und hat sich weiterentwickelt. Wenn wir heute so etwas machen würden, würden die Leute sich kaputtlachen und denken, wir verarschen sie.

Aber damals war das komplett neu. Wir waren die Sensation. Ich habe meinen ersten Drop-in vor 200 Zuschauern gemacht. Keiner konnte so richtig fahren, wir mussten uns das alles selbst erarbeiten. Oben hatten wir keine Plattform, sondern nur lange Stangen, die oben rausragten, an denen man sich festhalten konnte. Man stand auf einem zehn bis fünfzehn Zentimeter breiten Balken, wollte den ersten Drop-in machen, hielt sich fest – und der erste Versuch klappte natürlich nicht. Man fiel hin, hatte zu viel Rücklage, das Brett schoss weg. Die Zuschauer holten das Brett ganz schnell, weil sie Blut sehen wollten, und dann kamen sie immer wieder. Ich bin wieder hoch und wurde von den Zuschauern angespornt. Als ich den Drop-in beim fünften oder sechsten Mal geschafft habe, bekam ich Applaus. Ich glaube, davon träumt jeder Skateboarder: Beim schwersten Trick der Welt Applaus zu bekommen. Und ich habe den für so einen einfachen Drop-in bekommen, nur weil ich wie ein Skateboarder war – immer wieder hinfallen und wieder aufstehen. Und dann war der Erfolg da.“

… Skate-Aid und Unternehmertum

„Zunächst muss ich sagen: Ich bin gar kein Kritiker – ich war nie ein Kritiker, wenn Skateboarden olympisch wird. Ich habe einfach weitergedacht und die Realität gesehen. Und ich habe lediglich gesagt: ‚Wenn Skateboarden olympisch wird, wird es das Skateboarden verändern.‘ Das ist eine ganz neutrale Aussage. Ich bin der Meinung, das ist einfach der Gang der Dinge, und daran wird niemand etwas ändern können. Auch wir haben Skateboarden schon ein bisschen verändert, indem wir zum Beispiel das ‚Münster Monster Mastership‘ organisiert haben. Dort sind, auch wenn andere Dinge noch im Vordergrund standen, Weltklasseleistungen gezeigt worden. Das war ein Wettbewerb, bei dem die ganze Welt zusammenkam. Das hat Skateboarden verändert, genauso wie die vielen anderen Contests, die inzwischen stattgefunden haben.

Skateboarden wird natürlich immer breiter. Je mehr Skateboarden in der Gesellschaft akzeptiert wird, je mehr es sich kommerziell weiterentwickelt und je mehr es auch leistungssportlich vorankommt, desto mehr verliert Skateboarden logischerweise dieses rebellische Ausdrucksmittel, mit dem Jugendliche damals ihre Identität gefunden haben. Es war am Anfang ein Anti-Establishment. Wenn das Establishment und das System dieses Ausdrucksmittel schlucken, dann ist klar, dass die Kraft auf dieser Seite verloren geht.

Aber ich formuliere das neutral, denn für mich ist das als „alter Sack“ einfach ein ganz normaler Gang der Dinge. Warum sollte man sich darüber aufregen? Der Grund, weshalb ich mich ein Jahr lang als World Chairman of Skateboarding im Sinne des IOC einspannen ließ, ist derselbe Gedanke, mit dem ich damals im Business Gas gegeben habe. Wenn sich Leute aufgeregt haben und sagten: ‚Du kommst und machst das kommerziell, du zerstörst das Skateboarden‘, dann habe ich gesagt: ‚Hey Leute, genau umgekehrt! Ich mache das auch deswegen, weil ich Skateboarden nicht den großen Konzernen überlassen möchte, die es damals auch schon gab. Wir Skateboarder verstehen den Sport, deshalb ist es besser, wenn wir das Geschäft machen.‘

Das war meine Argumentation und meine Motivation, im Business richtig Gas zu geben. Mit demselben Gedanken habe ich gesagt: Wenn ich Teil dieser Entwicklung bin, dass Skateboarden olympisch wird, kann ich vielleicht Einfluss nehmen. Vielleicht verstehen die Herren im Olympischen Komitee – meist sind es Herren –, was Skateboarden für Jugendliche bedeutet, was es für ein Freiheitszeichen für sie war. Und dass es nicht einfach so in die gleiche Form gepresst werden sollte, in eine einheitliche Kleidung, und dass jemand vorne die Fahne tragen muss. Das ist alles prima, ich sage das nicht negativ, aber der Grundgedanke, warum Skateboarden für Jugendliche so wichtig war, wird darunter leiden.

Vielleicht kann ich den Offiziellen klar machen, dass man Skateboarden nicht wie Hammerwerfen oder Speerwerfen behandeln darf, sondern dass der Geist des Skateboardens mehr berücksichtigt werden muss. Aber ganz ehrlich: Ich habe mir nicht vorgestellt, wie groß und mächtig dieses Riesenbusiness ist und wie wenig die einzelnen Sportarten die Menschen wirklich interessieren. Es geht vor allem darum, ein riesiges System zu vermarkten, das sich weiterdreht. Und ob da der kleine Titus hinkommt und sagt: ‚Hey, ihr Großen, Skateboarden ist etwas Besonderes, bitte verheizt es nicht und verschult es nicht‘, da habe ich eingesehen: Da kann ich nichts bewegen.

