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Autor: Niklas Hack

Thomas und Andreas Steinmeier

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Thomas und Andreas Steinmeier

*1958
Weltmeisterliches Radball-Duo

Die Zwillinge Andreas und Thomas Steinmeier zählten in den 1980er und 1990er Jahren zur Elite des internationalen Radballsports: Drei WM- und vier Europapokaltitel stehen auf dem Erfolgskonto der gebürtigen Liemer, die sich im Duett auch acht nationale Meisterschaften erspielten.

Kurzbiografie

  • Geboren 1958 in Lemgo-Lieme
  • 1970 Eintritt in den Verein RSV „Tempo“ Lieme
  • 1975 Deutsche Jugendmeister
  • 1976 Jugend-Europapokalsieger
  • 1980-1984 Andreas studiert an der Fachhochschule Lippe mit dem Abschluss zum Diplom-Betriebswirt – sein Bruder Thomas besucht die DSHS Köln mit dem Abschluss zum Diplomsportlehrer
  • Zwischen 1981 und 1994 – 6x Bundespokal-Sieger
  • Zwischen 1982 und 1995 – 8x Deutscher Meister
  • 1982, 1983 und 1990 Weltmeister
  • 1984, 1986, 1990 und 1992 Europapokal-Sieger
  • 2015-2020 Bankhaus Lampe in Frankfurt (Andreas)
  • 2017-heute Key Account Manager bei KAM Experts (Thomas)

Thomas und Andreas Steinmeier über …

  • … Vereinsleben und soziales Miteinander

    Andreas Steinmeier (AS): „Was wir wahrgenommen haben, das war die Unterstützung des Vereins. Wir waren nicht arm, kamen aber aus bescheidenen Verhältnissen. Viele Leute aus dem Verein haben uns zu den Sportveranstaltungen gefahren. Radball ist ja keine Sportart, die von Dorf zu Dorf gespielt wird. Man fährt auch schon mal 100 oder 200 Kilometer. Viele aus dem Verein haben sich sehr für uns engagiert.
    Das Soziale war natürlich sehr ausgeprägt in einem so kleinen Verein in Lemgo-Lieme. Der Verein selbst wurde 1910 gegründet und in den 60er-/70er- und 80er-Jahren hat man sich dann ausschließlich auf Hallenradsport konzentriert. Auf der einen Seite Radball, und Radkunstfahren auf der anderen Seite. Das Vereinsleben hat uns zu dieser Zeit sehr geprägt.

    Thomas Steinmeier (TS): Die Leistungsorientierung ist im Sport auch ein großes Thema gewesen. Man merkt dann, dass es gut klappt mit dieser Sportart. Dann möchte man auch gegen die anderen Spielen und auch mal ein Radballspiel gewinnen. Diese Leistungsmotivation spielt im Sport eine große Rolle, aber das ist es eben nicht alleine. Wenn man aus so einer Vereinsumgebung kommt wie dem Radsportverein ‚Tempo‘ Lieme, dann bekommt man ja auch mit, dass es mal soziale Spannungen gibt. Vielleich wurde etwas gestohlen aus dem Umkleideraum oder dass es dem einem vielleicht mal nicht so gut geht, weil die Eltern die Reise nicht finanzieren können. Man bekommt in dieser Zeit auch eine ganz starke soziale Prägung. Später, im beruflichen Leben merkt man, dass man so eine Leistungsorientierung hat. Das erfährt man auch bei anderen Kollegen, die aus Sportvereinen kommen. Die haben auch eine Teamorientierung, denn die können ja auch im Training ohne den Gegner zu Hause gar nicht vernünftig trainieren. Denn beides spielt eine große Rolle. Das ist eine Prägung, an die man sich erinnert und die man dann hinterher verinnerlicht.“

  • … die Technik hinter dem Radballspiel

    AS: „Wie spielt man Radball? Durch diesen gebogenen Lenker nach vorne und durch die Bewegung des Lenkers in eine Richtung, bewegt sich natürlich auch das Vorderrad in die eine oder andere Richtung. Man schießt, indem man das Lenkrad ruckartig bewegt und mit dem Pedal tritt und so nach vorne Druck bringt. Das sorgt dafür, dass so ein Radball mit 80 km/h fliegt. Es ist nicht so schnell wie ein Fußball oder Handball. Es ist aber auch ein wesentlich kleineres Sportfeld. Es ist 14 Meter lang und elf Meter breit. Es spielen zwei Mannschaften gegeneinander, jeweils zwei Personen. Der Radball ist etwas kleiner als ein Handball. Aber erheblich schwerer und er ist ausgestopft. Wenn man diesen Ball dann aus der optimalen Schußentfernung, die 3,50 Meter betrifft, mit 80 km/h abbekommt, dann ist das nicht schön. Da fällt man auch schon mal vom Rad. Dieser Ball hat dann eine unglaubliche Wucht, er springt ja auch kaum hoch, wenn man ihn fallen lässt.
    Es dauert für einen elf- bis zwölfjährigen Jungen wenigstens zwei Jahre, bis er endlich in der Lage ist, ein Spiel gegen einen Gegner zu führen, wo nicht alle sagen: ‚Wie schrecklich ist das denn?‘ Das heißt, man muss den Ball schießen, den Ball bewegen und bloß nicht vom Rad fallen, das ist die hohe Kunst.
    Es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, die häufiger vom Rad gefallen sind als wir beide. Man stürzt sehr viel. Aber was Radball ausmacht, sind Geschwindigkeit und Technik. Man muss sich klar werden, dass die Spieldauer zweimal sieben Minuten beträgt. Und dann ist man völlig erschöpft. Es ist physisch kaum möglich, mehr als vier-fünf konzentrierte Radballspiele an einem Tag zu machen, obwohl die Spielzeit nur zweimal sieben Minuten ist. Das macht den Sport für mich aus. Und natürlich ist es als Mannschaftssport sehr anspruchsvoll. Es macht aber auch sehr viel Spaß.

    TS: Es ist hart, es ist ruppig, es gibt auch Kontakte. Man ist permanent im Kontakt mit dem Gegner. Eishockey ist vielleicht auch von seiner Ruppigkeit ähnlich, es ist auch sehr komplex. Es braucht natürlich auch eine gute Vereinssituation, dass man das durchhält. Aber wenn man es dann mal angefangen hat, kommt man schlecht wieder davon los, dann ist man infiziert.“

  • … Vor- und Nachteile des Amateursports

    TS: „Radball wurde damals schon als Randsportart bezeichnet und das ist es auch geblieben. Es hat mich immer sehr verbittert, dass es nie olympisch geworden ist.
    Auch in der Zeit, als Olympia noch Amateursport war. Das kam erst in den 80er-Jahren, als das komplett kommerzialisiert worden ist. Früher hieß es: Die Jugend der Welt trifft sich – und es waren Amateure. Dann kam dieser Wettkampf mit diesen unsäglichen Medaillenlisten, dass der Osten eben da besser war. Und dann wollte der Westen mit Steffi Graf, Boris Becker und mit dem Fußball auch hinterher. Früher war Olympia ein Festival der Amateure und Radball war auch immer ein Amateursport und ist es heute auch geblieben.
    Der besondere Vorteil von diesem Amateurstatus sind die intensiven Beziehungen zu Sportlern aus dem Ausland. Der Nachteil ist, dass es eben kommerziell nicht so viel bringt.
    Das ist eine Sportart, da geht es nicht um Millionen, sondern um den Sport. Da geht es auch ein bisschen um die Ehre oder das Gesicht, was man verlieren könnte. Da geht es aber auch darum, dass man abends zusammen feiert. Wir haben heute noch mit Sportlern aus Österreich, der Schweiz oder dem Schwarzwald kontakt. Mit denen gehen wir immer noch zusammen Ski fahren. Eigentlich sind es Gegner gewesen, die wir auf dem Radballfeld kennengelernt haben, wo die Beziehung so intensiv geworden sind, dass man nach vielen Jahren sagt: ‚Lass uns doch mal einmal im Jahr treffen. Wir gehen mal drei Tage Skilaufen ins Montafon.‘ Und diese Freundschaften, die haben den einzigen Hintergrund, dass wir uns im sportlichen Bereich miteinander auseinandergesetzt haben. Vielleicht ist das ein Vorteil gegenüber den kommerziell so interessanten Sportarten.“

  • … mediale Aufmerksamkeit und Beziehungen zwischen Ost und West

    AS: „Mitte der Achtziger wurde auch Hallenradsport relativ häufig im Fernsehen gezeigt. Das hat damit zu tun gehabt, dass die dominierende Mannschaft der Welt das lange Zeit ungeschlagene tschechische Brüderpaar war, was wir in Wiesbaden 1982 bei der Weltmeisterschaft geschlagen haben. Es gab damals noch die Blöcke – den Ostblock und den Westblock. Das war halt für bestimmte Zeitgenossen besonders wichtig, dass man gegen den Ostblock gewonnen hat. Das Verrückte ist nur, wenn wir in der Tschechoslowakei gespielt haben, dann gab es von uns nur Sympathie für die Sportler aus der Tschechoslowakei und auch gegenüber der DDR-Sportler, die wir da kennengelernt haben. Da musste man auch mal einen Vorhang ziehen, da gab es schon Aufpasser. Das war seinerzeit halt so. Aber die Freundschaft mit diesen Sportlern, die ja auf dem Sportfeld immer unsere Gegner waren, die war schon da – und wir haben schöne Partys gefeiert.

    TS: Ich kann mich noch erinnern, da war ich bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe in Mainz und in der Grundausbildung in Wolfhagen. Ich war auf einem Länderkampf gegen die Tschechoslowakei und dann wurde ich hinterher vom MAD-Offizier befragt: Was ich denn da gemacht habe, ob ich Kontakte gehabt hätte? Ich sage: ‚Haufenweise. Wir haben gefeiert, ohne Ende!‘
    Ob die denn auch beim Militär gewesen sind? ‚Die waren alle beim Militär.‘ Also für mich war diese Beziehung zu den Menschen viel wichtiger. Auch zu den Kollegen aus der DDR, die es ja viel schwieriger hatten. Denn dort haben nicht-olympische Disziplinen nun gar keine Rolle gespielt. Die mussten viel mehr organisieren und das Material beschaffen. Und die hatten trotzdem Topsportler. Ich weiß noch Großkoschen, Senftenberg, da waren Topsportler in der DDR. Die haben wir dann heimlich in der Tschechoslowakei getroffen. Wir hatten ein super Verhältnis zu denen.
    Sport war auch immer mit Feiern und mit Fröhlichkeit verbunden. Das ist nicht nur Knechten und Wettkämpfe und Ernsthaftigkeit, das ist auch Lebensqualität. Wir haben das komplett genossen. Die Bedeutung der Medien, die war ja für Radball auch immer begrenzt. Damals haben sich gerade die großen Sender doch sehr stark auf Fußball fokussiert und die Randsportarten wurden aus meiner Sicht relativ vernachlässigt.“

  • … den Wettbewerb untereinander

    AS: „Der Umstand, dass wir über einen großen Teil unseres Lebens in die gleiche Schule gegangen sind, im gleichen Zimmer gelebt haben, das gleiche Elternhaus und das gleiche Training hatten, führt zu einer gigantischen Rivalität. Und das Verhältnis unter uns beiden war durch diese Umstände entsetzlich. Es war so schlimm, dass der Trainer schreiend rausgelaufen ist: ‚Ich kann diesen Zwiespalt zwischen diesen beiden nicht mehr ertragen!‘
    Der ältere Bruder hat dann geschlichtet.
    Der Zwist fand nicht nur in der Radballhalle statt, sondern eben auch zu Hause. Der Wettbewerb war extrem hoch und es war schlichtweg unerträglich für viele Beteiligte, auch die Eltern. Das Verrückte ist, dass nach diesem Bruch mit so 35 Jahren, nachdem wir aufgehört hatten, haben wir uns dann überlegt: Vielleicht können wir ja gemeinsam in den Urlaub fahren? Seitdem verbringen wir jeden Sommer gemeinsam, ohne Ausnahme.

    TS: Es musste vom Gegeneinander auch zum Miteinander kommen. Und in der Trainingssituation war der Wettkampf schon so stark, wenn der eine etwas besser konnte, dann ließ man das nicht zu. Man versuchte in den nächsten Wochen genau diesen Abstand aufzuholen, den der andere durch seine bessere Leistung dokumentiert hat.  
    Bei Zwillingen sind ja die Voraussetzungen relativ ähnlich. Und dann ist der Wettkampf im Training natürlich sehr hoch. Um im Wettkampf dann gegen andere zu spielen, musste man schon zumindest aufhören mit Schuldzuweisungen. Da muss man sich fragen: ‚Was ist denn jetzt das gemeinsame Ziel?‘ Bei einer Ballsportart, wo zwei Leute das Spiel gestalten und aufbauen und Spielzüge entwickeln, wo sie anfangen, gemeinsam eine Situation ähnlich zu bewerten, damit man daraus ein Spielzug machen kann, da hat in diesem Moment Zwist natürlich keinen Platz. Das hat dann auch nach einer gewissen Zeit nachgelassen.
    Aber das ist keine Kontroverse: Der Wettbewerb untereinander und hinterher gemeinsam den Gegner schlagen. Das ist ja in der Politik auch so. Man braucht die Kontroverse, man braucht den Wettkampf untereinander. Man muss aber irgendwann auch mal das Gehirn einschalten und sagen: ‚Jetzt ist der Gegner nicht mehr mein Partner, sondern es ist der Gegner aus anderen Mannschaften.‘

    AS: Also der Wettbewerb unter uns, der war bei Turnieren absolut tabu. Dafür war der Trainer auch viel zu dominant und auch mein ältester Bruder hat Einfluss genommen. Das gab es nach außen natürlich in keiner Weise. Interessant ist auch, dass der nie gesagt hat: ‚Thomas, das hast du scheiße gemacht. Andreas, das ist blöd gelaufen.‘ Der hat immer gesagt: ‚Es gab eine andere Option. Das hätte man auch so machen können.‘ Er hat immer nach vorne geschaut. Heute sieht man noch Trainer, die das Negative rüberbringen. Unser Trainer hat schon vor 30 Jahren ganz klar gesehen: Wenn ich ein Spiel noch beeinflussen will, was nur zweimal sieben Minuten dauert, dann muss ich die motivieren. Da muss ich versuchen, die Schwächen abzustellen und die Stärken zu stärken.
    Und das hat er geschafft und er hat überhaupt keinen Streit zwischen uns auf dem Spielfeld zugelassen.
    Aber im Training war es entsetzlich.

    TS: Aber Ulrich, unser großer Bruder, der hat schon eine Zeit lang hinter dem Tor gestanden und versucht zu vermitteln. Als wir in Straßburg die Europameisterschaft in der Jugend gewonnen haben, war unser großer Bruder dabei, weil der Trainer nicht konnte. Das war die Zeit mit 16/17 Jahren, wo man sich stark gekabbelt hat. Und da hat das schon eine Bedeutung gehabt, wenn der große Bruder hinter dem Tor stand. Er war fünf Jahre älter, eine gewisse Seniorität damals für uns. Er hat schon vermittelt und uns in die richtige Spur gebracht.“

‘Radballhochburg’ Lemgo-Lieme

Sportliche Motivatoren

Deutsch-deutsche Begegnungen


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Bärbel Vitt

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Bärbel Vitt

*1938
Turnsportfunktionärin und Host der ZDF-Kindersendung „Turn mit!“

Der Titel ihrer ZDF-Kindershow „Turn mit!“ ist für Bärbel Vitt Programm: Ob als Lehrerin, Vereinstrainerin, oberste Jugendwartin des Deutschen Turner-Bundes oder Vorständin der Deutschen Sportjugend – das langjährige Mitglied der Cronenberger TG hat ihr Leben Kindern und Jugendlichen gewidmet.

Kurzbiografie

  • Geboren 1938 in Wuppertal
  • 1955-heute Mitglied der Cronenberger Turngemeinde 1880 e.V.
  • 1962-1998 Kunst und Sport Lehrerin am Städt. Gymnasium Gevelsberg
  • 1970-1978 Bundesjugendwartin Deutscher Turner-Bund
  • 1971-1978 Moderation der Kindersendung „Turn Mit“ im ZDF
  • 1978-1988 Vorstandsmitglied der Deutschen Sportjugend
  • 1988 Bundesverdienstkreuz
  • 1990-1998 Vorstandsmitglied des Deutschen Turner-Bundes
  • 2015 Sportplakette des Landes NRW

Bärbel Vitt über …

  • … Evakuierung und Umzug nach Wuppertal nach dem Zweiten Weltkrieg

    „Aufgewachsen bin ich in den ersten zehn Jahren in unterschiedlichsten Landschaften, ich bin ein Kriegskind. 1938 bis 1943 habe ich in Wuppertal mit meinen mit meinen Eltern gewohnt. Ich hatte drei Geschwister. Mein Vater war im Krieg. 1943 wurden wir nach Oberbayern auf einen Bauernhof, in der Nähe des Chiemsees evakuiert. Meine Mutter bekam dort die Nachricht, dass unser Haus bei einem Angriff in Wuppertal total zerstört- und dem Erdboden gleich war. Wo ging meine Mutter dann mit den Kindern hin? Sie hatte außer einem Koffer für uns gar nichts. Sie ging zurück in ihr Elternhaus. Meine Mutter war Westfälin aus Witten. Wir gingen dann zu den Großeltern und haben dort auch bei den Großeltern bis Ende des Krieges mit Angriffen und allem, was damals dazugehörte bis 1948 gelebt.
    Mein Vater kam dann aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Er war auch Wuppertaler und hat dann berufsmäßig wieder nach Wuppertal zurückgefunden. Wir sind dann 1948 in eine Wohnung gekommen, nach Wuppertal, in einen Vorort nach Cronenberg. Ein wunderschöner Vorort in Wuppertal, grün, umgeben von Wald und Wiesen. Es war ein Vorort, in dem ganz wenig durch Bombenangriffe zerstört worden war. Dort gab es also wirklich noch leere Wohnungen. Wir wurden dort eingewiesen und waren eigentlich, ja, ich kann es mir heute so vorstellen, völlig fremd. Wir kamen dort mit fünf Kindern hin. Das war in Wuppertal-Cronenberg sowieso eine Sensation. Dort hatte man zu der Zeit keine fünf Kinder. Und wir hatten nichts. Wir kamen wirklich in diese Wohnung und ich kann die Menschen auch verstehen, die uns doch sehr skeptisch angesehen haben. Aber wir sind doch schnell heimisch geworden, auch durch die Art meiner Mutter, die sehr tolerant war, die sehr liebenswürdig war, die sehr intelligent war. Und das haben die Menschen sehr schnell gemerkt, dass wir eine Familie waren, die auch sehr auf Bildung bedacht war. Und dann haben wir bis 1948 in Cronenberg gelebt. Ich habe da 1949 noch eine fünfte Schwester bekommen.
    Was machte man damals? Meine Eltern suchten natürlich für uns Kinder auch außerhalb der Schule nach Beschäftigung. Wo können unsere Kinder hingehen? Man kann das den heutigen Jugendlichen gar nicht erzählen, dass es das, was heute möglich ist, gar nicht gab. Es gab eigentlich so zwei Sachen, für die man sich entscheiden konnte: Die Evangelische Jugend oder auch die Katholische Jugend, die war doch dann sehr schnell nach dem Krieg aktiv und eben unser Turnverein. Dort waren schon 1946 die früheren Turner des Turnvereins sehr aktiv. Der Verein wurde auch von den Besatzungsmitgliedern freigegeben und schnell wiederaufgebaut. Und natürlich, es war ganz schnell klar: Wir können diesen Aufbau auch nur durch unsere Jugend bewältigen und müssen unserem Verein zugrunde legen, dass wir uns ganz schnell um die Kinder und Jugendlichen kümmern. Und das war für uns ein großes Glück. Diese Turnhalle war drei Minuten von meinem Elternhaus entfernt, und wir haben uns dann gleich ganz begeistert an den Turnverein angeschlossen. Und ich muss sagen: Das war so eigentlich das, was mein Leben bis heute sehr bestimmt hat.“

  • … gesellschaftlichen und kulturellen Mehrwert des Vereinssports

    „Sehr früh habe ich das als sehr schön empfunden, dass nicht nur geturnt wurde, sondern sehr viel Wert auch auf Vereinsfeste gelegt wurde. Zum Beispiel fand jeden Monat ein sogenanntes Vereinsbeisammensein statt, was immer an einem Samstag war. Unsere Jugendgruppe fand immer samstags statt, von 17.00 bis 20.00 Uhr. Es wurde also zuerst geturnt, dann wurde sich umgezogen. Wir hatten noch keine Duschen, wir haben uns dann gewaschen und haben dann einen anderen Pullover oder ein anderes T-Shirt angezogen. Und dann wurde gesungen und getanzt, und das war für mich schon so vom Gesellschaftlichen vom Sozialen her schon so eine Sache, die mehr war als nur Turnen, als nur Sport in dem Sinne. Wenn man Sport also als reine technische Sache betrachtet.
    Und das war auch das, was mich so sehr angesprochen hat, dass da also mehr Kulturelles war. Wir hatten in diesem Verein immer, solange ich mich erinnern kann, auch einen Kulturwart, den gibt es heute einfach nicht mehr.
    Den hat man zum Beispiel beim Deutschen Turner-Bund sehr lange gehabt, den es heute dort auch nicht mehr gibt. Der ist irgendwo in einer anderen Position aufgegangen, manchmal auch leider vergessen worden. Aber das war in unserem Verein wohl eine gewachsene Sache. Durch Vereinsfeste lernte man auch andere Abteilungen kennen. Es gab also zwei oder drei vom Alter verschiedene Gymnastikabteilungen. Also für die ganz jungen Turner, die sich anders gestaltete als für die älteren Turner. Die Älteren hat man also nie vergessen. Nach dem Krieg sorgten die auch für den Erhalt, glaube ich. Die Frauen waren ja im Krieg auch zu Hause. Und die Frauen waren eigentlich die Stärke, auch im Krieg, die das alles zusammengehalten haben. Und die haben dann im Turnverein hinterher sehr viel mitgearbeitet und den Verein wieder zusammengefügt, auch als die Männer wieder da waren. Und da war es also so, dass es ganz normal war, wenn unser Jugendgruppenabend zu Ende war, dass da einer sagte: ‚Ihr könnt mit zu uns gehen, meine Mutter hat Kartoffelsalat gemacht.‘ Das waren dann so Sachen, die waren selbstverständlich. Mann war dann im Verein so eine richtig große Familie. Und das hat sich natürlich dann immer mehr erweitert. Und nach meinem Studium, als ich 1962 fertig war, da war es ganz klar – du machst ehrenamtlich Arbeit in deinem Verein. Und seitdem arbeite ich ununterbrochen. Auch mit meinem Sohn, der dann 1966 geboren wurde und mit elf Tagen in den Turnverein im Kinderwagen angekarrt wurde. Der arme Junge, aber er hat sich ganz gut entwickelt.“

  • … studentische Nebenjobs im Hause Diem

    „Ich musste mir mein Sportstudium selbst verdienen. Und wusste also im Sommersemester, da hatte ich also drei Monate Zeit und im Winter gab es nur zwei Monate. Man war ja froh, für jede Mark, die man dazuverdienen konnte.
    Frau Diem hat dann sehr schnell gemerkt, dass ich so alles im Haus konnte. Ich komme aus einer Familie, wo sechs Kinder sind und man zu den ältesten Mädchen gehört. Unter mir sind vier Schwestern, mein einziger Bruder ist nur zwölf Monate älter als ich. Da wird man einfach ganz früh selbstständig und kriegt auch Aufgaben übertragen, die man heute keinem Kind in gewissem Alter übertragen würde. Und ich frage mich: Warum hast du das mit acht oder neun Jahre schon gekonnt? Aber ich konnte es eben.
    Und Frau Diem hat mich angesprochen und dann gesagt: ‚Also hör mal, du hast doch ein Fahrrad. Wir sind hier in Junkersdorf und wohnen auch hier in Junkersdorf. Du könntest doch mal zwischendurch, wenn du zwei Stunden nichts hast, dann bei uns zu Hause und in der Bibliothek gucken, ob Bücher aufgeräumt werden müssen, die mein lieber Mann liegen gelassen hat.‘ Professor Diem durfte auch die Bücher liegen lassen.
    Ich habe alles gemacht, was so im Haushalt in einer oder zwei Stunden dann zwischendurch gemacht werden konnte. Ich weiß noch genau, es gab für jede Stunde zwei Mark als Werkstudentin. Dadurch, dass ich immer einen Schlüssel hatte und das so innerhalb von vier Wochen machen konnte, hat mir Frau Diem jede Stunde abgenommen, die ich aufgeschrieben habe. Dadurch habe ich natürlich auch ein ziemlich persönliches Verhältnis zu Professor und zu Frau Diem entwickelt. Das war ganz klar. Man kannte sich dann näher, wenn man das Zuhause kannte. Das war schon sehr schön. Deshalb habe ich auch sehr gute Erinnerungen daran. Frau Diem konnte dann am Ende meines Studiums nicht verstehen, dass ich nicht an der Sporthochschule geblieben bin, als Dozentin oder als Assistentin im Bereich Spiel-Musik-Tanz, sondern mich wirklich entschlossen habe und das war immer mein Traum, dann an die Schule zu gehen. Ich wollte mit Schülern arbeiten und den Schülern wirklich den Spaß am Sport und die Freude am Sport vermitteln, auch wenn man selber nicht der größte Athlet war, zu vermitteln. Das ist mir auch gelungen.“

  • … Anfang der Funktionärstätigkeiten im Turnen

    „Ich arbeitete ab 1962 in der Schule und lebte noch zu Hause, war aber natürlich noch in meinem Turnverein.  Man brachte natürlich auch neue Ideen aus dem Studium mit. Ich hatte diese Idee, die ich fantastisch fand: Mutter-und-Kind-Turnen. 1962 hat das in Wuppertal noch kein Mensch gemacht. So nach dem Motto: Was machen denn die Mütter und Kinder in der Turnhalle? Es war also direkt ein großer Erfolg. Das hat sich dann sehr schnell auch in Wuppertal entwickelt, bei anderen Vereinen, da ich dann Lehrgänge für andere Übungsleiterinnen gemacht habe. Es spricht sich herum, man ist dann auf einmal Jugendwartin, in einem, damals hieß es noch Turngau und auf einmal ist man Landeskinderturnwartin im Rheinischen Turnerbund. Und dann ist man Bundesjungendwartin im Deutschen Turner-Bund.
    Es war also eine Entwicklung, die es vielleicht auch so in der Politik oder der Wissenschaft gibt – einfach mit der Erfahrung. Und es gab ja auch noch nicht so viele Leute, die so was machten und die das dann auch richtig weitergeben konnten. Das war vielleicht auch so meine Begabung, andere zu begeistern, weil ich so begeistert war.
    Ich war dann acht Jahre Bundesjugendwartin in der Deutschen Turnerjugend und du kennst natürlich auch alle anderen Jugendwarte aus den Fachverbänden. Wir trafen uns ja mindestens einmal im Jahr zur Vollversammlung der Deutschen Sportjugend. Und nachdem ich 1978 nicht wiedergewählt werden konnte, was ich auch sehr gut finde, dass solch eine Position wirklich nur einmal wiedergewählt werden darf, denn dann sollte jemand Neues kommen mit neuen Ideen, der vielleicht auch andere Ansätze hat. Und dann bin ich sofort, nachdem ich bei der Deutschen Turnerjugend aufgehört habe, im gleichen Jahr von den anderen Sportfachverbänden in die Sportjugend gewählt worden. Und da bin ich dann zehn Jahre von 1978 bis 1988 gewesen. Da bin ich also zweimal wiedergewählt worden. Ich glaube, ich war fast zwei Amtsperioden als einzige Frau im Vorstand der Deutschen Sportjugend. Es waren sonst nur Männer, heute sieht es ganz anders aus.“

  • … die Reaktion des Olympischen Jugendlagers auf das Attentat während der Spiele 1972

    „Wir konnten das eigentlich überhaupt nicht begreifen. Als wir davon hörten, war das ja mitten in den fröhlichen Spielen. Die Eröffnungsfeier war voller Musik, als die Nationen einmarschierten und die Tage danach waren voller Fröhlichkeit. Es war ein wunderbares Wetter, 1972 war ein herrlicher Sommer. Und dann dieser Eklat. Auch im Jugendlager, das war einfach so volles Entsetzen, dass alle ganz ruhig wurden. Ich habe noch nie in einem Stadion erlebt, auch hinterher, als Avery Brundage verkündete, die Spiele gehen weiter – es war nur Stille.
    Es war zwei Tage wirklich nur Stille im Olympiastadion, auch während der Wettkämpfe. Gefreut hat sich da keiner, auch die armen Sportler nicht. Weil erst keiner wusste, ob es nun weiter geht. Was wird daraus? Was passiert? Es war einfach ein großes Entsetzen. Und ich glaube auch bis zum Ende der Spiele hat sich diese Fröhlichkeit nie wieder einstellen können, konnte sie auch eigentlich gar nicht, nachdem was da passiert war. Da haben schon die Ersten gedacht: Das ist das Ende der Olympischen Spiele überhaupt.
    Oder als Brundage dann gesagt hat: ‚Die Spiele gehen weiter, wir lassen uns da nicht von beeinflussen.‘ Es ist ja sowieso immer eine große Schwierigkeit, auch heute Sport und Politik, Olympia und Politik. Aber dass es damals so einen schrecklichen Eklat gab. Wenn Sie mich heute fragen, wir haben es einfach nicht begriffen.
    Im Jugendlager war direkt die Diskussion: Wir lassen uns Olympische Spiele nicht zerstören. Man konnte ja damals sagen: Alle, die im olympischen Jugendlager waren, die Delegationsführer, die zusammenkamen, die dann natürlich auch diskutiert haben, haben also ganz klar gesagt: ‚Wir sind die Jugend der Welt.‘ Und wir können jetzt sagen: ‚Entweder ist Olympia, die Idee gescheitert und nicht mehr da und kann vielleicht auch gar nicht mehr geheilt werden.‘ Oder wir müssen jetzt hoffnungsvoll sagen: ‚Wir wollen uns davon nicht unterkriegen lassen. Wir wollen weiterhin zeigen, dass gerade im olympischen Sport der Zusammenhalt der Jugend der Welt weiter existieren kann.‘ Und das hat sich Gottseidank ja dann auch herausgestellt, dass man es geschafft hat.
    Es waren auch israelische Jugendliche da. Die haben sich natürlich, das kann man auch nachvollziehen, dann ein bisschen abgekapselt.
    Aber ich glaube, unter Jugendlichen ist es sehr viel schneller möglich, auch Trost zu spenden. Wenn alle merken, wir halten zusammen, wir lassen jetzt keinen zwischen uns kommen und wir sind für euch da und wir leiden auch mit euch und verstehen auch eure Trauer. Aber ich glaube auch Trauer, wo ganz viele zusammenhalten und ganz viele miteinander trauern, ist leichter zu ertragen, als wenn man alleine trauert. Das weiß man aus dem täglichen Leben. Das ist einfach so. Ihr fühlt mit uns und bei euch sind wir gut aufgehoben. Ihr seid geschützt bei uns, und wir selbst sind so sprachlos im Grunde genommen, dass wir eigentlich nichts anderes machen können, als euch zu umhüllen und euch zu sagen: ‚Wir sind für euch da. Und ihr bleibt bei uns und ihr seid nach wie vor einen Teil von uns.‘
    Und das hat, glaube ich, schon sehr geholfen. Und ich glaube, Kinder und Jugendliche können das einfach auf eine gewisse Art und ohne viel zu sagen, viel besser rüberbringen als Erwachsene.“

  • … das Sommerfest der deutschen Jugend in der Villa Hammerschmidt

    „Ich habe drei Bundespräsidenten kennengelernt, ganz intensiv Walter Scheel, danach Karl Carstens und dann Richard von Weizsäcker.
    Walter Scheel hat das erste Jugendfest veranstaltet. Er war derjenige, der gesagt hat: ‚Ich möchte hier in der Villa Hammerschmidt ein Sommerfest für die Jugend machen. Das hat die Deutsche Sportjugend in die Hand gekriegt und sollte es organisieren. Und da wir von der Turnerjugend diejenigen waren, die bei der Organisation vom Deutschen Turnfest mit seinen hunderttausenden von Teilnehmern mitwirkten, waren wir auch der Fachverband, der die meiste Erfahrung in der Organisation hatte.
    Aber es hat wunderbar geklappt, auch mit den anderen Fachverbänden. Es waren ja nicht nur Sportfachverbände, sondern es waren auch eingeladen, das Rotes Kreuz, CfJM und die Evangelische Jugend, es war ein Fest für die deutsche Jugend. Aber da die anderen so mit solchen großen Jugendfestivals vielleicht weniger Erfahrung hatten, haben wir das also in die Hand gekriegt und es war auch wunderbar. Walter Scheel war ein wunderbarer Gastgeber, einfach von seiner Art her. Und Mildred Scheel, ich höre heute noch ihr Lachen. Also es war so etwas von unkompliziert.
    Er wollte es auch ganz besonders toll machen. Es gab an diesem Tag alles für die Jugendlichen. Natürlich wollten sich sämtliche Firmen dort promoten. Die Kinder konnten so viel Eis von Langnese essen, wie sie wollten. Aber im Grunde wollten die das wohl gar nicht. Also wir haben das beim zweiten Mal gemerkt. Bei Karl Carstens gab es Erbsensuppe. Da saß Karl Carstens zwischen den Jugendlichen am Rheinufer auf der Wiese mit einer Schüssel Erbsensuppe. Und der war ja nun auch völlig anders. Also Walter Scheel in seiner jovialen Art, wie er nun einfach war. Und dann dieser ruhige Karl Carstens, der selbst keine Kinder hatte, seine Frau Veronika war ganz intensiv mit dabei. Ich weiß noch, dass ich ein tolles Gespräch mit ihr hatte. Das war einfach ganz anders.
    Das dritte Sommerfest für die deutsche Jugend mit Richard von Weizsäcker war wieder völlig anders. Richard von Weizsäcker war ja sehr von seinem Intellekt her geprägt. Man merkte das bei den Jugendlichen schon, der kam gar nicht so an die ran und die auch nicht an ihn. Der ging dann also auch fröhlich gestimmt, auch einfach auf überall hin. Aber so ein fröhliches Gespräch, wie das sogar Karl Carstens gemacht hat, bei dem habe ich das Gefühl gehabt, der hat sich so richtig bei den Jugendlichen wohlgefühlt. Aber Richard von Weizsäcker, der war immer so mit ein bisschen gefühltem Abstand, was er vielleicht gar nicht wollte. Das war einfach, so ein bisschen seine Eminenz, so ungefähr. Er war ja nun auch von seiner Art her sehr präsidial und anders als Walter Scheel.

    Das waren diese drei Sommerfeste, die gibt es ja leider nicht mehr. Ich weiß nicht, warum man die nach der Wiedervereinigung nicht weitergemacht hat und gesagt hat: ‚Jetzt haben wir noch ein viel größeres Spielfeld, wo man die jungen Leute nach Bellevue einladen kann.‘ Das hat es bis heute nicht wieder gegeben. Und ich finde es eigentlich schade, weil das immer so eine Begegnung war, die wirklich unkompliziert war. Da kam kein Jugendlicher hin, um Langnese-Eis zu essen, sondern da lernte man andere Jugendliche kennen.“

Vom Chemielabor in die Turnhalle

Erfahrungen als Frau im Sport

ZDF-Sendung “Turn mit!”

Ehrenamtliches Engagement für Geflüchtete


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Christa Kleinhans

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Christa Kleinhans

* 1937
„Verbotene“ Fußballnationalspielerin von Fortuna Dortmund

In der Prohibitionsphase des bundesdeutschen Frauenfußballs (1955-1970) stürmte Christa Kleinhans unverdrossen am rechten Flügel der Dortmunder Fortuna. Auch als Nationalspielerin der Deutschen Damen-Fußballvereinigung brillierte die spätere Handballtorhüterin der UTG Witten.

Kurzbiografie

  • Geboren 1937 in Dortmund
  • 1950er-Jahre Westdeutsche Meisterin mit der 4x100m-Staffel des OSV Hörde
  • 1954-1955 Spielerin bei Grün-Weiß Dortmund
  • 1955-1965 Spielerin bei Fortuna Dortmund
  • 1955 Abschluss der Realschule
  • 1955-1994 Angestellte der Deutschen Post
  • 1961 Verbeamtung
  • 1957 erstes ihrer 150 Länderspiele in München
  • Nach ihrer Karriere als Fußballerin Wechsel zum Handball, Bundesligaspiele als Torfrau für die UTG Witten
  • 2022 Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Fußballs

Christa Kleinhans über …

  • … Kindheit und Fußballspiel auf der Straße

    „Ich bin 1937 geboren und habe das Kriegsende erlebt. 1945 gab es nicht viele Spielmöglichkeiten für uns Kinder. Wir haben in Trümmern gespielt und da ich schon immer so fußballbesessen war, habe ich mit den Jungs gespielt.
    Wenn man mir zu Weihnachten Püppchen geschenkt hätte, dann hätte man mich beleidigt. Sternchen in den Augen hätte ich gehabt, wenn ich einen Fußball bekommen hätte. Aber es war sehr schwer, an so etwas ranzukommen.
    Da ich als Mädchen sehr gut Fußball spielen konnte, wurde ich auch von den Jungs akzeptiert und gehörte eigentlich mit zu den besten. Ich will mich nicht wichtigtun, aber ich will nur sagen, wie verrückt ich als Kind schon nach Fußball war.
    Mein Vater hat mich immer zu seinem Sportverein mitgenommen. Und wie oft habe ich gedacht: Ich möchte doch auch so gerne Fußball spielen, warum darf ich mich? Wusste aber nicht, dass irgendwann mal die Zeit kommt, in der ich Fußball spielen durfte. Das war der Anfang meines Fußball-Gedankens, kann man sagen. Dieser Wunsch, der zog sich wie ein roter Faden durch meine Kindheit, bis ich 1955 als Teenie tatsächlich Fußball spielen durfte.

    Ich bin in einer Straße groß geworden, die sehr frequentiert ist. Aber in der Nachkriegszeit gab es dann Orte, da spielte dann eine Ecke gegen die andere. Da hat die Christa immer fleißig mitgewirkt. Das war so der Anfang, wie ich bei den Jungs mitspielen durfte. Ich brauchte mich da nicht durchzusetzen. Ich war voll anerkannt, denn so kleine Jungs können Mädchen gegenüber ja auch nicht gerade höflich sein, aber ich habe das durch meine Leistung geregelt.
    Ich weiß gar nicht, mit welchem Ball wir in der Straße gespielt haben. Vermutlich war das schon irgendwie etwas Rundes. Ich kann mich aber auch erinnern, dass wir aus Zeitungspapier eine Kugel geformt haben. Und dann haben wir auch damit Fußball gespielt. Diese Kugel wurde dann so richtig festgeknetet, nassgemacht, gedrückt und so weiter, bis es eine Ballform angenommen hat. Damit haben wir gespielt. Es gab ja noch gar nicht so viel. Deutschland war zehn Jahre nach dem Krieg noch mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Als Kind wurde man natürlich nicht so damit konfrontiert.
    Aber wie wir Fußball gespielt haben, das war etwas Wunderschönes. Ich habe nie mit Mädchen gespielt, immer nur mit Jungs. Und ich freute mich auch, dass mich die Jungs voll angenommen haben, also muss ich auch etwas geleistet haben.“

  • … Spiele gegen auswärtige Mannschaften

    „Fakt ist gewesen, dass es das Verbot nicht nur in Deutschland gab, sondern auch in Österreich, in Holland und so weiter. Auch dort haben sich Vereine aufgetan, gegen die wir gespielt haben. Aber die haben wir alle niedergemacht, weil wir eben zu stark waren. Das kann man wirklich so sagen. Die werde auch ihre Schwierigkeiten gehabt haben.
    Wir haben eine Woche in Österreich gespielt, gegen eine österreichische Mannschaft und ich weiß gar nicht, wie haushoch wir gewonnen haben. Es war also von der Leistung her nicht das, was wir gewohnt waren. Da bin ich auch ein bisschen stolz drauf, dass wir die Leistung abgerufen haben, die wir eigentlich gar nicht von unserem Talent her weiter entwickeln konnten, etwa durch intensiveres Training, denn wir hatten ja gar keine Fußballplätze zum trainieren. Wir haben geguckt, wo können wir trainieren? Wir hatten unsere Späher, unsere Freunde. Die sind dann auch schon mit dem Fahrrad vorgefahren und haben geguckt, wo eine große Wiese war.
    Es tat sich dann eine große Wiese im Dortmunder Hoeschpark auf. Flächenmäßig war die so groß, wir mussten die erst mal entrümpeln, also Maulwurfshügel und dieses und jenes entsorgen. Tore gab es nicht. Wir haben unsere Sporttasche hingestellt, aber wir waren glücklich, überhaupt eine Fläche gefunden zu haben, wo man uns nicht wegjagt.
    Denn wenn wir heimlich irgendwie auf dem Sportplatz waren und dort trainieren wollten, dann kam früher oder später jemand und hat uns weggescheucht. So ist das nicht nur einmal gewesen, das ist einige Male so passiert.
    Aber eben, weil wir so besessen vom Fußball waren haben wir uns nicht unterkriegen lassen, wir haben weitergekämpft. Und da muss ich sagen, dass wir speziell hier in Dortmund bei Fortuna eine wunderbare Mannschaft hatten, die auch Leistung gebracht hatte, wo man sich nicht darüber lächerlich machen konnte.
    Ich muss jetzt mal sagen, als wir und Herr Floritz, der das gemanagt hat, in dem süddeutschen Raum gespielt haben, haben wir in einigen Städten dreimal gespielt, die Resonanz war so gut. Und diese Rückmeldung tat uns auch gut. Und dann habe ich mir schon damals gedacht: Wenn wir nicht so gut gespielt hätten, dann hätten wir nicht das zweite Mal dort spielen dürfen und auch nicht das dritte Mal. Das war so eine innere Befriedigung. Trotz des Verbotes haben wir Anerkennung erfahren.

    Eine Reise lief meist so ab, dass wir immer zwei Spiele gemacht haben, samstags und sonntags, damit sich das Ganze finanziell auch lohnte. Wir sind in Dortmund in den Bus eingestiegen, haben dann noch ein paar Spielerinnen, die aus Oberhausen und Essen kamen eingeladen und haben dann aus finanziellen Gründen auch holländische Spielerinnen mitgenommen. Gegen die haben wir dann einen Tag später gespielt. Das Ganze kann man sich gar nicht vorstellen, wie das damals alles gewesen ist, was für ein Aufwand es war, um überhaupt Fußball zu spielen zu dürfen. Damals haben viele von uns auch noch am Wochenende gearbeitet.
    Ich kann mich erinnern, als ich meine Beamtenprüfung gemacht hatte und sollte befördert werden, dann stand ich da und mir wurde gesagt: ‚Nein du bist nicht dabei.‘ Ich fragte: ‚Wieso?‘ Der Grund war, dass ich zu der Zeit, als wir eine Woche in Österreich gespielt hatten, unbezahlten Urlaub genommen habe. Der wurde mir dann angekreidet. Da wurde ich zurückgestellt, aber das war mir so egal. Ich habe eine Woche in Österreich Fußball gespielt.“

  • … Trainingsmöglichkeiten

    „Trainer oder Trainerinnen haben wir nicht gehabt. Oder Männer, wo wir dachten: Ach, die könnten uns eigentlich trainieren. Da weiß ich nicht, wie weit die sich als Trainer formiert haben. Ich weiß aber Folgendes: Wir hatten da jemanden, da stellte sich aber die Frau quer. Die hatte was dagegen, dass ihr Mann die Mädchen trainierte. Und wir hatten immer Schwierigkeiten damit, hier irgendjemanden zu finden. Und dann waren wir, wie sagt man so schön, Autodidaktinnen.
    Wir haben uns dann nachher, als das Fernseher kam, dort etwas abgeguckt und versucht, das irgendwie umzusetzen.
    Im Training oder in der Leichtathletik habe ich dann die anderen Mädchen auch so ein bisschen flott gemacht, damit sie schneller wurden und so weiter. Dann habe ich mich mehr um die Leichtathletik gekümmert. Das andere hat sich dann so ergeben. Es ist halt alles anders gewesen. Ich möchte die Zeit natürlich immer wieder erleben. Aber ich möchte auch die Zeit erleben, wie die Mädchen von heute gefördert und gefordert werden.
    Ich hatte schon oft einen Einblick in Sportschulen und habe mich darüber gefreut, so kleine Mädchen herumhüpfen zu sehen, mit einem Ball und unter Anleitung von Trainern. Dann hat man den Gedanken, mein Gott, die werden dort richtig schön geschult – wunderschön, dass die Entwicklung so gekommen ist.
    Wenn man sich mit den Spielerinnen aus den 1970er-Jahren unterhält, dann hatten die es auch nicht leicht, die hatten auch ihre Schwierigkeiten. Denen wurde zwar ein Bundestrainer gestellt und so weiter, aber was soll ich sagen, es war ein anderer Zeitgeist.“

  • … das Spiel gegen die Niederlande im Dantestadion München 1957

    „Eigentlich komme ich immer auf das Spiel in München zurück. Das wirklich so ein besonderes Erlebnis für uns war. Wir wussten nur, dass München die Filmstadt war. Wir hatten alle nicht das Geld, um Urlaub zu machen. Viele Väter waren im Krieg geblieben. Die Mütter mussten zusehen, wie sie ihre Kinder durchkriegten und so weiter – somit fiel auch der Urlaub für viele flach. Und dann hieß es auf einmal: Wir können nach München, wir spielen da Fußball. Es war natürlich eine Euphorie bei uns in der Mannschaft das zu erleben. Und das haben wir eigentlich so richtig schön eingesogen, zum Beispiel, wie wir behandelt wurden. Die Umstände waren alle toll. Wir haben in Garmisch übernachtete. Da war der Bobfahrer Andi Ostler, er hat uns auch noch begrüßt. Es war alles wunderschön. Ich kann nur sagen, dass es eine wunderbare Zeit war. Wir haben viele schöne Spiele erlebt. Aber dieses Münchener Spiel ist besonders haften geblieben, da es auch in der Presse so präsent war.
    Also wir fuhren mit dem Bus in Richtung Dantestadion und wir haben gedacht: Mein Gott, ist das Volk heute unterwegs, wo wollen die den alle hin? Die Straßenbahnen waren so voll, die Leute hingen sogar hinten dran und haben auf den Trittbrettern gestanden.
    Da sagte ich so blöd: ‚Ach, wisst ihr was, die fahren jetzt alle zum Stadion, die wollen uns sehen.‘ Wir näherten uns dem Stadion und tatsächlich war da ein riesiger Auflauf an den Eingängen – mein lieber Gott noch mal. Alle wollten uns jetzt spielen sehen, das mussten wir dann erst einmal verdauen. Denn es ist auch nicht so einfach, die Leistung zu erbringen, wenn da jetzt 18.000 Menschen zuschauen. Jede hat das dann anders verkraftet und ich weiß nicht, welchen Gedanken ich gehabt habe. Ich habe nur gut gespielt, denn das war für mich wichtig.
    Man sieht das auch in einigen Wochenschauen, wie das Volk da strömte mit Stühlchen und Höckerchen an der Hand in die Richtung des Dantestadions.“

Bestechungsgelder für freie Spieltage

Frauenfußball-Verbot des DFB

Auflösung von Fortuna Dortmund

Folgen mangelnder medialer Reichweite


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Sabine Braun

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Sabine Braun

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