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Autor: Niklas Hack

Karl Breuer

Karl Breuer

Karl Breuer

*1932
Zweifacher Paartanz-Weltmeister (der Amateure)

Karl Breuer gehört zu den erfolgreichsten Tänzern der Republik. Mit seiner ersten Ehefrau Ursula wurde er achtmal bundesdeutscher Meister. Auch auf internationalem Parkett tanzten „die Breuers” zu den Titeln der Europa- und Weltmeister.

Kurzbiografie

  • Geboren 1932 in Düsseldorf
  • 1948 Erster Besuch der Tanzschule TC Blau-Gold Solingen e. V. 
  • 1953-1961 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln
  • 1958 erste Bundesdeutsche Meisterschaft für den Schwarz-Rot-Club e. V. Wetzlar
  • 1960 und 1961 (Amateur-)Weltmeister (1960 Kombination; 1961 Latein)
  • 1961 Silbernes Lorbeerblatt mit Ursula Breuer (als erstes bundesdeutsches Tanzsportpaar)
  • 1962 Beitritt zum Grün-Weiss-Klub Köln e. V.
  • 1979 Gründung und Betrieb der Tanzschule „TanzBreuer” mit seiner 2. Ehefrau Isolde
  • 1988 Präsident des Deutschen Professional Tanzsportverbandes e. V. (DPV)
  • 1998 Bundesverdienstkreuz am Bande
  • 1999-2005 (Erster) Präsident (nicht-englischer Herkunft) der World Dance & Dance Sport Council Ltd (WD&DSC)

Karl Breuer über …

  • … Nachkriegsjahre in Minden und die Wurzeln seines Charakters

    „Was waren wir in Solingen damals verrückt nach amerikanischer Musik. Swing und so weiter wurde ja verboten während des Krieges, das kannten wir ja nicht. Und wir haben auch während des Krieges kaum Gelegenheit gehabt, diese Musik zu hören.
    Ich hatte immer hohe Ziele, grundsätzlich. Ich wollte Weltmeister werden. Ich wollte mein Jura-Examen. Ich wollte Abitur machen. Ich wollte Präsident werden. Ich wollte Weltpräsident werden. Ich wollte alles werden. Da haben die Leute gesagt: ‚Der Breuer, der hat einen Knall. Der ist bescheuert, der ist ein Angeber.‘ Und dann sagten die manchmal: ‚Ach, da kütt ja unser Schaum.‘ Wie der Schaum, der ausschlägt. Ich kann mich in dem Sinn sofort erinnern. Da war einer im Tanzsport, der kam aus München. Den Namen möchte ich nicht nennen. Der hat mich immer angegangen: Schaum und so weiter – nach dem Motto.
    Es war 1961, in der Latein-Qualifikation in Wiesbaden gingen wir hintereinander, und da habe ich mich umgedreht und gesagt: ‚Sag mal, ich bin aber wirklich traurig über dich.‘ ‚Wieso?‘ ‚Ja, dass du nicht mehr Schaum sagen kannst!‘ ‚Wieso?‘ ‚Ich habe alles gewonnen, und heute wirst du wieder verlieren!‘ Und dann war Stille.
    Ich habe mich also immer durchgesetzt. Und das war so etwas, was wir gewohnt waren. Papa war nicht da, war im Krieg. Ich musste auch für die Familie da sein. Ich war auch durch Kohlegeschäfte, als ich in Minden war, nach 1945 der Ernährer der Familie. Minden ist ja eine ländliche Gegend und ich bin zu den Bauern und habe für unsere Familie gegen Zigaretten, die ich von den Engländern bekam, dann Speck und Butter und Zucker und so etwas geholt. Mit meinem Bruder, der wurde 1944 geboren. Er war dann drei Jahre. Also, ich wurde schon immer gefordert, was zu tun. Papa war ein uranständiger Mann, er hat sich auch immer durchsetzen müssen. Er ist als Volksschüler Direktor einer Versicherungsgesellschaft geworden. Und zwar innerhalb der Agrippina, einer kölnischen Versicherung, die es aber nicht mehr gibt. Zurich hat die damals gekauft. Ich war hinterher noch für die Agrippina tätig, aber da war mein Vater schon ausgeschieden.“

  • … Trainingsmöglichkeiten in Solingen und Leverkusen der 1950er-Jahre

    „Es gab in Solingen, wo ich groß geworden bin, in Widdert, zwei große Säle. Café Müller und Eickhoff hießen die, wo wir am Sonntagnachmittag sehr gerne Gäste waren, auch für den Eigner jeweils. Warum? Wir machten unser Training da. Das Orchester spielte für uns die Sachen, die wir haben wollten und die Leute saßen, haben ihren Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Und haben sich den Karl Breuer mit der Ursel angeguckt, wie die da getanzt haben, trainiert haben. Und wir kriegten dann damals, ich war ja noch nicht so vereinnahmt, dass ich das entsprechend anders gewürdigt hätte, auch eine Tasse Kaffee und Kuchen umsonst. Die hatten ja auch was davon gehabt, denn die Leute kamen ja unsertwegen, um uns zu gucken nachmittags. Das war jedenfalls einmal in Solingen das Eickhoff. Und hinterher in Köln sind wir immer nach Leverkusen gefahren, in den Lindenhof. Und es war ein tolles Orchester und die haben immer tolle Musik gespielt für uns. Wie gesagt, es ist genau dasselbe passiert, wie in Solingen. Und wir haben uns wohlgefühlt. Wir hatten auch noch kein Auto damals. Wir sind immer mit Freunden gefahren, die haben uns dann mitgenommen zum Lindenhof, denn mit dem Fahrrad konnten wir schlecht hinfahren.

    Ich habe meinen Roller erst nach der ersten deutschen Meisterschaft bekommen. Aber damit sind wir auch schon zum ersten Turnier gefahren. Das war für den DTV im Juli oder August 1953, da bin ich Erster D oder Erster C geworden. Das war in einem Ort vor Osnabrück damals.“

     

  • … die Weltmeisterschaft 1960

    „1958 wurden wir dann zum ersten Mal Deutscher Meister. Meine erste Frau war damals ja noch Fräulein Präger, 22. Ich war 26, aber ich habe immer noch studiert. Ich habe sehr viel Extrasemester machen müssen deswegen. Es hat sich aber ganz einfach so ergeben. Ich war auch nicht so ein fleißiger Student, muss ich zugeben.

    Und ich habe getanzt. Ich habe meine Startbücher mal durchgeschaut und ich komme auf eine erkleckliche Anzahl von Hunderten von Turnieren in ganz Europa, bis 1964 in Australien. 1960 wurden dann die ersten Weltmeisterschaften ausgetragen, die ersten unter sportlichen Gesichtspunkten. Damals gab es nur eine Nation, die ähnlich wie beim Fußball der Vorreiter war. Da war es ja nun auch England. Und im Tanzsport war es auch England. Und es war geradezu sensationell, als in Deutschland dann in München die Kombination von Standard und Latein, die ganzen Tänze zusammengelegt wurden und wir dann Weltmeister wurden. Da standen die Leute Kopf. Das ist ja immer so, wenn jemand das erste Mal Weltmeister wird. Dann stehen die Leute Kopf. Vor allen Dingen in Deutschland, wo wir immer so in dieser Richtung, dann etwas runter gehalten wurden nach dem Kriege. Und dann haben die Engländer gesagt: ‚Ihr kommt ja nächstes Jahr nach London.‘ Dann habe ich gesagt: ‚Ja und? Selbstverständlich!‘ Und dann haben wir in Solingen damals ein bisschen Tamtam gemacht. Dann sind ungefähr so 50, 60 Leute, heute sind es Hunderte oder Tausende, mit uns nach London geflogen, ins Hammersmith Palais.

    Und wir wurden wieder Weltmeister in den lateinamerikanischen Tänzen. Also es war, wie sagt man so schön, der Himmel auf Erden. Zumal ich im Jahr vorher schon nach dem Turnier der Weltmeisterschaft mein Examen als Referendar in der Jurisprudenz gemacht habe. Ich habe zwar ein Jahr nachholen müssen, erst mal also nicht bestanden, weil ich Turniere getanzt habe. Aber ist ja klar. Aber dann habe ich mir die Leistung erstritten. Ich habe mich dahintergeklemmt und überall, wo ich mich dahintergeklemmt habe, hat das normalerweise auch geklappt. Und ich habe dann auch sofort meine Doktorarbeit bekommen. Und das war dann 1961.“

  • … Wertungen im Tanzen

    „Was einige Journalisten von mir erwartet haben, wissen Sie, das sind so die Sachen, ohne die geht ja sonst heute nichts mehr. Wenn du keine korrupten Sachen bringst, dann ist das ja nicht interessant. Und dazu bin ich nicht bereit. Es gibt schlimme Sachen bei uns. Die gibt es, jawohl. Aber warum? Entschuldigen Sie? Tanzsport ist kein objektiv bewerteter Sport. Wo ich herkomme, das allererste Turnier, wo ich Erster geworden bin. Wissen Sie, von wem ich da bewertet wurde? Die Wertungsgebiete damals, 1949, waren: Stil, Musikalität, Fußarbeit und Gesamteindruck. Wissen Sie, wer die Wertungsrichter waren? Ein Schauspieler, ein Musiker, ein Poet oder was auch immer. Das waren damals meine Wertungsrichter, und damals bin ich dadurch auch ein bisschen geprägt worden. Der eine Gesichtspunkt Gesamteindruck ist natürlich kein sportlicher. Der wurde als Erstes dann gecancelt, nachdem wir ´53 zum DSB kamen. Aber ich fand das gar nicht so schlecht für mich damals, weil ich mit diesen Sachen gut was anfangen konnte. Ich war sehr musikalisch, sehr musikalisch. Mein Vater hat Geige gespielt und ich wollte immer, aber wir hatten das Geld nicht dazu.

    Wie gesagt, ich hatte meine Mutter sehr früh verloren, im Jahr 1948, mit knapp sechs Jahren. Und das ist schon einschneidend.
    Wir meinen Stil, was ist Stil? Stil, das ist eine Eigenart. Das war alles relativ von damals. Das war vom Boston Club Düsseldorf. Heute würde ich sagen, das war damals das hohe Volk. Wir haben ja auch ganz anders getanzt damals miteinander. Das war aber noch der Ausläufer des Krieges. Und wie gesagt: Gesamteindruck, Fußarbeit, das konnte ein Tanzlehrer natürlich sagen. Aber Musik? Musik, die gespielt wird oder was soll man sagen? Oder wie es auf ihn gekommen ist, wie der Breuer das vertanzt hat oder in irgendeiner Weise? Also man kann schon sehr viel aus dieser Sache machen. Denn wenn man bedenkt, das muss man sich einfach mal sich auf der Zunge zergehen lassen, 70 Jahren Tanzen ist schon eine Menge.“

  • … die Entstehung der Tanzschule Breuer

    „Ich habe lange gebraucht, um mir meinen Dream zu verwirklichen. Meine eigene Tanzschule in Köln. Ich war ja alter Meyer-Tanzschüler auf der Bismarckstraße. Das war eine der ersten Tanzschulen, die es hier gab. Dann Dresen und van Hasselt und so weiter. Und dann habe ich gedacht: Du musst deinen Kampf gegen den ADTV drangeben, denn das ist auf die Dauer nicht gut.
    Ich trainierte damals freitagabends immer in Gelsenkirchen. Und der Raum, wo das war, war in einer Schule. Und von der Schule musste ich, es war gar nicht so geplant, immer an dem Haus meiner jetzigen Frau vorbei, um auf die Autobahn zu fahren, durch Essen nach Köln. Da bin ich schon mal dageblieben. Ihre Mutter hat dann sechs Kuchen gebacken, und da war es dann passiert. Wir waren ´75 in Kanada, dann haben wir bis ´76 gebraucht, um zu überlegen: Packen wir das an? Dann war in meinem Klub damals ein Freund Elektriker. Dessen Frau war mit meiner jetzigen Frau ein bisschen befreundet. Dann haben wir gesagt: ‚Lass‘ uns das mit denen zusammen machen.‘ Kostete ja sehr viel Geld. Ich schäme mich das zu sagen: 900.000 DM.
    Dann war das abgesegnet, mit den Inhabern. Das war damals ein Tee Laden, Stärke und Sohn. Der Eigentümer hat interessanterweise mit mir zusammen studiert. Wir sind gleichaltrig. Und dann haben wir Anfang 1979 geheiratet. 1979 da war ich mitten im Geschehen der Profis drinnen. Ich war inzwischen Vizepräsident vom ADTV geworden.

    Und dann hat sich das alles so entwickelt über die 80er Jahre. Und dann haben wir zusammen hinterher so zwölf, 13 Tanzschulen eröffnet, das war eine Saisonleistung. Aber das entsprach meinem Wollen und Tun. Etwas, was die anderen noch nie gemacht haben. An sich wollte ich die Schulen nur im Umkreis von 100 Kilometern, damit ich die noch am Wickel haben konnte. Das ist mir so ein bisschen gelungen. Dann hat sie Schulen gekauft und ich nicht mehr. Und jetzt haben wir noch fünf: In Junkersdorf, in Köln, Troisdorf, in Brühl und in Hennef. Troisdorf mussten wir jetzt wieder neumachen. Und was uns alle stark beschäftigt hat, war die Krankheit. Die hat starke Verluste gebracht. Und dann muss ich sagen, war es immer gut, wenn man mit Partnern arbeiten konnte. Und da ich das nie alleine gemacht habe und immer darauf geachtet habe, Partner zu haben, und zwar Partner, die da drin arbeiten. Ich konnte ja nicht an allen Stellen, überall sein. Darum war natürlich mein Sitz- und Angelpunkt in Köln.“

Trainingsmöglichkeiten in Solingen und Leverkusen

Selbstverständnis als Sportler

Die TV-Sendung “Tanz mit mir!”

Gründung der Tanzschule Breuer


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Christa Vahlensieck

Christa Vahlensieck

Christa Vahlensieck

*1949
Erste bundesdeutsche Marathonmeisterin

Christa Vahlensieck war die Leitfigur in der Anfangszeit des bundesdeutschen Frauen-Marathons: 1973 siegte die spätere 18-fache bundesdeutsche Meisterin im ersten exklusiven Damenmarathon weltweit. Sie reüssierte bei diversen internationalen Stadtläufen und verdingte sich bis zum Ende der 1980er-Jahre als professionelle Marathonläuferin in den USA.

Kurzbiografie

  • Geboren 1949 in Düsseldorf (als Christa Kofferschläger)
  • 1963-1969 Kaufmännische Lehre und Angestellte im Versand in Düsseldorf
  • 1963-1966 DJK Novesia Neuss
  • 1969-1985 Kaufm. Angestellte in einer Wuppertaler Buchhandlung
  • 1966-1969 DSC 99 Düsseldorf
  • 1969-1990 Barmer TV Wuppertal
  • 1973-1989 Insg. 21 Marathonsiege
  • 1973 Erste Deutsche Frau unter drei Stunden (2:59:25,6 Std.) beim erstem Marathon exklusiv für Frauen in Waldniel
  • 1975 Aufstellung eines (inoffiziellen) Marathon-Weltrekords in Dülmen
  • 1975-1978 Erste bundessdeutsche Marathon-Meisterin
  • 1985 Kündigung ihrer Stelle und Eintritt in das Profilager

Christa Vahlensieck über …

  • … ihre Kindheit in Düsseldorf-Heerdt

    „Wir hatten keine Turnhalle, unsere Sportstunden waren lediglich einmal oder zweimal in der Woche auf dem Schulhof, Völkerball spielen, an Stangen rumturnen und so was. Großartig Sport gab es in der Schule nicht. Allerdings mussten wir jedes Jahr an den Bundesjugendspielen teilnehmen. Und dabei stellte sich dann heraus, dass ich ganz gut war. Ich habe Dreikampf gemacht: Sprinten, Weitsprung und Ball-Weitwurf. Zumindest im Laufen war ich immer eine der besten, allerdings nur im Sprint. Ich gehörte von der Punktzahl zu den drei besten der Schule. Ich war acht Jahre auf dieser Volksschule.

    Das war an Sport alles, aber ich habe das sehr gerne gemacht. Vielleicht, weil ich gut war im Vergleich zu anderen Schülern. Und dann kam ich danach, als ich dann entlassen wurde, schon mit 13 in die Lehre – eine kaufmännische Industriekaufmannslehre. Damals hieß das noch Industriekaufmann, da war ich erst 13. Und zum Glück war da ein Lehrling, die schon ein Jahr da war. Die machte Leichtathletik. Das war die Schwägerin vom Adi Rosenbaum. Der war zu der Zeit als Trainer bei DJK Novesia Neuss. Er trainierte da die Langstreckler. So bin ich zum Sport gekommen. Meine Eltern hatten, da war ich zehn, eine Kneipe übernommen. Und da mussten wir Geschwister, ich habe noch eine Schwester und Bruder, viel mithelfen. Und was ich persönlich nicht so schön fand, in der Nähe war ein Männerwohnheim, will ich mal sagen. Und dann waren immer viele besoffene Männer bei uns und zu Karneval und Schützenfest, da gab es immer schlimme Sachen, die ich als Kind schon erleben musste. Und als ich dann mit dem Sport anfing, neben meiner Lehre, durfte ich von meinem Vater aus des Öfteren nach Neuss fahren. Da war ich auch froh, dass ich zu Hause weg war.“

  • … den Wechsel zum Langstrecken- und Marathonlauf

    „Die Strecken waren ja in den Jahren sehr kurz, 600-Meter. Da habe ich auch gleich an Meisterschaften teilgenommen. Es gab anfangs B-Jugendmeisterschaften und später die normalen Deutschen Jugendmeisterschaften. Also 600-Meter, da habe ich gut mithalten können. Ich war immer im Endlauf bei Deutschen Meisterschaften. Aber die letzten 100 Meter wurde ich meistens überspurtet von den schnelleren Läuferinnen und habe da keine besonderen Titel oder so etwas gewonnen. Aber im Winter bei den Deutschen Waldlaufmeisterschaften, da habe ich vielleicht in der B-Jugend schon Westdeutsche Meisterschaften gewonnen, nach nur ein paar Wochen Training. Aber da war die Strecke schon 1000-Meter. Und da waren also Leute, die ich nie über 600-Meter schlagen konnte, dann hinter mir. Waldläufe habe ich fast in der Jugend alle gewonnen, auch alle Meisterschaften. Aber über 600 Meter, da ging nicht so viel. Im letzten Jugendjahr kamen dann 800-Meter, aber das war auch nicht so viel besser.

    Dann war ich ja nach vier Jugendjahren Juniorin. Ich glaube, da wurden zum ersten Mal 1500-Meter gelaufen. Das war natürlich dann auch schon wieder einen Schritt vorwärts für mich, dass ich auch über 1500-Meter deutsche Juniorenmeisterin wurde.  
    Und dann kam die Zeit, wo ich mein Mann kennenlernte. Und dann hatte ich überhaupt keinen Bock mehr 1500-Meter zu laufen und habe dann erst einmal zwei Jahre keine Wettkämpfe macht. Die Strecke war mir zu kurz. Bei Meisterschaften bin ich zwar immer im Endlauf gewesen, aber meistens irgendwo 4. oder 5. geworden. Da hatte ich keine große Lust mehr. Ich habe zwar immer noch ein bisschen trainiert, aber keine Wettkämpfe mehr gemacht.“

  • … den ersten Frauen-Marathon 1973 in Waldniel

    „Wir sind dann tatsächlich nach Waldniel und wollten an dem Lauf teilnehmen. Van Aaken hatte auch viele Läuferinnen zusammengetrommelt. Eigentlich alle, die auch die Mittelstrecken gelaufen sind, sind gekommen und auch an den Start gegangen. Aus Holland kamen auch welche.
    Und das Fernsehen war dabei, also die Presse. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten nicht daran geglaubt haben, dass Frauen das können, sondern dass die dabei sein wollten, wenn die Frauen da reihenweise zusammenklappen. Ich glaube, das war der Hauptgrund. Aber es war nicht so. Der Paul Angenvoorth ist mit dem Fahrrad mitgefahren. Wir sind also gestartet, ganz gemütlich losgelaufen, so mit langen Klamotten. Ich hatte ganz normale Trainingssachen an, weil ich mir nicht vorstellen konnte, in kurzer Hose so eine lange Strecke über paar Stunden zu laufen. Also ganz normal, als würden wir im Training laufen, ich jedenfalls.
    Ich weiß, eine Frau ist los. Und der Paul Angenvoorth, der fuhr mit dem Fahrrad und sagte zu uns: ‚Nein, ihr müsst langsamer laufen. Lasst sie laufen.‘ Und so sind wir dann losgelaufen. Es waren vier Runden, die wir laufen mussten. Und das ging sehr gut. Wir hatten die Hälfte, das kam mir das alles unheimlich langsam vor. Dann bin ich immer schneller gelaufen. Ich weiß gar nicht, ob ich da schon alleine vorne war, kann sein. Ich weiß nicht, ob die Manuela noch dabei war. Ich weiß nur, dass ich die zweite Hälfte dann neun Minuten schneller gelaufen bin als die erste Hälfte und eigentlich bis auf ein bisschen Muskelkater in einem Bein, da ohne Probleme ins Ziel gekommen bin. Und dann bin ich auch direkt unter drei Stunden gelaufen. 2:59 Stunden oder so etwas. Und Dr. Van Aaken war hellauf begeistert. Die meisten Frauen sind auch angekommen. Ich glaube, es sind ganz wenige nur ausgestiegen. Die kamen alle gut ins Ziel. Und Carmen Thomas war damals die Reporterin, dann taten alle ganz begeistert. Aber ich glaube, es hat schon noch eine Weile gedauert, bis die Frauen sich da wirklich etabliert hatten. Man wurde doch eher belächelt.

    Dieser Lauf, der war ja einmalig. Man hatte auch gar nicht in Aussicht, weiter lange Strecken zu laufen. Es gab ja nicht mal 10.000-Meter zu der Zeit. Also 3000-Meter war die längste Strecke, die man offiziell laufen durfte. Und Marathon? Wir haben das mitgemacht, dem Doktor van Aaken zuliebe. Aber es ging dann ohne irgendwelche Überlegungen auf der Bahn weiter, denn es gab nichts Offizielles. Aber Doktor van Aaken hat die drei ersten von dem Lauf nach Boston eingeladen. Das war schon ein halbes Jahr später. Er hat uns die Reise bezahlt, weil dort Frauen schon mitlaufen durften. Da hatte die Kathy Switzer schon ein paar Jahre vorher es geschafft, dass Frauen da laufen durften. Und da haben wir dann auch schon unseren zweiten Marathon gemacht, ein halbes Jahr später. Aber in Deutschland war da noch gar nichts.“

  • … Weltbestzeiten und zu kurze Strecken

    „Anfangs war die Motivation nicht so da, um Marathon weiterzulaufen, auch nach Boston nicht, weil es in Deutschland nichts gab. Es gab überhaupt keine Strecke, die wir laufen konnten. Und die Motivation, das im Training auch auszubauen, kam erst nach meinem zweiten Lauf in Waldniel. Der van Aaken hat im Jahr darauf den Lauf wieder ausgerichtet. Und da bin ich dann auch wieder als Mittelstrecklerin gegen Liane Winter gelaufen, noch ohne Marathontraining. Mit der konnte ich 30 Kilometer gut zusammenlaufen. Und Liane war schon zu der Zeit eine Läuferin, die nur Ausdauertraining gemacht hat. Die war gar nicht auf der Bahn zu sehen. Die hat nur so etwas gemacht, jetzt nicht als Wettkampf, sondern mehr so für sich. Und nach diesem Lauf, da bin ich zwar schneller gelaufen als im Jahr davor, aber da habe ich gedacht: Wenn man jetzt mehr trainieren würde, längere Strecken trainieren würde, müsste man eigentlich auch deutlich schneller laufen können. Und das war dann der Punkt, wo ich dann gedacht habe, ich mache mal lange Strecken im Training.
    Als ich mich entschlossen habe, Marathon zu laufen, sah das Training dann so aus, dass ich jeden Tag 20-Kilometer gelaufen bin – also nur Ausdauerlaufen. Und kam dann auch mal auf über 100-Kilometer in einer Woche. Dann habe ich mich in Essen bei einem Lauf angemeldet. Da liefen alle meine Bekannten. Dieser Lauf ist ja auch jedes Jahr am Baldeneysee. Und nachdem ich fünf Wochen dann meine Trainingskilometer hochgeschraubt habe, auf über 100, habe ich mich da direkt um 15 Minuten verbessert und bin Weltbestzeit gelaufen, die mir dann aber wieder aberkannt wurde, weil die Strecke zu kurz war. Das war auch so eine Sache. Die liefen schon zehn Jahre in Essen auf einer zu kurzen Strecke. Und dann kam ich als erste Frau und lief für die eine utopische Zeit und dann war die Strecke zu kurz, und die Männer sind die ganzen Jahre vorher immer Bestzeiten gelaufen. Das sind so Sachen, die man auch erlebt hat, dass die Strecken dann oft nachgemessen wurden, weil die Frauen plötzlich zugute Zeiten liefen.“

  • … erste Preisgelder und die Professionalisierung des Frauen-Marathons

    „Mein erster Sachpreis, der war bei einem Zehn-Kilometer-Lauf. Das war ein Eierkocher. Das vergesse ich auch nie. Mit Preisgeldern fing das irgendwann in den 80er-Jahren an. Und zwar kam das hauptsächlich durch AVON. AVON ist in Amerika ganz groß eingestiegen durch die Kathrine Switzer, die da beschäftigt ist. AVON hat ja dann auch da die ersten reinen Frauenläufe ausgerichtet, wo es dann auch zum ersten Mal Preisgelder gab. Da durften nur Frauen laufen und die ersten zehn- und 15 Frauen bekamen Preisgeld. Es ging dann vielleicht mit 10.000 Dollar damals los, bis zur Letzten, die dann noch 500 Dollar bekam. Das war Anfang der Achtziger, da bin ich noch nicht gelaufen.

    Aber 1982 oder 1983 muss das gewesen sein. Es waren amerikanische Ausscheidungen für Olympia 1984. Und bei diesen amerikanischen Meisterschaften in Los Angeles war ich eingeladen. Da gab es ersten Mal Preisgeld, und zwar 15.000 Dollar für die Erste, dann für die zweite 10.000. Und das war ein reiner Frauenlauf und auch eine schwere Strecke eigentlich. Im Februar war das. Und da ging es auch hoch den Berg ziemlich lange bergauf, zehn Kilometer oder so. Dann geht’s nachher natürlich wieder runter, und da bin ich dann gelaufen. Das war also ganz verrückt, so an zehnter, elfter Stelle. Dazu muss ich sagen, dass ich sehr gerne Läufe gemacht habe, wo Frauen alleine laufen, weil man da immer gut wusste, wo man liegt.

    Da lag ich von Anfang an, so an zehnter, elfter Stelle. Vorne weg war schon eine Gruppe, also lief ich ziemlich alleine. Da habe ich gedacht: Boah, wenn man das hält. Die Fünfzehnte kriegt noch tausend Dollar. Das war zu der Zeit unvorstellbar für jemanden, der sonst eine Medaille bekam. Auf jeden Fall lief ich da immer so mein Tempo und die ganze Gruppe, die vorne lief, die hatte ich immer im Blickfeld. Und irgendwann bei Kilometer 25 war ich plötzlich dran und dann direkt vorbei. Da lag ich aber an zweiter Stelle, eine war so weit vorne, die hatte dann auch die Olympia-Ausscheidung gewonnen. Die habe ich gar nicht gesehen. Aber in dem Rennen bin ich zweite geworden und habe 10.000 Dollar gewonnen. Das war also 1982 oder 1983. Ich habe da meinen Mann angerufen. Ich habe gesagt: ‚Stell dir mal vor!‘ Ich bin Bestzeit gelaufen, 2:33 Stunden oder so. Das war unvorstellbar. Das war so der Anfang der 1980er-Jahre und die anderen Läufe, die man dann gemacht hat, davon habe ich keinen gewonnen. Ich bin dann noch mal in Los Angeles gelaufen. Da war ich auch Zweite, mit nur neun Sekunden Rückstand. Das war auch ein Männer-Rennen. Da habe ich nicht gewusst, dass ich so weit vorne liege. Und ja, dann konnte ich mir auch noch was verdienen.“

  • … ihren Verzicht auf den ersten olympischen Marathon der Frauen 1984

    „Es war ja Olympia 1984, und da ist im Vorfeld eine Sache passiert, und zwar war das 1983.
    Es waren Weltmeisterschaften und es sollten Ausscheidungen sein. Und ich bin in einem Jahr schon zweimal die Quali gelaufen. Nämlich in Los Angeles, wo ich Zweite war und auch noch woanders. Und dann waren deutsche Meisterschaften auf der Bahn, ich hatte da Probleme mit meiner Verse, wo ich dann eine längere Zeit laboriert habe.

    Mit Absprache des Verbandstrainers bin ich nicht die 10.000 auf der Bahn gelaufen, weil ich auch nicht so gerne die 10.000 auf der Bahn lief. Danach wurde dann für die Weltmeisterschaft die Mannschaft nominiert. Und ich lese die Zeitung am nächsten Tag, und ich war nicht dabei. Da hat man mich nicht nominiert, weil ich bei den 10.000-Metern nicht mitgelaufen bin. Mit dem DLV-Trainer hatte ich abgesprochen, dass ich da nicht laufe und der hat es nicht geschafft, denen das klarzumachen. Also es blieb dabei, ich war nicht nominiert. Und da sind so viele Leute auf die Barrikaden gegangen. Ich weiß nicht, wer sich da alles beim DLV beschwert hat. Ich hatte die beste Zeit damals mit Charlotte Teske.

    Und eine Woche oder anderthalb Wochen vorher kriegte ich einen Anruf im Büro. Wenn ich heute Abend 5000-Meter laufe und einen Leistungsnachweis bringe, dann würde ich vielleicht doch noch mitkommen nach Helsinki. Ich wollte das nicht. Ich habe gesagt: ‚Mach ich nicht. Ich kann nicht jetzt heute Abend einen Leistungsnachweis bringen.‘ Und dann haben sich aber alle meine Trainer vom Verein, mein Mann, alle haben mich bekniet, das doch zu machen. Die 5000-Meter irgendwo in Dormagen als Leistungsnachweis zu laufen. Dann habe ich das widerwillig gemacht. Der Leistungsnachweis passte, und dann bin ich noch nachnominiert worden. Aber ohne jetzt wirklich vorbereitet zu sein. Und dann bin ich auch relativ schlecht gelaufen in Helsinki. Wir alle drei übrigens: Charlotte Teske, Monika Lövenich und ich. Wir sind alle nicht so in dem Bereich gelaufen, was wir vorher gelaufen wären. Und das Erste, was uns dann gesagt wurde: ‚Mit solchen Leistungen braucht ihr nicht zu denken, dass ihr nächstes Jahr bei Olympia dabei sein werdet!‘ Da war ich so sauer, dass ich zu dem DLV-Trainer gesagt habe: ‚Weißt du was? Ihr könnt mich mal, ich mache jetzt gar nichts mehr.‘ Ich war ja auch schon 35. Da war ich ja auch schon relativ alt. Ich war so sauer darüber, dann habe ich mich aus dem DLV abgemeldet, komplett abgemeldet. Ich habe meinen Job damals gekündigt, um noch solange ich das konnte, es gab ja inzwischen auch Geld zu verdienen, in Amerika zu laufen. Das habe ich auch durchgezogen. Aber im Jahr als Olympia war, dann war ich schon ganz traurig, nicht dabei zu sein. Aber letztendlich war ich schon sehr sauer.“

Streckenlängen als jugendliche Läuferin

Von der Mittel- zur Langstreckenläuferin

Der erste exklusive Marathon für Frauen in Waldniel 1973

Schuhsponsor Brütting

Friedensmarathon in Košice


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

Mehr zur Vita von Christa Vahlensieck finden Sie auf der Seite der WUPPERFRAUEN

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Coşkun Taş

Coşkun Taş

Coşkun Taş

*1935
Erster türkischer Vertragsfußballer in der Bundesrepublik Deutschland

Coşkun Taş war 1959 der erste türkische Vertragsfußballer in der Bundesrepublik. Zwei Jahre stürmte der WM-Teilnehmer von 1954 für den 1. FC Köln. Am Dom “bliev hä zo Huss” – und erhielt 2013 den Landesverdienstorden für seine Integrationsarbeit im Fußballsport.

Kurzbiografie

  • Geboren 1935 in Aydın (Türkei)
  • Studium der Betriebswirtschaft in Istanbul
  • Bis 1951 Aydın Spor Külübü
  • 1951-1959 Beşiktaş JK Istanbul
  • 1959-1961 1.FC Köln
  • 1960 Bundesdeutscher Fußball-Meister
  • 1961-1962 Bonner FV 1901 e. V.
  • 1961-1962 Fußball-Lehrer-Lehrgangs unter Hennes Weisweiler – Deutsche Sporthochschule Köln
  • 1962-1993 Arbeit als Systemanalytiker bei den Ford-Werken in Köln
  • Ab 1962 Trainer der Betriebsmannschaft FC Ford Köln und weitere Trainertätigkeiten im Amateurbereich
  • 1974 Gründung von Yurdumspor Köln
  • Ausländerbeauftragter des Fußballverbandes Mittelrhein
  • 1985-2004 Mitglied der Schiedsrichterspruchkammer des Fußballkreises Köln
  • 2013 Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen

Interview-Ausschnitte

  • … erste Einsätze in der türkischen Nationalmannschaft und die WM 1954

    „1953 wurde ich das erste Mal Nationalspieler als Linksaußen gegen Griechenland. Aber ich hatte Pech. In der 30. Minute bin ich losgelaufen und plötzlich bekam ich einen Schlag am Oberschenkel. Meine Bänder wurden in Mitleidenschaft gezogen. Dann musste ich das Spielfeld verlassen und konnte nicht mehr weiterspielen. Damals gab es ja noch keine Spielerwechsel. Dann habe ich die Mannschaft mit zehn Mann auf dem Platz gelassen, das war schlimm.
    1953 kam unser Trainer zu mir und sagte mir, dass ich dafür verpflichtet bin, um an der zweiten A-Jugend Europameisterschaft in Brüssel teilzunehmen. Der Trainer kam zu mir und sagte: ‚Du bist mein Mannschaftskapitän, aber sieh zu, dass du 18 wirst.‘ – Damals war ich schon 19 Jahre alt.
    Dann habe ich meinem Vater geschrieben, denn das Telefon funktionierte damals noch nicht so gut.
    Ich habe gefragt: ‚Vater, was mache ich denn jetzt?‘ Dann hat mein Vater den Prozess gestartet. Nach zwei Monaten hatte ich einen Termin in Aydın bekommen. Der Staatsanwalt, der Richter und die Zeugen, alle wussten genau Bescheid – irgendwas haben die gemacht, am Ende bin ich 18 geworden. So etwas war nur in der Türkei möglich.
    Dann sind wir nach Brüssel gefahren. Wir hatten damals einen sehr bekannten Trainer, er war vorher unser Torwart. Es war meine erste Europareise. Wir sind abgeflogen von Istanbul über Athen, dann an die Stiefelspitze in Italien. Dann nach Genf, von Genf nach Zürich und von dort nach Brüssel.
    Damals sind wir dritter geworden. Gegen Ungarn haben wir verloren, so durften wir nicht am Endspiel teilnehmen. Gegen Spanien haben wir gewonnen und sind dann dritter geworden.
    Ein Jahr später bin ich in den Kader der A-Nationalmannschaft gewählt worden.
    Dann haben wir 1954 an der Weltmeisterschaft in der Schweiz teilgenommen. Aber davor haben wir in Istanbul gegen Spanien gewonnen. In Rom hatten wir ein interessantes Spiel gegen Italien. Es war 2:2, dann wurde ausgelost und wir haben die Auslosung gewonnen. Darum durften wir an der Weltmeisterschaft teilnehmen, damals war ich 20 Jahre alt.
    Bei der WM habe ich die ersten zwei Spiele nicht mitgespielt. Meinen Einsatz hatte ich beim 2:7 gegen Deutschland im Grasshopper-Stadion in Zürich. Ich habe gegen Fritz Laband gespielt, ich hätte beinahe auch ein Tor geschossen, aber Toni Turek hat den Schuss gehalten. Dort habe ich Fritz Walter und Hans Schäfer kennengelernt. Persönlichkeiten wie Max Morlock waren natürlich große Spieler für uns damals.
    Dann habe ich mein Studium beendet und weiter Fußball gespielt. Ich habe mit dem Fußball auch weitere Reisen nach Europa gemacht. Ich habe 1958 in der Militär-Nationalmannschaft gespielt. Wir sind nach Holland gereist und haben in Paris im Parc des Princes gespielt.
    Bevor ich nach Deutschland kam, war ich etwa zwölf Mal in Europa – Europa war mir nicht fremd.“

  • … deutsches Liedgut beim Abendessen der Familie Taş

    „Mein Vater war von 1913 bis 1919 in Deutschland. Das damalige Deutsche Reich hatte 3000 türkische Jugendliche nach Deutschland eingeladen, um sie auszubilden. Natürlich hatte mein Vater sich dann gemeldet. Diese Jugendlichen sind dann nach Deutschland gekommen und wurden in mehreren Fabriken und Landschaftsverbänden verteilt.
    Mein Vater hatte dann das Glück, nach Mülheim an der Ruhr zu kommen. Dort hatte er verlässlich in einer Fabrik an einer Drehbank gearbeitet, bis ihm ein Stück Stahl in das linke Auge geflogen ist. Das Auge ist dann ausgelaufen.
    Als er zurück nach Istanbul kam, konnte er gebrochen Deutsch sprechen. Dort hatte er dann meine Mutter kennengelernt. Als wir dann mit der Familie in Aydın lebten, sang mein Vater jeden Abend deutsche Lieder – er hatte gerne beim Essen Raki getrunken und dann fing er an, deutsche Lieder zu singen.
    So haben wir uns schon früh Deutsches leben eingeprägt. Ich wusste in der Volksschule schon damals alle deutschen Städte. Ich habe damals alles gelesen. Denn hatte ich natürlich immer vor, irgendwann nach Deutschland zu fahren.“

  • … den Fußball-Lehrer-Lehrgang bei Hennes Weisweiler

    „Ich habe mich für den Lehrgang gemeldet und Hennes Weisweiler hat uns dann mit aufgenommen und ein bisschen trainiert, um uns persönlich kennenzulernen, das war ja damals nicht so strukturiert. Mit einem Training, hatte dann der Weisweiler gewählt, wen er teilnehmen lässt. Diejenigen konnten dann das Studium anfangen. Es ging ihm um Ballfertigkeit und so weiter.
    Hennes Weisweiler kannte mich ja sowieso. Er kannte mich seit 1960, wir haben ja gegen Victoria Köln gespielt.
    Dann habe ich angefangen an der Deutschen Sporthochschule, gewohnt habe ich im Heim sechs. Heim sechs war ganz hinten da wo der riesige Sportplatz war. Da haben wir unter anderem mit Günther Glomb von Nürnberg und Horst Hülß die Ausbildung gemacht. Wir waren zu elft oder zwölft, dann kamen noch ein paar Studenten und wir waren dann so 16 oder 17 Teilnehmer.
    Hennes Weisweiler war ein richtiger Kölscher, ich habe ihn sehr gut in Erinnerung, von ihm habe ich sehr viel gelernt.
    Wir haben dann eine Mannschaft gegründet und haben auch Vorlesungen auf den Wiesen gemacht. Einer war dann draußen und machte den Spielbeobachter. Der musste darauf achten, wer was gemacht hat und welche taktischen Fehler begangen wurden.
    Am nächsten Tag gab es dann Kritik.
    Carl Diem war auch manchmal da, er nahm uns mit in sein Zimmer und wir mussten Sportgeschichte lernen. Er hat mit mich gefragt, wie der türkische Fußball organisiert ist – er kannte die Türkei sehr gut.
    Ansonsten mussten wir in Sportphysiologie, Massage, Verletzungen und so weiter Prüfungen bestehen. Ich habe in meinem Leben natürlich viel über die Anatomie eines Menschen gelesen. Aber am besten habe ich darüber während einer Exkursion im Gerichtlich-Medizinischen-Institut gelernt. Da war eine Dame, sie war 57 Jahre alt und man wusste nicht, wieso sie gestorben ist. Der damalige Dozent hat uns dann alles erklärt – alles. Der Kopf war abgesägt, er hat das Gehirn in die Hand genommen und es uns im Detail erklärt. Was ich da gelernt habe, das vergesse ich nie.
    Bei der Abschlussprüfung waren der Helmut Schön und Hennes Weisweiler, die anderen Prüfungen waren schriftlich. Ich habe mit ‚Gut‘ bestanden. Wir mussten ein 30-seitiges Buch zum Thema Taktik schreiben. Bringen sie mal jemandem bei, ein Buch zu schreiben, der gerade seit zwei Jahren Deutsch spricht. Meine Frau hat mir dann geholfen, sie hat etwas

  • … Anfänge im Bereich Integration durch Sport

    „Ich hatte keinen Trainerjob mehr. Ich arbeitete bei Ford.
    Damals gab es einen türkischen Verein, im Namen der Türk Danış. Das ist eine SPD-nahe Gesellschaft, die von der Arbeiterwohlfahrt gegründet worden ist. Dort gab es einen türkischen Mitarbeiter.
    Der hat die türkischen Jugendliche gesammelt und einen Fußballverein gegründet, im Namen der Türk Danış, unterstütz von der Arbeiterwohlfahrt. Er kam zu mir und sagte: ‚Du hast keinen Trainerjob, komm und hilf mir. Ich bin ganz alleine. Hier kannst du ein bisschen mithelfen.‘
    Da bin ich dann integriert worden. Es gefiel mir mit den Jugendlichen mein Türkisch zu verbessern, es wurde nämlich sehr in Mitleidenschaft gezogen. So konnte ich dann meine türkische Umgangssprache verbessern. Ich habe mit den Jungs sehr viel Freude gehabt.
    Bis dahin hatte ich ja gar keine Ahnung, welche Schwierigkeiten die hatten. Und dann kam irgendein Angebot, dass wir auch auf der Landesebene mitwirken sollten.
    Durch meinen Freund bei der Arbeiterwohlfahrt sind wir Mitglied in der Kommission Sport für ausländische Mitbürger in Köln geworden. Wir haben sehr oft zusammen getagt, was wir tun könnten für die Integration der Jugendlichen durch Sport. Das war auch unser Ziel.
    Dann kam der Landessportbund, die haben auch gesagt: ‚Coşkun kannst du auch mitwirken?‘ Da bin ich sehr oft nach Westfalen und Umgebung gefahren. Dort habe ich mit türkischen Jugendlichen trainiert, mit denen gesprochen und meine Erfahrungen geteilt, was sie tun müssten, um akzeptiert und integriert zu werden. Da habe ich sehr viel mitgewirkt.
    Und dann ging es natürlich weiter mit der türkischen Mannschaft. Denn die Arbeiterwohlfahrt hat der Unterstützung zurückgezogen. Wir haben einen eigenen Verein gegründet – Yurdumspor Köln. Mit Yurdumspor sind wir dann bis in die Oberliga aufgestiegen. Es waren ein paar Jugendliche, die da mitgewirkt haben. Ich habe sehr viele intelligente türkische Jugendliche kennengelernt. Einer davon arbeitet bei der türkischen Botschaft und ist Inspektor geworden, ein anderer hat ein Geschäft eröffnet.“

  • … den Niedergang von Yurdumspor und sein Verständnis als Deutscher

    „In der B-Klasse und Kreisliga-A ging es an und für sich noch mit den türkischen Jungs danach nicht mehr. Dann kamen natürlich fertig ausgebildete Spieler dazu. Dann musste man etwas Geld sammeln.
    Wir hatten eine Mitgliederzahl von maximal 60 oder 70. Ein großer Teil von denen verdiente nicht mal Geld. Die haben uns dann geholfen, ein paar Investoren zu finden. Aber es ist eine sehr schwierige Sache, eine ausländische Mannschaft mit einem geringen Einkommen über Wasser zu halten.
    Ein Junge, der lange gespielt hat und später ein gutes Geschäft hatte, hat später dann den Vorsitz übernommen und sehr viel Geld investiert. Irgendwann ging es aber nicht mehr. In der Oberliga war dann Schluss. Wir hatten dann fünf, sechs türkische Spieler, alle anderen waren Deutsche und Italiener und so weiter. Es ging aber nicht mehr. Das Geld reichte nicht und der Verein Yurdumspor musste Konkurs anmelden.
    Ein Verein, der nicht ortsgebunden ist und wenige Einnahmen hat, der kann nicht existieren. Das habe ich meinem ersten Vorsitzenden ständig gesagt.
    Meine Idee war es ehrlichgesagt, in der Kreisliga-A zu bleiben und die Mitgliederzahl zu vergrößern, mit dem Ziel, eine Gesellschaft zu sein mit Frauen und Jugendlichen zusammen. Das wurde auch einige Zeit in der Kreisliga-A mitverfolgt, nach dem Spiel zusammensitzen und unsere Kultur weiterentwickeln. Da waren ja in Deutschland geborene Mädchen und Jungen, die aber nur deutsch sprachen und zum Teil türkisch. Aber man muss eine Gesellschaft bilden, die voll integriert ist, die auch alle Vorteile und Nachteile in Deutschland akzeptieren kann. So eine Gesellschaft, das war unser Ziel. Meine Freunde haben auch dieses Ziel verfolgt.
    Aber in der Amateur-Oberliga kann man so einen Verein nicht existieren lassen. Durch die Insolvenz war die ganze Idee ist futsch. Dann habe ich mich zurückgezogen. Ich habe meine Idee nicht so weit durchgesetzt. Es ist an und für sich sehr schade.
    Ohne irgendwie religiös gebunden sein – ich bin kein religiöser Mensch. Ich akzeptiere sowieso nicht, was in der Türkei los ist. Ich habe noch nie eine Moschee besucht. Meine Idee war es, mit diesen voll integrierten Menschen ab und zu zusammen zu sein und türkisch zu sprechen. Jeder geht sowieso seinen Weg, aber man muss ja ab und an zusammen sein und sich über die Heimat Gedanken machen, das war meine Idee.
     Ich habe wenig türkische Freunde in Köln, in meiner damaligen Zeit haben wir bei Ford einen Ingenieur gehabt und ab und zu haben wir uns getroffen. Ein bisschen über Ford gesprochen, über die Autoindustrie gesprochen, von unserem Leben gesprochen. Das war jeden Monat vielleicht einmal. Ansonsten habe ich wenig türkische Freunde.
    Ich kann sowieso nicht mitwirken. Ich bin voll und ganz Deutsch, aber im Grunde genommen bin ich Türke. Wenn ich die Musik höre, dann werde ich sensibel. Auf der anderen Seite lebe ich seit über 60 Jahren in Deutschland. Ich war 24 Jahre alt, als ich nach Deutschland kam. Ich habe zwei Drittel meines Lebens in Deutschland verbracht – ich bin Deutscher.

    Heute gibt es ja so viele Menschen mit ausländischem Ursprung, die in Deutschland Fußball spielen. Damals gab es sehr wenige, ich war in Köln der einzige Ausländer. Egal ob Türke oder woanders her, die hätten mich auch akzeptiert – ich spielte ja Fußball.
    Aber später, ab 1965/66 da kamen sehr viele Leute. Die Männer haben Arbeit gefunden. Aber als die Frauen kamen – mit Schleier und so weiter. Die Gedanken und Meinungen in der deutschen Bevölkerung haben sich dann plötzlich geändert.
    Aber man muss es auch von der anderen Seite sehen. Die Leute sind aus anatolischen Dörfern gekommen. Die mussten, was Modernisierung betrifft, 50 Jahre überspringen. Die konnten nicht einmal lesen, das waren Analphabeten. Der Ehemann hat gesagt: ‚Ich bin ganz alleine hier, komm doch mal kochen und Kinder machen.‘ Und am Ende sind es die Kinder, die jetzt zum Teil darunter leiden.“

Kontakt und Anreise nach Köln

Arbeit bei Ford in Köln

Enttäuschung um das Bundesdeutsche Endspiel 1960

Im Dienst des Fußball-Verbands Mittelrhein

Ablehnung als Schiedsrichterobmann


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Johannes Eulering

Johannes Eulering

Johannes Eulering

*1933
Langjähriger Sportreferent der Landesregierung NRW im Kultusministerium
sowie Abteilungsleiter Sport – Sportstättenbau – Schulbau

Johannes Eulering begann seine Laufbahn als Studienrat für Deutsch und Sport am Humboldt-Gymnasium in Essen. Ins Kultusministerium wurde er als Sportreferent berufen zur Organisation des Landessportfestes der Schulen/Jugend trainiert für Olympia und zur Umsetzung des Förderungsplans Leistungssport. Als Ministerialdirigent war er dann für alle der öffentlichen Hand übertragenen Förderbereiche zuständig.

Kurzbiografie

  • Geboren 1933 in (Bottrop-)Kirchhellen
  • Ab 1970 Sportreferent der Landesregierung im nordrhein-westfälischen Kultusministerium
  • Ab 1971 Präsidiumsmitglied des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen
  • 1977 Konstituierung der Sportministerkonferenz der Länder
  • Ab 1979 Leiter der neuen Abteilung Sport – Sportstättenbau – Schulbau im nordrhein-westfälischen Kultusministerium
  • 1987 Programmausschussmitglied des West-Berliner Kongresses “Menschen im Sport 2000”
  • 1992 Staatsziel Sport in der Landesverfassung
  • 1993 Dr. phil. h.c. der Universität Bielefeld
  • 1997-2005 Vizepräsident des LSB NRW
  • 1998-2006 Präsident der Europäischen Akademie des Sports
  • 2002 Sportplakette des Landes Nordrhein-Westfalen
  • Seit 2006 Ehrenpräsident der Europäischen Akademie des Sports 
  • 2008 Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen

Johannes Eulering über …

  • … die Hitlerjugend und den Beginn des organisierten Sports nach dem Zweiten Weltkrieg

    „Bei der Hitlerjugend waren wir nur ein Mal richtig versammelt. Wir wurden von der Schule aus dahin bestellt und wurden dann ziemlich malträtiert. Wer nicht geradeaus marschierte, bekam einen Tritt in den Hintern. Man hat uns schon am Morgen all unsere Mützen weggenommen, so konnten wir im Laufe des Tages nicht wieder nach Hause. Von da aus war diese Hitlerjugend für uns kein Anziehungspunkt mehr, der das sportliche Leben und die Jugend versuchte zu beherrschen. Ich bin dann in der kirchlichen Jugendarbeit groß geworden. Zum Sport bin ich da auch gekommen. Und zwar ähnlich wie in der Gründungsgeschichte von Borussia Dortmund – durch die Jugendarbeit in unserer katholischen Jugend. Im Unterschied zu Dortmund, wo der Kaplan wohl gegen die Gründung des Sportvereins war, war unser Kaplan aber dafür. Er besorgte uns dann ein Stück Heidesand und animierte uns dazu, dort einen Fußballplatz zu bauen. Und da haben wir dann selbst aus der Heide einen Sandplatz herausgearbeitet. Die Torbalken haben wir per Fahrrad zum Platz getragen. Ich habe es deswegen so gut in Erinnerung, weil den einen Querbalken, den habe ich auf meiner Schulter von einem Sägewerk bis zum Sportplatz gefahren. Und als ich ihn von der etwas schmerzenden Schulter runterwarf, traf der genau den Hund unseres Freundes, der jaulend davonstob. Aber der Hund hat diese ganze Gründung überlebt. Und so fingen wir dann mit dem Sportleben an. Die erste richtige Erinnerung an Fußballspiele habe ich 1946, als wir den ersten Fußball für 700-800 Reichsmark und einige Speckseiten erworben haben. Wir haben in der Sommerzeit, als die Uhr zweimal verschoben wurde, bis 11 Uhr abends Fußball gespielt. Von da aus bin ich dann in die Welt des Fußballs hineingekommen. Ansonsten haben wir in unserer Pfarrjugend auch Tischtennis gegen einen Tischtennisverein gespielt. Wir bildeten den anderen Verein und haben auch eigene Meisterschaften durchgeführt. Zum Beispiel Mehrkampfmeisterschaften. Heute kann ich sagen: Ich bin immer noch stolz, dass ich da den ersten Platz gewonnen habe.“

  • … Arbeitstage im Kultusministerium und Landessportfest der Schulen

    „Ich kam wieder zum Personalchef, der sagte: ‚Gehen Sie mal auf die sechste Etage. Ihnen wird schon jemand sagen, was sie zu tun haben.‘ Ich bin hochgegangen, habe an die Tür geklopft, bin reingegangen – es war wohl auch einer der Glücksfälle in meinem Leben: Da saß nämlich der Sachbearbeiter, der vorher das Landessportfest mit Friedel Schirmer zusammen organisiert hatte. Ich sage: ‚Ich soll mich hier melden und hier würde mir gesagt, was ich zu tun hätte.‘ ‚Ja‘, sagt er, ‚da steht ein Schreibtisch. Da saß vor einigen Tagen einer, der war drei Tage lang hier. Ein Herr Schmitz aus Köln. Als er hörte, was zu tun war, hatte er sich wieder verdrückt.‘ Da habe ich Platz genommen und dann hatte ich ja immerhin den Sachbearbeiter neben mir.
    Ohne irgendjemanden zu fragen, ohne dass irgendjemand sonst was gesagt hat, habe ich mir von ihm sagen lassen, wie das geht und was man machen soll. Und dann haben wir als erstes ein Organisationsbüro aufgebaut. Das war sicher eine der wichtigsten Entscheidungen. Wir haben dann von da aus das zweite Landessportfest der Schulen auf den Weg gebracht, sehr zur Freude des Ministers Holthoff.
    Es regnete, als das Landessportfest bevorstand. Das habe ich auch nie vergessen: Ich kriegte einen Anruf des Ministers, der fragte: ‚Herr Eulering, was machen wir denn, wenn es weiter so schifft?‘ Ich habe es nie vergessen. Er war der Kultusminister, Feingeist, war aber auch ein Junge aus dem Revier. Ich sagte ganz routiniert ‚Herr Minister, der Krisenstab tagt schon.‘ Da war einer beruhigt.
    Der Krisenstab bestand darin, dass wir Lehrer gesucht haben, die mit heißem Tee durch die Wettkampfstätten gehen sollten. Was sollte man sonst machen? Ansonsten war das alles durchgeplant und ist gut über die Runden gegangen. Und so hat sich dann das Landessportfest entwickelt und ist heute noch mit ‚Jugend trainiert für Olympia‘ einer der größten Schulsport-Wettbewerbe, die es in der Bundesrepublik gibt.“

  • … die Bildung einer Abteilung Sport im Kultusministerium

    „Wir haben immer, wenn das Stichwort ‚Sport‘ ertönte ‚Hier!‘ gerufen. Das brachte natürlich immer mehr Arbeit. Und man musste immer auch Leute finden, die die Arbeit dann mit erledigten. Alles konnte man ja nicht selbst bewältigen.
    Ein Ministerium ist ja organisiert in Referaten, Gruppen und Abteilungen und schließlich wurde eine Gruppe Sport gebildet. Wir waren bis dahin Teil einer Gruppe, die in der Weiterbildung und der beruflichen Bildung untergebracht war. Und ich wurde dann als derjenige, der die ganze Arbeit bis dahin zumindest gesteuert hatte, zum Gruppenleiter ernannt. Und von da aus an ging die Arbeit weiter zur Bildung einer Abteilung, die wir dann Ende des Jahres 1979 installieren konnten. In diesem Zusammenhang ist Aktionsprogramm Breitensport ein Stichwort. Die Bildung der Abteilung war im Grunde ein reines Wunder. Schließlich war es in der Landesregierung nicht vorgesehen, dass aus einem Schulsport-Referat oder aus einem Leistungssport-Referat irgendwann mal eine Abteilung würde.“

  • … NRW als Wegweiser der Sportentwicklung

    „Dann kam die Gründung der Sportministerkonferenz und vorher gab es noch die deutsche Sportkonferenz. Der Blick weitete sich dann in diesen Bereichen über Nordrhein-Westfalen hinaus. Und Nordrhein-Westfalen wurde eins der führenden Länder für die Entwicklung des Sports – auch in anderen Bundesländern. Ich erlebte das in der Kommission, dass viele meiner Kollegen immer dann, wenn wir sagten: ‚Das machen wir!‘ Sagten: ‚Ja, wir müssen das noch bei uns im Hause erst mal klären, ob wir das auch machen dürfen.‘ Wir hatten ein gewisses politisches Gewicht. Das wurde auch in die anderen Länder hineintransportiert und gesehen.
    Dann habe ich versucht, die Diskussion über einen neuen Goldenen Plan von Nordrhein-Westfalen in Gang zu setzen. Jetzt hat ja der Innenminister Seehofer auch wieder mal einen neuen Goldenen Plan gefordert. So lange sind die Dinge im Grunde schon im Schrank und haben sich dann wiederholt. Ich wurde dann über diese Arbeit im Sportstättenbau Mitglied in der Kommission für Sportstättenbau und Umwelt im Deutschen Sportbund. In der Kommission Sportstättenbau hab ich dann vorgeschlagen, wenn wir schon keinen neuen Goldenen Plan im Westen kriegen, dann machen wir einen Goldenen Plan für die neuen Länder und habe dann das Konzept für einen Goldenen Plan Ost entworfen, der dann vom DSB akzeptiert und verabschiedet wurde. Der Plan hat natürlich am Schluss viele Väter, die dafür gesorgt haben, dass das zu einem Leitbild für die Sportstättenentwicklung in den neuen Ländern wurde.“

  • … Olympische Spiele im Ruhrgebiet

    „Als Wolfgang Clement Ministerpräsident wurde, kam plötzlich im Landeshaushalt eine Position von 5 Millionen DM an. Die wollte die Staatskanzlei selbst verwalten. Und ich habe in Verhandlungen mit Clement und dem Chef der Staatskanzlei erreicht, dass diese 5 Millionen doch in den Sportetat eingefügt wurden. Und wir hatten plötzlich 5 Millionen DM, um Großveranstaltungen bezuschussen zu können. Die World Games kamen ja dann nach Duisburg, daran haben wir dann auch mitgewirkt. Dass das Ruhrgebiet berücksichtigt wurde, können Sie noch daran sehen, dass bei den World Games eine Stadt wie Bottrop, meine Heimatstadt, mit als Veranstalter tätig wurde. Und natürlich wurde einiges, was da an Leistungssport und Leistungszentren zum Zuge kam, von uns ausgebaut.
    Und als dann der olympische Gedanke auftauchte, gab es in meiner Abteilung zwei Gruppen. Die einen waren dagegen, weil sie der Meinung waren, Olympische Spiele nach Deutschland zu holen, wenn wir das real wollen, da gibt es so viele Probleme, und wir Deutschen sind in den internationalen Gremien so dünn vertreten, das schaffen wir nie. Meine Gruppe war der Meinung, so viel Reklame fürs Ruhrgebiet wie mit einer Bewerbung für Olympische Spiele kriegen wir nie wieder auf die Beine. Und ich war dann im Aufsichtsrat und habe daran mitgearbeitet, dass die Entwicklung ‚Olympia ins Ruhrgebiet‘ in Gang kam. Wir haben Rucksäcke mit ‚Olympia ins Ruhrgebiet‘ geschaffen und verkauft. Ich habe sie selbst durch die Alpen getragen. Wir haben das von uns aus voll unterstützt.
    Als am Abend vor der Entscheidung ‚Leipzig oder wer?‘ ein Empfang gegeben wurde, kam ein guter Kollege aus dem Sitz zu mir und sagte: ‚Fahren Sie ruhig wieder nach Hause. Das ist längst entschieden. Das geht alles nach Leipzig.‘ Und so lernte man auch wieder etwas über die Vergabe von Olympischen Spielen im Ruhrgebiet kennen.

    Was nie geschehen ist, was ich gerne gehabt hätte, wäre eine Analyse, warum diese Bewerbung für das Ruhrgebiet damals gescheitert ist. Eine Ursache ist sicher – man hatte nicht genügend qualifiziertes Personal angeworben. Ich sollte für das Bewerbungskomitee mit der Kommission Kultur des DOSB und der Prüfkommission des NOK ein Gespräch in Leverkusen über Kultur führen. Und dann sollten die Verantwortlichen vortragen. Nach zehn Minuten kam eine sehr gute Bekannte aus dem Ausschuss für Sportstättenentwicklung zu mir und sagte: ‚Herr Eulering, die sind ja überhaupt nicht vorbereitet. Wenn sie nicht hier säßen und leiten würden, dann wären wir jetzt schon nach Hause gefahren.‘ Also es war viel Dilettantismus in der Vorbereitung. Man kriegte Weihnachten eine Karte geschickt: Advent, Advent, ein Kerzlein brennt und so steht Olympia vor der Tür. Damit kann man, glaube ich, nicht ernsthaft für Olympische Spiele werben. Auf dem Niveau war viel, was nicht gelungen ist und was leider für zukünftige Entwicklungen nicht genügend analysiert wurde. Jetzt scheint, soweit ich das jetzt als Rentner und weit von außen betrachten kann, diese ganze Olympiabewegung im Ruhrgebiet ein anderes Niveau zu haben und auch auf einem anderen Sockel zu stehen. Der Ministerpräsident ist ja ein Promoter des Ganzen. Und mit Michael Mronz und seinem Unternehmen ist das auch kommerziell viel mehr abgesichert. Und der Raum Rhein-Ruhr ist auch größer und ausgedehnter, um da weiterzukommen. Ob man je zu Olympischen Spielen in der Region Rhein-Ruhr kommen wird, das weiß ich nicht. Aber es gibt, wie bei der Universiade 1989 überraschende Ereignisse, wo plötzlich die Welt froh ist, wenn sich irgendjemand findet und dann auch bereit ist, so etwas zu machen. Das Ganze vorzuplanen, durchzuplanen und dafür die Voraussetzungen zu schaffen, das wird dem Leistungssport und dem Spitzensport in Deutschland guttun.“

Genese der Landessportfeste und Wechsel in das Kultusministerium

Staatsziel Sport


Hier findet sich das vollständige Interview im PDF-Format:

Zu den Zeitzeugen NRW

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