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Autor: Niklas Hack

Chamalidis, Kyriakos

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Kyriakos Chamalidis

*1934
Griechisch-orthodoxer Theologe mit über 50-jähriger Tätigkeit als Seelsorger und Tanzpädagoge

Kyriakos Chamalidis kommt in seinem Leben auf über 1000 Tanz- und mehr als 120 ausgerichtete Fachseminare. Ab den 1960er-Jahren prägte er auf vielfältige Weise das kulturelle Leben der griechischen Gastarbeiter im Kreis Düren.

Kurzbiografie

  • Geboren 1934 in Eleftherochori – Pella Griechenland
  • 1952-1956 Schul-Volleyballmannschaft in Thessaloniki
  • 1956-1960 Studium der Theologie an der Universität Thessaloniki – Abschluss Diplom Theologe
  • 1960-1962 Militärdienst in Griechenland
  • 1960er-Jahre Sozialarbeiter der griechen Arbeitnehmer im Kreis Düren
  • 1964-2020 Gründer und Mitglied der Volkstanzgruppe „EVZONE“
  • 1965 Gründung einer Griechischen Fußball- und Volleyballmannschaft
  • Seit 1967 Dozent bei diversen Volkshochschulen
  • Seit 1973 Vereidigter Dolmetscher beim Landgericht Aachen
  • 1980-1986 Familien-, Lebens- u. Eheberater beim Bistum Aachen

Kyriakos Chamalidis über …

  • … seinen Weg nach Düren

    „Wir sind 1952 nach Thessaloniki umgezogen, damit wir die Universität in der Nähe haben. Meine Mutter ist aus der Türkei gekommen und war Analphabetin. In ihrem Dorf durfte sie weder die Kirche noch die Schule besuchen, es war verboten. So blieb meine Mutter Analphabetin. Mein Vater hatte die Möglichkeit, etwas zu lernen. Er konnte gerade lesen und schreiben, aber mehr nicht. Und meine Mutter hat gesagt: ‚Ich bin Analphabetin, aber ihr müsst studieren, egal wie.‘
    Deswegen sind wir nach Thessaloniki umgezogen und ich habe dort Theologie studiert und meine Schwester hat Hebammenwesen studiert und absolviert. Und ich habe in der Schule oft Sport betrieben, sei es Fußball oder Volleyball. Ich spielte in der Gymnasialmannschaft. Meine Kinder haben in Düren Volleyball gespielt, in der erste Mannschaft, das war eine Tradition.
    Und dann, nach dem Studium in Thessaloniki 1960, bin ich zum Militär gegangen. Ich habe zwei Jahre als Offizier gedient. Und danach war die Frage: Was mache ich? Die Theologen wurden nicht sofort eingestellt. Wir mussten fünf, sechs Jahre warten, bis wir eine Anstellung bekommen. Das war ein Problem. Aber da ich mit der Kirche sehr gute Beziehungen hatte, hat mir der Erzbischof von Thessaloniki ein Empfehlungsbrief gegeben. Da habe ich aufgrund dessen ein Stipendium bekommen von der katholischen Kirche in Bonn.
    Am. 12. Februar 1962 bin ich nach Bonn gekommen, um weiter studieren zu können. Und das war sehr schön. In einem Studentenheim habe ich zunächst gründlich weiter studiert, Deutsch und Theologie. Und danach bin ich nach Bethel gekommen, da ist ja eine Fachhochschule für Theologie. Bethel bei Bielefeld. Und es gibt die berühmten sieben B von Bethel: Bethel bei Bielefeld bietet Barmherzigkeit bei Barzahlung. Aber das stimmt nicht. Das ist eher zum Lachen. Und da hat es mir sehr gut gefallen. Und zu der Zeit wollte ich promovieren.
    Es fragte mich die evangelische Kirche. Irgendwo hat sie mich entdeckt, ob ich als Sozialarbeiter für die griechischen Gastarbeiter beruflich tätig sein wollte? Da habe ich nicht lange nachgedacht. Dann habe ich gesagt: ‚Der Mensch interessiert mich viel mehr als die Wissenschaft.‘ Da habe ich alles hingeschmissen und habe mich gemeldet. Da habe ich eine Fachausbildung gemacht, als Sozialarbeiter für griechische Gastarbeiter. Und dann kam ich direkt nach Düren am 1. März 1963. Und das war eine gute Entscheidung beruflich. Das war also im März 1963 und am 25. März 1964 ist unser großes Nationalfest, die Befreiung Griechenlands von den Türken 1821, da gibt es ein großes Fest. In der Zeit hatte ich eine Tanzgruppe mit Livemusik, mit Trachten, einen Chor gegründet und ein Theater angeboten. Da hatten wir etwa 500 Leute, Deutsche und Griechen. Der griechische Konsul aus Bonn kam nach Düren, der Oberbürgermeister, der Bischof, alle Honoratioren haben diesem Fest beigewohnt. So wurde ich bekannt. Und mit dieser Tanzgruppe habe ich zig Veranstaltungen mitgemacht.“zig