Deshalb habe ich wieder das gemacht, was mir Spaß macht – mich auf die Kids zu konzentrieren. Und ich benutze Skateboarden jetzt als pädagogisches Werkzeug. Und so wird es funktionieren, solange ich lebe.“

… Skateboarden bei den Olympischen Spielen

„Zunächst muss ich mal sagen, ich bin gar kein Kritiker, nie ein Kritiker gewesen, wenn Skateboarden olympisch wird. Ich habe einfach weiter gedacht oder einfach die Realität gesehen. Und ich habe lediglich gesagt: ‚Wenn Skateboarden olympisch wird, wird es das Skateboarden verändern.‘ Und das ist eine ganz neutrale Aussage. Und ich bin der Meinung, das ist einfach der Gang der Dinge. Da wird niemand etwas dran ändern können. Auch wir haben ja schon Skateboarden ein bisschen geändert, indem wir einen “Münster-Monster-Mastership” gemacht haben und plötzlich, auch wenn da andere Dinge noch im Vordergrund standen, diese ästhetische Gesinnungsgenossenschaft, aber es war ja auch ein Wettbewerb, wo die ganze Welt zusammengekommen ist und wo Weltklasseleistungen gebracht wurden. Also das hat schon Skateboarden verändert und auch die ganzen anderen Contests, die alle schon stattgefunden haben. Und Skateboarden wird natürlich immer breiter. Und je mehr Skateboarden natürlich in der normalen Gesellschaft akzeptiert wird, je mehr sich Skateboarden kommerziell weiterentwickelt, je mehr Skateboarden sich leistungssportmäßig weiterentwickelt, desto mehr verliert logischerweise das Skateboarden dieses rebellische Ausdrucksmittel, mit dem Jugendliche damals ihre Identität gefunden haben. Das war ja Anti-Establishment am Anfang.

Und wenn das Establishment und das ganze System natürlich dieses Ausdrucksmittel schluckt, ja, dann ist natürlich klar, dass die Kraft auf der Seite verloren geht. Aber das formuliere ich neutral, weil das in meinen Augen als alter Sack einfach ein ganz normaler Gang der Dinge ist, warum soll man sich darüber aufregen? Und der Grund, weshalb ich mich ein Jahr lang zum World Chairman of Skateboarding habe einspannen lassen im Sinne des IOC, das war mit derselben Argumentation, mit der ich damals im Business Gas gegeben habe. Und wenn sich Leute aufgeregt haben: ‚Oh, du tust das kommerzialisieren, das Skateboarden.‘ Dann sage ich: ‚Ey Leute, das ist genau umgekehrt. Ich mache es auch deswegen, weil ich möchte das Skateboarden nicht den großen Konzernen überlassen, die es damals auch schon gab. Wir haben Skateboarden verstanden und deswegen ist doch besser, wenn Skateboarder das Geschäft machen.‘
Das war meine Argumentation und meine Motivation, an dem Business auch noch richtig Gas zu geben. Mit demselben Gedanken habe ich gedacht: Okay, wenn du ein Teil dann dieser Entwicklung bist, dass es olympisch wird, vielleicht kann ich dort auch ein bisschen Einfluss nehmen. Dass die Herren, meistens sind es Herren im Olympischen Komitee, dass die verstehen, was Skateboarden für Jugendliche bedeutet und was das eigentlich auch für ein Freiheitszeichen immer für Jugendliche war und das plötzlich so einzuzwängen, in die gleiche Kleidung und einer muss die Fahne vorne wegtragen, das ist ist ja alles prima. Ich sage das ja nicht negativ, aber dieser Grundgedanke, dass Skateboarden für die Jugendliche so wichtig war, der wird darunter leiden. Und vielleicht kann ich da sogar den Offiziellen klarmachen, dass man jetzt Skateboarden nicht genauso behandelt wie Hammerwerfen oder Speerwerfen oder wie auch immer, sondern dann dieser Geist des Skateboardens etwas mehr berücksichtigt wird. Nur ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe mir nicht vorgestellt, wie groß, wie mächtig, was das für ein Riesenbusiness ist und wie wenig da teilweise die Menschen, auch die einzelnen Sportarten überhaupt interessiert. Da geht es gar nicht drum, sondern es geht um ein Riesenrad, was man vermarkten muss und das wird sich so weiterdrehen. Und ob da der kleine Titus hinkommt und sagt: ‚Ihr Großen, Skateboarden ist was ganz Besonderes, bitte verheizt es nicht. Und bitte verschult es nicht.‘ Da habe ich eingesehen, da kann ich eh nichts bewegen. Und dann habe ich wieder das gemacht, was mir Spaß macht, nämlich mich auf die Kids konzentriert. Und als pädagogisches Werkzeug benutze ich das jetzt. Und es wird auch noch funktionieren, solange ich lebe.“

Nicht gucken, machen!

Contestdisziplinen im Skaten der späten 1970er-Jahre

Titus, der Paukerschreck

Sei (nicht) wie Titus

 Begeisterung als Lebens- und Unternehmensphilosophie


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format: