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Schlagwort: Klartext

Ludger Claßen

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Ludger Claßen

1953-2023
Leiter Klartext Verlag

„Ludger, Dir gehört der Himmel!“ In seinen 31 Jahren an der Spitze des Essener Klartext Verlags eröffnete Ludger Claßen eine Vielzahl an neuen Perspektiven auf die Kultur- und Sozialgeschichte des Ruhrgebiets – und schoss damit auch den Revierfußball in den (populär-)wissenschaftlichen Betrachtungswinkel.

Kurzbiografie

  • Geboren 1953 in Essen
  • Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen sowie Gymnasien in Deutsch und Philosophie
  • 1975-1985 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich für Literatur- u. Sprachwissenschaften der Universität Essen
  • 1981-2010 Aktives Mitglied der Lehrersportgemeinschaft Essen
  • 1985 Dissertation in Germanistik (Titel: Strategien satirischen Erzählens: Exemplarische Untersuchungen zur satirischen Prosa des 20. Jahrhunderts) an der Universität Essen
  • 1985-2016 Leiter des Klartext Verlags in Essen
  • 1988 Publikation von Hans Dieter Baroths: “Jungens, Euch gehört der Himmel” – die Geschichte der Oberliga West
  • 1991-1997 Geschäftsführer der Fachzeitschrift Revier-Sport
  • 2003-2022 Co-Gründer und Geschäftsführer des K-West Verlags
  • 2018 Honorar-Professor für Geschichte und Literaturwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen 
  • 2023 Ludger Claßen stirbt im Alter von 70 Jahren in seiner Geburts- und Heimatstadt Essen

Luder Claßen über …

  • … seine sportliche Sozialisation

    „In meiner Kindheit und meiner Jugend hatte ich familiär bedingt schon immer viel mit Sport zu tun. Mein Vater war Volksschullehrer und war auch einer von zwei Koordinatoren für das Sonderturnen in Essen. Und von daher war Sport immer ein Gegenstand der Familie und mein Vater hat neben seiner Arbeit als Lehrer auch jede Gelegenheit genutzt, sich im Rahmen von Fortbildungen auch sportlich zu betätigen.
    Dadurch bin ich als Kind sportlich zunächst mit dem Skilaufen aktiv geworden. Das heißt, wir sind, seitdem ich acht Jahre alt war, im Grunde nie mehr in den Sommerurlaub gefahren, sondern Weihnachten und Ostern zum Skilaufen. Sagen wir mal, was ich von mir jetzt behaupten würde, das Einzige, was ich wirklich kann, ist Skilaufen.
    Mein Vater war gleichzeitig Feldhandballspieler. Mitglied in einem, was damals noch eine Rolle spielte, katholischen Handballverein. Das kann man sich natürlich auch heute nicht mehr vorstellen. Bis Mitte der 1960er-Jahre spielte die konfessionelle Ausrichtung auch im Sport eine große Rolle. Auch die Milieus zwischen Protestanten und Katholiken waren sehr stark getrennt und im Grunde endete das erst mit der Schulreform 1966 und der Auflösung der katholischen und der evangelischen oder der konfessionellen Volksschulen. Mit der Errichtung der Hauptschule und der Grundschulen löste sich das langsam auf. Und durch die Vereinszugehörigkeit und das Handballspiel meines Vaters bin ich auch in den Verein eingetreten und habe so mit 9, 10 dann Feldhandball gespielt. Das hörte dann aber auf, weil das auch gerade für Jugendliche dann eben nicht attraktiv war. Und dann spielte ich so seit 1963, 1964 in der Halle und habe dann aber irgendwann, so mit Beginn der Pubertät dann den Spaß am Handballspielen verloren. Sodass Sport für mich immer eine Rolle gespielt hat, denn nach dem Abitur habe ich dann weiter mit ehemaligen Klassenkameraden zusammen Sport gemacht.

    Vielleicht noch eine Anekdote zur Schule: Ich bin April 1963 ins Gymnasium gekommen, im August startete die Bundesliga. Das erste Tor schoss, wie man weiß, Friedhelm Konietzka, der den Spitznamen „Timo“ hatte und einer unserer Klassenkameraden hieß auch Friedhelm mit Vornamen. Und er war auch ein sehr begnadeter Außenstürmer und der heißt im Grunde seit August 1963 „Timo“ und ist dann auch unter diesem Namen allgemein bekannt gewesen. Und das zeigt so eine sehr starke, nicht nur aktive Seite, sondern auch ein Interesse, was heute die Kinder und Jugendlichen auch noch am Fußball haben. Das hat sich dann im Grunde bis heute einigermaßen gehalten. Und ich habe mich dann während des Studiums einmal in der Woche mit ehemaligen Klassenkameraden getroffen und wir haben dann samstags immer auf der Brehminsel in Werden zwei, drei Stunden gekickt. Dann mit Unikollegen auch mal in so einer Freizeitliga gespielt, da waren Ulli Herbert, Franz Brüggemeier und alle möglichen Koryphäen dabei. Und dann auch in dem Fußballverein, in dem mein Vater spielte, war so eine Lehrer-Sportgemeinschaft. Da habe ich dann auch mitgespielt, auch Punktespiele gemacht. Und das hat sich im Grunde, bis ich 45, 50 war, erhalten. Und dann bin ich bei irgendeinem Betriebssportwettkampf so getreten worden, dass ich dann ein halbes Jahr nicht laufen konnte. Dann habe ich mit dem Fußballspielen aufgehört und fahre jetzt bis heute eher Fahrrad und mache Spaziergänge oder Wanderungen.“

  • … die sportmediale Landschaft der 1970er- und 1980er-Jahre

    „Die Medien, die für uns eine Rolle spielten, das waren natürlich die Tageszeitungen. Bis 1972 gab es den „Sport Beobachter“, der dann 1972 sein Erscheinen einstellen musste, weil der in einer Druckerei hergestellt wurde, die Anfang 1972 abgebrannt ist. Ich weiß das deshalb genau, weil ich nach dem Abitur 1971, da drei Monate in der Fertigmacherei Telefonbücher gestapelt und zum Versand fertiggemacht habe. Ich hatte dann eigentlich vor, in den folgenden Semesterferien, nämlich Februar, März, April in 1972, dann da auch wieder zu arbeiten. Da konnte ich aber nicht als Student arbeiten, weil das Ding abgebrannt war. Und die machten auch den „Sport Beobachter“. Da gab es ja noch keine Computer, denn der „Sport Beobachter“ wurde in Blei gesetzt.
    Durch den Brand waren alle Setzmaschinen und die Druckmaschinen kaputt. Die Druckerei stand dann zwei Jahre still, von daher konnte der „Sport Beobachter“ nicht erscheinen. Das war halt so ein knallhartes Fachblatt, wo es wirklich um Zahlen, Daten, Fakten ging. Ansonsten lasen wir die „WAZ“ und die anderen Regionalzeitungen. In die erste Wohngemeinschaft bin ich Ende 1972 gezogen. Das war dann so, dass wir samstags entweder Autos schraubten oder sonst irgendwas machten und die ganze WG dann die Bundesligaübertragung hörte.
    Die Gründung der Zeitung „Revier-Sport“, die war 1987. Unsere Einschätzung war, dass der regionale, auch insbesondere Ruhrgebietsfußball ebenso keine richtige Entsprechung fand, vor allen Dingen, weil eben auch nur über die erste Liga berichtet wurde und weiter unten nicht mehr.
    Man muss sich auch wieder daran erinnern, die 1980er-Jahre waren eigentlich für den Fußball eine relativ tote Zeit, die Zuschauerzahlen gingen stark zurück. Und der Aufschwung des Fußballs bis hin zum heutigen Showgeschäft, der startete eigentlich erst 1990, als Kaiserslautern Meister wurde und dann diese ewige Bayern-Vorherrschaft gebrochen wurde. Und dann kamen auf einmal auch Frauen als Zuschauerinnen mit zum Spiel. Mittlerweile ist es ja auch, man würde jetzt im Nachhinein sagen, amerikanisiert.“

  • … die Anfänge beim Klartext Verlag

    „Ich habe 1985 beim Klartext Verlag als Lektor angefangen. Der Verlag wurde 1983 gegründet. Vorläufer war eine Stadtzeitung in Essen, die ‚Standorte‘ hieß, wo ich der Chefredakteur war. Wir versuchten mit der Zeitung oder Zeitschrift ‚Standorte‘, die einmal monatlich erschienen, so ein bisschen, ja, damals nannte man das Gegenöffentlichkeit, so ein bisschen Dinge aufzudecken, die sonst in der Stadt zwar vielleicht unter der Hand, aber so nicht öffentlich waren und zur Sprache gebracht wurden. Und das wollten wir eben aufdecken. Aus dieser Motivation heraus hatte sich dann auch der Klartext Verlag gebildet. Mit den Gründern des Verlages war ich auch aufgrund der Zusammenarbeit bei den ‚Standorten‘ verbunden und insofern habe ich beobachtet, was die machten. Die ersten Bücher, die bei Klartext erschienen sind, beschäftigten sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, also zum Beispiel zwei Bände ‚Rote Fahnen im Vest‘, über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im Vest Recklinghausen von Hermann Bogdal. Dann gab es 1983 oder 1984 einen Titel mit einem Vorwort von Günter Wallraff: ‚Wenn Bild lügt, kämpft dagegen‘. Also sozusagen eine kritische Auseinandersetzung mit der Bild-Zeitung. Das war ein sehr erfolgreiches Buch.“

  • … die Kommerzialisierung der Sportwelt

    „Ich denke mal, ab Mitte der 90er-Jahre änderte sich die publizistische Welt insofern, als das das Ganze jetzt auch immer mehr publik wurde, vor allen Dingen der Fußball, aber auch viele andere Sportarten. Das war damals Becker mit seinem Wimbledon-Sieg, da fanden Ereignisse statt, die eben nicht mehr einfach nur Sportereignisse waren, sondern zu einem Bestandteil eines Showgeschäfts wurden, das sich immer weiter ausdehnte. Als Folge nahm es dann auch sowohl im publizistischen, wie aber auch im wirtschaftlichen Bereich immer größere Dimensionen an.
    Mittendrin so ein Organ wie Reviersport, was sozusagen jetzt auch bis heute treu und brav berichtet. Aber da spielte eben die Musik nicht mehr auf unserer Ebene. Wir bekamen dann mit den zunehmenden Jahren nicht mehr exklusiv die Informationen, an die wir vorher vielleicht gekommen wären, weil man sich dann in den Fußballvereinen in anderen Sphären bewegte. Was der Fußball jetzt mit Dortmund und Bayern offenkundig auch tut. Schalke war immer für eine Geschichte gut, im Moment eher für wechselhafte Geschichten.“

  • … das Thema Fußball und Literatur

    „So ist dieses Buch 1988 im November erschienen. Ich habe dem Buch dann den Titel ‚Jungens, Euch gehört der Himmel – die Geschichte der Oberliga West‘ gegeben und das Buch war für unsere Verhältnisse und ich denke auch über unsere Verhältnisse hinaus, ein riesiger Erfolg. Wir haben da in anderthalb Jahren 9000 Exemplare verkauft. Das war für uns der Einstieg. Wir haben das dann ‚Die etwas anderen Fußballbücher‘ genannt. Also sozusagen ein bisschen Zeitgeschichte, Sozialgeschichte und Fußball miteinander verbunden. Und dass die beiden Sphären, also die Sphäre Fußball und auch, die intellektuelle Welt durchaus durchlässig waren, das haben wir dann auf dem Historikertag in Bochum erlebt, wo wir als historischer Verlag einen Stand hatten. Ich weiß nicht genau, ob es 1990 oder 1992 war. Jedenfalls war die Erfahrung, dass wir weitaus mehr von unseren ‚anderen Fußballbüchern‘ verkauft haben als historische Monografien. Was eben zeigte, dass sich der Fußball und auch die Fußballbegeisterung und das Interesse an Fußball jetzt leichter bekennen ließ. Aber auch, dass Fußball sozusagen nicht nur als Meisterschaft und Tore notieren und wie viele Ecken und so weiter, sondern dass die Beschäftigung mit dem Fußball auch ein Teil der Gesellschaftsgeschichte wurde und einfach Interesse erweckte, sich über die bloßen sportlichen Ergebnisse hinaus damit zu beschäftigen. Diesen Einstieg oder diesen Umschwung, den Fußball zu öffnen und als auch Teil von Geschichte und Lebenswelt und so weiter zu betrachten, das würde ich jetzt im Nachhinein für uns in Anspruch nehmen.“

Publizistische Genese des Klartext Verlags

Erweiterung des Publikationsspektrums um Fußballgeschichte

Motive zur Gründung der Fachzeitschrift Revier-Sport

Wandel des Sports und die Folgen für Revier-Sport

Fokusverschiebung des Klartext Verlags


Hier finden Sie das vollständige Interview im PDF-Format:

Zu den Zeitzeugen Ruhr

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