  • … Sportangebote für Griechen in Düren der 1960er-Jahre

    „Ich als Sozialarbeiter wollte den Griechen Freizeitgestaltung anbieten, damit sie weniger Probleme haben hier in der Fremde. Und dann habe ich gedacht: Eine Tanzgruppe, ein Fußballverein, ein Chor, eine Volleyballmannschaft usw. Wir haben oft gegen die deutsche Mannschaft gespielt. Das war sehr schön. Und aus den Gründen habe ich gefragt: ‚Wer kann von euch Akkordeon spielen? Oder eine Lira?‘ Da waren unter den Gastarbeitern Leute, die ein Instrument spielten. Dann habe ich hier gefragt: ‚Kennt ihr jemanden, der tanzen macht?‘ ‚Ja, jede Menge.‘ Alle griechischen Männer und Frauen können tanzen. Die meisten können gut tanzen. Und dann habe ich die zusammengebracht. Wir haben gesprochen und dann habe ich ihnen gesagt, was ich vorhabe. Sie waren begeistert. Und plötzlich waren Sie in Berlin im Fernsehen. Plötzlich waren Sie in München, waren Sie in Stuttgart., überall Auftritte. Und da haben wir ruckzuck die Fußballmannschaft zusammengestellt. Eine Volleyballmannschaft und Tanzgruppe. Und das lief alles relativ leicht.
    Wir hatten einen Fußballplatz von den Deutschen. Wir haben zwei Tage in der Woche gehabt. Und dann haben wir ein, zwei Stunden gespielt, also mehr hobbymäßig. Ja, und diese Mannschaft hat zehn Jahre existiert. Ich habe insgesamt zehn Jahre die Griechen betreut. Und danach habe ich gewechselt. Ich war Sozialarbeiter in einem Blindenheim in Düren. Da brauchte ich nicht so viel zu fahren. Und dann habe ich mich danach selbstständig gemacht mit den Tanzreisen nach Griechenland und Seminaren. Das war für mich sehr interessant, auch finanziell.
    Meine drei Söhne haben überall auf der ganzen Welt studiert und da brauchten wir Geld. Und meine Frau hat nach dem dritten Sohn gesagt: ‚Kyriakos, ich höre auf und ich will mich meiner Familie widmen, damit die Kinder jemand zu Hause haben.‘ Obwohl meine Frau das gleiche Studium gemacht hat wie ich. Wir haben uns auf der Uni kennengelernt und dann später geheiratet. Und meine Frau war Sozialarbeiterin in Aachen, für die griechischen Gastarbeiter dort. Und nach dem dritten Sohn hat sie aufgehört. Und da musste ich etwas mehr verdienen, damit wir das Geld haben. Und so habe ich mit den Tanzseminaren, Trauerseminare und Tanzreisen gutes Geld verdienen, sodass die Kinder ohne Probleme weiterstudieren konnten.“

  • … Griechischen Tanz als Lebenselixier

    „Das Interesse kam zunächst von Gemeinden, katholische Gemeindebildungshäuser, evangelische Gemeinden und Privatleute. Die haben gehört, dass hier eine Tanzgruppe ist. Die haben mich gefragt: ‚Was ist denn der Griechische Tanz? Erzählen Sie uns, Was machen Sie da?‘ Und dann habe ich Ihnen erzählt. Dann habe ich ihnen gesagt, dass ich nicht nur Tanz mache, sondern auch griechische Religion und Kultur. Warum die alten Griechen tanzen und welchen Lebenswert der Tanz damals und heute hat. Und da waren sie plötzlich wach und haben gesagt: ‚Das wollen wir ausprobieren.‘ Und da hatten wir ein Angebot gemacht. Da waren am Anfang 15 Leute und beim zweiten Mal waren 25 da und dann war es immer voll.
    Also wirklich, es war ein großartiger Anfang, dass sich bestätigt hat, dass der griechische Tanz die Deutschen begeistern kann. Es ist ein Unterschied. Der griechische Tanz ist lebendig, es ist Poesie, es ist Musik, es ist vieles und weckt das Interesse für das Leben. Ich habe in diesem Buch auch geschrieben: Wir Griechen haben den Tanz als Lebenselixier.
    Damit haben wir das Leben bejaht und das Leben genossen. Griechenland war 400 Jahre unter türkischer Herrschaft, 1453 bis 1821 in diesen 400 Jahren hat der Tanz die Griechen in einem Tanzkreis festgehalten und so wussten sie, wer sie sind. Und da hat der griechische Tanz einen wesentlichen Beitrag gehabt, dass die Griechen ihre Traditionen, ihre Religion und ihre Abstammung nicht vergessen haben. Und nach 400 Jahren haben sie diesen Befreiungskampf ausgesprochen und da haben sie gesagt: ‚Freiheit oder Tod‘. Und da haben sie wirklich nach fünf Jahren den Peloponnes befreit, nach zehn Jahren Attika, nach 30 Jahren mittel Griechenland und Thessaloniki wurde 1912 befreit. Dieser Befreiungskrieg hat 100 Jahre gedauert. Erst 1923 haben Griechenland und die Türken ein Abkommen beschlossen und die heutigen Grenzen von Griechenland festgelegt. Bis dann hatten wir diesen Krieg und der Tanz war immer eine großartige Hilfe für die Griechen.

    Der griechische Tanz ist wirklich ein Lebenskatalysator. Es ist ein Halbkreis, kein geschlossener Kreis mit der Symbolik: Der Kreis ist offen, es ist nicht geschlossen. Jeder darf sich anschließen. Wenn der Kreis geschlossen ist, dann ist es auch ein Symbol für Vollkommenheit. Und wir sind noch nicht vollkommen. Und dann die Handhaltung, die rechte Hand nimmt und die Linke gibt weiter. Es sind Symbole drin. Und dann in der Musik: Der 7/8 Takt ist zum Bespiel: Lang, kurz, kurz, lang, kurz, kurz. Bei lang geht man ein bisschen runter rauf und so wie das Leben, so wie die Natur rauf und runter. Die Gegensätze sind in dem Tanz, wenn man das den Deutschen erklärt, dann sind sie plötzlich wach und sagen: ‚Wie schön, das ist von der Natur uns gegeben, dass wir auch Verluste und Trauer erleben und Freude.‘ Und das ist das Geheimnis des Tanzes. Und es gibt 1000 Tänzen, ohne zu übertreiben, es sind Minimum 1000 Tänze. Es gibt für jede Lebenssituation einen Tanz: Trauer, Hochzeit, Heimatlieder und Tänze für die Fremden. Jede Menge, jede Menge. Und die unterrichte ich auch. Und dann finden plötzlich die Deutschen: Sport. Poesie, Musik und Heilung. Und diese Elemente findet man selten in einer Sportart.“

  • … das Trikot von Beckenbauer

    „1975 war ein Vorentscheidungsspiel zwischen der griechischen und der deutschen Nationalmannschaft. Und ich hatte gute Beziehungen zum Konsulat. Und das Konsulat, wurde nach einem Dolmetscher gefragt und das Konsulat hatte meinen Namen. Und dann hat der DFB mich angerufen und hat mich mit einem großen Mercedes abgeholt und nach Düsseldorf gebracht und ich kam zum Flughafen und habe die Mannschaft empfangen. Als ich im Bus saß, habe ich die Mannschaft willkommen geheißen. Und dann fragte der Mannschaftskapitän vom letzten Platz: ‚Bist du ein Pontia?‘ Ich sagte: ‚Ja.‘ ‚Dann darfst du bleiben. Wir wollen dich die ganze Zeit haben.‘
    Da habe ich mit ihm Freundschaft geschlossen. Wir Griechen sind schnell per Du und schnell Freunde. Auch wenn das oberflächlich ist, das geht relativ schnell.
    Ich habe einmal an einer deutschen Gesellschaft mit meiner Frau teilgenommen. Da war ein Professor, da waren dies und jenes, Wirtschaftsleute, reiche Leute und da sprachen wir von Du und Sie und da war auch ein katholischer Priester. Und da habe ich gesagt: ‚Wir Griechen lieben das “Du” mehr, als das “Sie”.‘ Und dann sagte ein Direktor von einer großen Firma: ‚Ja, aber man kann zu einem eher du Esel sagen, als Sie Esel.‘ Und da stand der katholische Priester auf und sagte: ‚Ich muss Herrn Chamalidis Recht geben. Wir Deutsche würden am besten morgens aufstehen, zum Badezimmer gehen und in den Spiegel sehen und sagen, guten Morgen Herr Schmitz, haben Sie gut geschlafen?‘ Das vergesse ich nie.
    Und dann haben wir mit dem Mannschaftskapitän, einem sehr guten Fußballspieler, Freundschaft beschlossen. Und dann habe ich ihn gefragt, ob er mir das Trikot vom Beckenbauer besorgen könnte. Und nach dem Spiel in Düsseldorf brachte er mir eine Kaufhofplastiktüte und sagte: ‚Hier hast du die Nummer fünf.‘ Die habe ich heute noch. Die Nummer fünf von Beckenbauer. Und dann habe ich Beckenbauer interviewt und habe ich ihn gefragt auf Wunsch von meinem Bekannten Mimis Papaioannou, der lebte in Athen und da habe ich ihm gesagt.  Herr Papaioannou wollte sie einladen. Bald wird er aufhören zu spielen und er wollte Sie gerne zu seinem Abschiedsspiel einladen.
    ‚Ja.‘ sagte Beckenbauer, ‚ich würde gerne. Ich schätze den Kollegen. Wenn ich kann, werde ich kommen.‘ Aber er ist nicht gekommen. Er sagte: ‚Ich weiß nicht, ob ich Erlaubnis bekomme von meinem Verein.‘ Das war in einem Hotel. Nach dem Spiel haben wir uns dort gesammelt, die beiden Mannschaften. Dann haben wir gegessen und erklärt und dann habe ich übersetzt und so weiter.“

Ausbildung zum Sozialarbeiter

Tanzseminare zwischen Beruf und Berufung

Griechen und Türken in Deutschland

Griechischer Volkstanz als Steckenpferd

Urlaub mit Kyriakos


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Butzen, Ruth

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Ruth Butzen

*1952
Fußball-Schiedsrichterin mit mehr als 2.700 offiziellen Einsätzen

Schon als Jugendliche entdeckte Ruth Butzen das runde Leder für sich. Nachdem sie sich in diversen Funktionen für ihren Heimatverein FC Adler Werth engagierte, fand sie ihre endgültige Bestimmung als Schiedsrichterin, die sie bis in die 1. Bundesliga der Frauen führte.

Kurzbiografie

  • Geboren 1952 in Mausbach (seit 1972 Stadtteil von Stolberg)
  • 1969-2009 FC Adler Werth 1919 e. V.
  • 1973 Erwerb der Übungsleiterlizenz A in der Sportschule Hennef
  • 1973-1990 Übernahme einer Jugend- und Frauengruppe beim FC Adler Werth
  • 1975 Erwerb der Fachlizenz für Fußball in der Sportschule Hennef
  • 1977 Erwerb der Frauen-F-Schein-Lizenz in der Sportschule Duisburg
  • 1977-1990 Leitung einer Frauen-Betriebssportgruppe der VEGLA-Werke Stolberg
  • 1977-2023 Schiedsrichterin im Fußball-Kreis Aachen
  • 1990-1996 Schiedsrichtern in der 1. Bundesliga der Frauen
  • 1997-2018 Beisitzerin im Kreisschiedsrichterausschuss Aachen
  • 2018-2022 Vorsitzende des Kreisschiedsrichterausschuss Aachen

Ruth Butzen über …

  • … ihre Kindheit in Mausbach

    „Mausbach war ein kleiner Ort. Es wohnten nur ein paar 100 Menschen damals dort. Aber wir hatten als Kinder viele Möglichkeiten. Es gab bis nach dem Ersten Weltkrieg ein Erzbergwerk in Mausbach, ist auch heute noch bekannt, steht unter Denkmalschutz, wo wir als Kinder immer gespielt haben. Wir fanden das einfach interessant. Wir sind dann auch noch durch die vorhandenen Stollen gekrochen. Die waren zwar mit Brettern provisorisch zugemacht, aber die haben wir immer weggetan. Und dann sind wir da durch. Wir hatten viel Freiraum. Wir hatten viele Möglichkeiten, immer draußen zu sein. Wir waren jede freie Minute draußen.
    Wir hatten ein sogenanntes Birkenwäldchen, wo wir uns wie Affen von einem Baum zum anderen geschwungen haben. Dann sagte schon mal eine Mutter: ‚Ihr sorgt dafür, dass ich einen Herzinfarkt kriege.‘ Aber das war einfach schön. Es war einfach sehr einfach.
    Die Eltern hatten einen Nutzgarten. Alle Eltern hatten so etwas Ähnliches und die Häuser hatten alle, wie man so schön sagt, eine offene Tür. Wir Kinder sind überall hergelaufen. Die Erwachsenen haben sehr viel miteinander gesessen. Abends im Garten, nach getaner Arbeit. Mein Vater hat samstags immer Gartenarbeit gemacht und wenn er dann Schluss gemacht hat, dann saßen auf einmal die Nachbarn da. Jetzt waren das natürlich nicht so viele, wie man das heute gewohnt ist. Da stand mal hier ein Haus, da stand mal da ein Haus. In den 1960er-Jahren wurde dann auch etwas mehr gebaut. Und wenn ich heute bedenke, wo wir als Kinder mal gespielt haben, ist heute ein Industriegebiet. Da muss man sich natürlich die Frage stellen: Wo sollen die Kinder denn noch hin?

    Den Sport gab es im schulischen Bereich schon mal gar nicht. Also wir hatten Lehrer, die auch den Krieg mitgemacht hatten. Die waren auch durch den Krieg sehr ernst geprägt. Und das haben wir Kinder auch zu spüren bekommen. Ich erzähl das schon mal gerne in der Familie. Im dritten Schuljahr zum Beispiel waren wir 51 Kinder in einer Klasse und da hörten sie eine Stecknadel fallen. Ich habe auch die Jahre noch erlebt, wo die Lehrer schlagen durften. Wir hatten einen Lehrer, der hatte immer einen Bambusstift. Das zischte so richtig und wenn irgendwas außerhalb der Bahn passierte, dann musste man nach vorne kommen, dann gab es eine Tracht Prügel. Das wurde später abgeschafft. War ja auch gut so, aber mit dem Sport wurde ich erst später warm, da ging ich schon mehr in Richtung Jugendliche. Da hörte ich, dass es im Nachbarort die Möglichkeit gäbe, so ein bisschen Leichtathletik zu betreiben. Das war aber für uns ein ganz anderes Verstehen, wie das heute so ist. Ich bin dann mal dahingegangen, habe mir das mal angeguckt, fand das auch schön und wurde dann auch direkt angesprochen: ‚Wenn du möchtest, kannst du kommen.‘ Das war auch alles noch gar nicht organisiert. Bei uns im Ort selber gab es zunächst mal gar nichts an Sport. Ich kann mich aber sehr gut erinnern. Anfang der 1960er-Jahre wurde dann eine Fußballmannschaft gegründet. Man muss aber dabei sagen, die 1950er-Jahre waren ja auch die ersten Jahre nach dem Krieg. Sehr, sehr viel war zerstört. Die Menschen hatten anderes zu tun, als Sport zu treiben. Es hatte ja vor dem Krieg in Mausbach schon mal eine Fußballmannschaft gegeben. Das ist aber dann durch den Krieg erst mal für einige Jahre nicht mehr möglich gewesen. Man muss natürlich dabei sagen, ich bin in einer Nachbarschaft groß geworden, wo es außer meiner älteren Schwester keine Mädchen gab. Und so habe ich mit den Jungs gespielt. Wir haben wirklich im wahrsten Sinne des Wortes auf der Kuhwiese gespielt. Was wir Ball nannten, wenn ich heute die teuren Fußbälle sehe oder auch andere Bälle, Handbälle, Basketball, da hätten wir im Kindes- und Jugendalter davon geträumt. Ich hatte bei meiner Oma, meine Eltern stammten beide aus der Eifel, einen Ball und das war für mich so der erste Kontakt überhaupt. Wir hatten ein großes Haus, einen großen Hof und da war ich auch jede freie Minute draußen, habe mit dem Ball gespielt, aber da war noch nichts in Sicht von Vereinen. Das kam erst später. In Mausbach gab es nur die Kuhwiese.“

  • … Entwicklungen im Frauenfußball ab den 1970er-Jahren

    „Spielerinnen, die ich richtig wahrgenommen habe, das waren die ersten Verbandsmannschaften wie Bettina Wiegmann, Tina Theune, das waren schon Spielerinnen, wo ich Respekt vor hatte.
    Das muss ich sagen, als Schiedsrichterin habe ich ja dann nachher wirklich die Elite kennengelernt, wie Birgit Prinz beispielsweise und unsere heutige Bundestrainerin. Es waren ja alles Spielerinnen zu meiner Zeit, als ich als Schiedsrichterin in der ersten Frauenbundesliga war. Da muss man schon sagen, das war toll.

    Irgendwann wurde vom Kreis direkt die Landesliga eingerichtet. Dann dauerte das so ein, zwei Jahre, dann gab es eine Verbandsliga. Dann auf einmal wurde genau wie bei den Männern gestaffelt: Von Kreis-, Bezirksliga, Landesliga bis Verbandsliga. Das hat sich dann so im Laufe der Jahre angepasst. Da kam man aber auch nicht mehr drum herum, weil andere Landesverbände, die waren uns da weit voraus, wenn ich zum Beispiel Bayern nehme. Ich hatte private Verbindungen zu Bayern, da war man schon im Frauenfußball gut einen Schritt weiter wie bei uns.

    Der Westdeutsche Fußballverband kam ja noch mal später. Es dauerte vier Jahre, ehe dann eine Frauen-Regionalliga existierte. Dann war ja erst mal die Frauen-Regionalliga die höchste Klasse im Frauenfußball. Das hat sich ja alles erst über viele, viele Jahre entwickelt.

    1971 gab es den allerersten Frauenfußballlehrgang in der Sportschule Hennef. Da habe ich natürlich direkt unserer Geschäftsführerin gesagt: ‚Rita, anmelden!‘ Sie hat mich schon angemeldet und ich fand das toll. Wir hatten ja dann einen Verbandtrainer, einen geschulten Verbandstrainer, den Herrn Benzlaff. Ich fand das toll und dann spukte schon wieder in meinem Kopf: So was würde ich auch gerne machen, als dann auch die Lehrgänge ausgeschrieben wurden.
    Unsere Geschäftsführerin war ja die einzige, die damals die amtlichen Mitteilungen in Papierform erreicht haben. Da stand ja drin, wann, wo welcher Lehrgang stattfindet und wenn ich das zeitlich einrichten konnte, wie gesagt, mein Chef war ja überhaupt kein Problem, dann bekam ich dann noch den Urlaub. Ich konnte dann auch diese Lehrgänge besuchen und treu und brav erst mit dem Bus zum Bahnhof, vom Bahnhof nach Hennef zum Bahnhof und von Hennef Bahnhof zu Fuß zur Sportschule. Also das war ja nicht schön, wie das heute so ist.“

  • … erste Eindrücke als Schiedsrichterin

    „Zuallererst habe ich angefangen mit Jugendspielen. Das waren Jungs. Damals gab es ja fast überhaupt keine Mädchenmannschaften. Und nach einigen Monaten habe ich dann auch Frauen geleitet. Und ich bin nur durch Zufall in den Herrenbereich reingerutscht. Dann bin ich mal wieder sonntagmorgens 11:00 Uhr an den Platz. Es spielte in Mausbach die Reserve-Mannschaft, ich bin dahin und es war kein Schiedsrichter da und sie kannten mich ja alle und sagten: ‚Du bist doch Schiedsrichterin, kannst du das Spiel nicht leiten?‘ ‚Ich weiß ja nicht, ob ich das darf.‘ Dann haben die den Obmann angerufen, der für die Ansetzung zuständig war. ‚Ja, wenn Sie meint, dass sie das kann, dann soll sie das tun.‘ Ich habe dann das Spiel geleitet, hatte sehr viel positiven Zuspruch von beiden Mannschaften. Die haben das auch an den damaligen Schiedsrichterausschuss weitergeleitet. Und von da an wurde ich dann auch bei den Herren eingesetzt.

    Viele kannten mich auch und wussten ja auch, dass ich kein Kind von Traurigkeit bin und dass ich also auch mal den einen oder anderen Spruch draufhabe. Jetzt noch hat mir ein älterer Mann in der Sparkasse gesagt. Guckt er mich an und sagte: ‚Waren Sie nicht mal Schiedsrichterin?‘ ‚Ja‘, sage ich, ‚war ich.‘ Sagt er: ‚Vor 40 Jahren, da haben sie mich auch mal geleitet. Sie waren ja immer streng, aber gerecht.‘
    Das lag mir, auch wenn ich heute so Spiele sehe, wenn ich heute Schiedsrichterleistungen als Beobachterin sehe, da denke ich manchmal: Mein Gott, bei mir wäre das ja längst abgepfiffen worden. Ich war kleinlich, aber damit habe ich mir dann auch den Respekt erarbeitet.“

  • … Reaktionen auf weibliche Schiedsrichterinnen

    „Anfangs war man sehr skeptisch. Insbesondere als ich den Sprung gemacht hatte vom Kreis- in den Fußballverband. Das war man überhaupt nicht gewohnt: ‚Mein Gott, da schicken die uns eine Frau. Sind die noch normal?‘. Da kam schon so einiges an Worten und Sprüche. Heute würde man sagen, das geht tief unter die Gürtellinie. Seinerzeit musste man einfach damit fertig werden. Man konnte als Frau nur durch Leistung überzeugen. Das haben mir dann auch Kolleginnen bei den Lehrgängen erzählt, die dann gesagt haben: ‚Ja, ist mir genauso gegangen, das habe ich genauso erlebt.‘
    Und man muss natürlich bedenken, als dann erste DFB-Frauenlehrgang war, da war ich schon mit Abstand die Älteste. Und das hatte ich auch, muss ich auch ehrlich sagen, da bin ich auch ein Stück weit stolz darauf, Egidius Braun zu verdanken.

    Mit Trainern hatte ich sehr gute Erfahrungen. Aber was mir die Trainer immer wieder gesagt haben, dass sie das schätzen würden, dass ich so regelsicher wäre, dass meine Regelkenntnis so gut wäre. Also da gäbe es nichts zu meckern, auch wenn man schon mal ein Spiel hatte, wo es nicht so gut gelaufen ist. Aber die wussten immer, dass ich mein Bestes gebe.

    Mit Linienrichtern hat es angefangen in der Bezirksliga. Dann bekam ich Jungschiedsrichter zugeteilt. Das waren aber auch Jungs. Mädchen waren ja nicht da. Als ich das erste offizielle Jahr in der ersten Frauenbundesliga hatte, hatte ich Männer an der Linie. Bei uns im Kreis heute die zwei, die bei mir an der Linie waren, schwärmen heute noch von dieser Zeit. Ich sage auch, es war eine sehr schöne Zeit. Wobei ja nachher der Wechsel kam, dass man auch dann hier und da eine Frau dabei hatte. Aber es war schon schönes Arbeiten mit den Männern. Das Muss man sagen. Es hat auch keine Probleme gegeben mit umziehen, weil man sich vorher abgesprochen hat, je nach Jahreszeit und sich gesagt hat: ‚Ihr geht den Platz besichtigen. Ich ziehe mich in der Zwischenzeit um.‘ Oder nach dem Spiel: ‚Ich mache erst einen Spielbericht. Könnt ihr schon mal duschen oder umgedreht.‘
    In der Winterzeit, wenn es kalt war, da haben wir noch kalte Zeiten erlebt, habe ich immer die Männer zuerst duschen lassen, weil die ja meistens dann noch durchgefroren waren. Aber das hat gepasst. Wir haben bei uns im Kreis Aachen auch einen Schiedsrichter gehabt, ich sehe ihn heute noch vor mir, als ich bei ihm in der Verbandsliga mit an der Linie gehen durfte.
    Es wurde bekannt gegeben: An dem und dem Tag findet in dem und dem Sportheim die Zusammensetzung der Gespanne statt. Ich komme da als Frau an. Da meinte der damalige Vorsitzende: ‚Jetzt bist du ganz bekloppt geworden.‘ Ich sage: ‚Wieso das denn?‘ ‚Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir dich mit den Männern an die Linie schicken.‘ Und dann kam dieser eine Schiedsrichter hatte seinen Schiedsrichterschein in der Hand und sagte: ‚Entweder nehme ich die mit an die Linie, oder du kannst dir das an dein Scheißhaus hängen.‘ Wortwörtlich. Und dann hat man mich da mitgehen lassen. Dann ging alles so ineinander über. Es kam eine Frau aus einem anderen Landesverband zu uns in den Kreis. Dann waren wir zwei und dann wurden wir auch schon mal zu zweit mitgenommen.“

  • … ihre Wahl in den Schiedsrichterausschuss

    „Ohne die Unterstützung ohne die Zustimmung der Männer hätte ich es auch nicht gemacht. Vor vielen Jahren, da gab es einen Vorsitzenden, der wollte mich eigentlich gar nicht im Schiedsrichterausschuss haben. So als Handlanger, als Mädchen für alles, ja, aber nicht als gewähltes Mitglied.
    Dann haben die Männer mir zugesprochen. Die männlichen Schiedsrichterkollegen haben gesagt: ‚Stell dich zur Wahl. Du wirst gewinnen und wir unterstützen das.‘ Das ist auch so gekommen. Ich habe mich dann zur Wahl gestellt, hatte die meisten Stimmen und hatte auch sehr große Unterstützung von den männlichen Kollegen. Ich kann sogar sagen, wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich es nicht gemacht. Dann war ich ja 25 Jahre Beisitzerin. Ich habe das sehr gerne gemacht und dann gab es auch wieder einen Todesfall im Kreisvorstand. Dann musste ganz schnell und ganz kurzfristig umbesetzt werden. Und dann habe ich gesagt: ‚Ich mache es für eine Periode, ich gehe auf die 70 zu und irgendwann muss es auch gut sein. Und das habe ich dann auch umgesetzt. Ich muss auch sagen, jetzt die jungen Leute, da hat sich einiges verändert. Die machen einige Sachen anders. Das liegt auch wieder am Generationsunterschied. Das ist für mich auch absolut in Ordnung. Ich gehe trotzdem zu den Weiterbildungen. Ob online oder wenn wir uns treffen, ist für mich alles kein Thema. Aber ich bin froh, dass es jetzt ruhiger ist.“

Der Rebell der Familie

“Hat die zu viel Busen?”

“Such dir eine andere Sportart!”

Akzeptanz durch Leistung


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Marewski, Rolf-Arnd

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Rolf-Arnd Marewski

*1957
Langjähriger Mitarbeiter des Fan-Projekts Dortmund e. V.

Als Sozialarbeiter prägte die ehemalige Torwarthoffnung des BVB über drei Dekaden das Fan-Projekt Dortmund e. V. In seine Amtszeit fällt unter anderem die Mitgründung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG) in Dortmund.

Kurzbiografie

  • Geboren 1957 in Dortmund
  • 1978-1980 Berufsausbildung zum KFZ-Elektriker
  • 1980-1985 Betätigung als Liegewagenbetreuer bei der Deutschen Schlafwagen- und Speisewagengesellschaft (DSG)
  • 1964-1974 Mitglied im Wambeler Spielverein 1920 e. V.
  • 1969-1975 Torwart beim Ballspielverein Borussia 09 e. V.
  • 1982-1986 Studium der Sozialen Arbeit. Universitätsabschluss: Diplom
  • 1987 Jugendamt Dortmund
  • 1988-2018 Fan-Projekt Dortmund e. V.
  • 1994 Goldener Hammer (der Arbeitsgemeinschaft SOS-Rassismus) für das Fan-Projekt Dortmund e. V. für die Überwindung von Gewalt und Rassismus
  • 2007 Verleihung der Ehrennadel der Stadt Dortmund durch den damaligen Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer
  • 2010 Gründung des Fußballvereins Borussia Commondale Football Club in Südafrika

Rolf-Arnd Marewski über …

  • … Vorortfußball und den BVB

    „Ich bin in Dortmund in einem Vorort aufgewachsen, in Wambel um genauer zu sein. Dieser Vorort war geprägt von gutbürgerlichen Haushalten, Einfamilienhäuser oder Doppelhaushälfte. Es gab viele Kriegsversehrte, die in Wambel gewohnt haben. Mein Vater war auch Kriegsversehrt, hatte nur einen Unterschenkel. Den haben sie ihm im Alter von 17 Jahren abgeschossen und er hat dann nachher noch mit uns Fußball gespielt. Wir wohnten nicht weit vom Fußballplatz entfernt. Und so bin ich jeden Tag ab dem Alter von fünf Jahren zu dem Fußballplatz des SV Wambel gegangen und habe dann die ersten zwei Jahre den Großen zugeguckt und bin danach mit sieben Jahren dort aktiv gespielt.
    Wir hatten im Umfeld unseres Hauses eine große Bolzwiese, die umgeben war mit Brennnesseln, wo jeder seine Grenzen auch schon gesehen hat und wo wir auch Straßenspiele gemacht haben: Wir gegen die Nachbarstraße. Und dann hat der eine mal gewonnen, dann ein anderer. Alle waren sich dann manchmal auch nicht so wohlgesonnen. Aber hinter dem Haus gab es ein riesen Stoppelfeld und wir haben noch die Möglichkeit gehabt, um Mäuse zu jagen, Kartoffeln zu suchen und zu braten und uns da völlig auszutoben und haben auch auf der Straße vor unserem Haus Fußball gespielt. Fußball und Eishockey war damals en vogue. Das geschah alles ohne Autos, aber mit viel Improvisation. Und mit viel Spaß vor allen Dingen. Das war eigentlich eine sehr schöne Jugend.

    Mein Vater hat damals bei den Stadtwerken gearbeitet und mit ihm Willi Burgsmüller. Der war ein verdienter Spieler von Borussia Dortmund. Und mein Vater schwärmte immer am Arbeitsplatz vom Wochenende, wie der Sohn beim SV Wambel als robuster Libero dann auch in der Knabenmannschaft einige Tore geköpft oder das eine oder andere auch verhindert hat. Irgendwann sagte er dann: ‚Bring ihn doch mal zu Borussia.‘
    So bin ich dann mit zwölf Jahren bei Borussia Dortmund angefangen. Dieser Verein hatte schon einen hohen Stellenwert an sich. Borussia Dortmund war damals das Synonym für guten Fußball und erfolgreichen Fußball. Und das war für uns Jungs natürlich ein erstrebenswertes Ziel, da zu landen. Und ich bin aus unserem Vorort, glaube ich, der Einzige gewesen, der da gelandet ist.“

  • … seinen Anfang im Fanprojekt

    „Im Sozialamt, wo ich eigentlich irgendwann meine eigene Berufung sah, war zu dem Zeitpunkt keine Stelle frei. Und dann stellte man mich direkt nach dem Studium als Springer in Jugendfreizeitstätten ein. Ich war früher immer ein Macher gewesen und habe dann die Damen, deren Leiter ich vertreten musste, wohl ziemlich verschreckt. Man sagte mir dann irgendwann auch nach, ich sei nicht teamfähig. Und das hat sich dann bis zur Abteilungsleiterspitze herumgesprochen. Und die baten mich dann nach meinem Probehalbjahr zum Gespräch und sagten, dass mit mir keiner so recht arbeiten wollte und sie mich deshalb entlassen mussten.
    Ich war inzwischen verheiratet. Meine Frau war schwanger. War nicht ganz so toll. Das war Ende 1987.
    Zum Glück hatte meine damalige Frau einen ganz guten Beruf. Sie war Buchhalterin. Und dann haben wir uns geeinigt: Bis ich wieder Arbeit finde, arbeitet sie als Buchhalterin weiter und ich versorge das Kind. Das habe ich dann auch bis August 1988 mehr recht als schlecht getan. Ich habe mir zwar immer riesen Mühe gegeben, aber ich habe erhebliche Probleme damit gehabt, das Schreien meines Kindes zu interpretieren oder zuzuordnen. Ich hatte da immer so eine Strichliste vor Augen: Hose voll, Hunger, Schmerzen, irgendwo Pflaster oder weiß der Himmel was. Und habe dann versucht, diese Strichliste abzuarbeiten. Habe ihn dann häufig sauber gemacht, obwohl da gar nichts sauber gemacht werden musste. Aber egal, war ja nicht schlimm.
    Hab dann allerdings auch so Warnzeichen wie einen geschwollenen Arm und Pflaster, was nach einer Impfung da drauf kam, übersehen, was eindeutig gespannt und ihn ziemlich gestört hat. Und er hat dann auch geweint und ich war schon auf dem Weg in die Klinik, zum wiederholten Male, nachdem ich meine Frau angerufen hatte auf ihrer Arbeitsstelle.
    Und dann sagte eine Nachbarin mir: ‚Guck doch mal, der Junge, der hat da oben ein Pflaster, das spannt.‘ Sie riss einmal dran, das Pflaster löste sich und der Kleine fing an zu lachen. Und da habe ich dann spätestens gemerkt: Das ist doch nicht so ganz für dich, diesen Hausmann zu spielen.

    Zum Glück hat es dann im Juli geklappt, dass ich in der Zeitung las: Fanprojekt sucht Sozialarbeiter. Keiner wusste damals in Dortmund, was ein Fanprojekt war. Ich glaube, niemand in Nordrhein-Westfalen wusste, was ein Fanprojekt war. Ich auch nicht. Aber ich habe mir gedacht: Gut, probierst du es mal. Und dann bin ich zum Stadtsportbund gegangen und der damalige Leiter Klaus Henter hat mir dann mal erzählt, was dieser Verein sich eigentlich vorstellte unter Fanprojektarbeit. Dieser Verein Fanprojekt Dortmund e. V., der just am 03.09.1987 gegründet wurde. Das war mein Geburtstag. Das war mein 30. Geburtstag. Das war ein Zeichen. Und ich habe dann gesagt: ‚Wieso sucht ihr einen Sozialarbeiter? Ich bin doch da!‘
    Borussia Dortmund hatte mir damals, als ich den Unfall hatte, noch einen Brief geschrieben, dass sie mir für die Zukunft alles Gute wünschten und mir attestiert haben, dass ich ein sehr vielversprechender Torwart war. Diesen Brief hatte ich immer aufbewahrt. Damit bin ich dann auch dahingegangen und habe ihn dann auch dem damaligen Chef auf den Schreibtisch gelegt. Und er sagte dann: ‚Ja, wenn das so ist, wenn du den Verein schon lange kennst, dann scheint es ja ganz in Ordnung zu sein. Dann können wir das ja mal probieren. Du kriegst jetzt auch ein Sportlehrer dabei und dann ist gut. Damit die sportliche Seite nicht zu kurz kommt.‘ Aber die kam bei mir schon nicht so kurz. Ich war wieder in dem Alter, nach all den Jahren wieder soweit genesen, dass ich auch wieder Fußball gespielt habe und den ein oder anderen Ball im Tor gehalten habe.“

  • … die Ursprünge der Fanprojekte

    „1982 wurde das Bremer Fanprojekt gegründet, unter anderem auch mit einem Kollegen aus Dortmund, der von Dortmund nach Bremen ging. Es war auch ein Sozialarbeiter ‚Manni‘ Rutkowski, der da jahrelang gearbeitet hat. Und da hat man zum ersten Mal probiert, anders als mit der Polizei auf Fußballfans zu reagieren. Man hat versucht, pädagogisch auf sie einzuwirken oder auf Vertrauensbasis etwas mit ihnen zu machen. Und das ist ganz wichtig, dass man mit ihnen etwas machte und nicht gegen sie.

    Bremen und Hamburg spielten als Vorbild eine große Rolle. Denn der Stadtsportbund Dortmund, das war der erste Träger des Fanprojekts in Dortmund. Der Stadtsportbund hatte damals einen Mitarbeiter zu einer Fantagung geschickt. Und hat ihn nach Hamburg oder nach Bremen geschickt, um sich erkundigen zu lassen.
    Der Stadtsportbund Dortmund war der Gründungsvater dieses Vereins Fanprojekt Dortmund e. V. Wir sind damals als Angestellte des Stadtsportbundes auf ABM Basis angestellt worden. Mein damaliger Kollege, der Joachim Falk als Sportlehrer und ich als Sozialarbeiter haben dann das Glück gehabt, da noch Hertha Gerholt zu bekommen. Hertha Gerholt war eine resolute ältere Dame, die für die Buchhaltung zuständig war, die damals noch gar nicht so groß war. Und die hat immer vor allen Spielen die Hooligans aus dem Büro geschickt mit den Worten: ‚Aber fair bleiben heute!‘ Denn wir hatten ein Büro am Stadion und das war der Treffpunkt der Hooligans vorm Spiel. Das war schon mal ganz gut.

    Heute sage ich: Ich konnte damals mein Arbeitsfeld selbst gestalten und auch die Maßnahmen meinem Vorstand gegenüber vertreten, die ich für richtig hielt, wenn ich sie denn begründen konnte. Ich hatte von meinem Vorstand damals jegliche Unterstützung nach außen. Ich hatte auch den konkreten Draht zu Borussia Dortmund, zu Walter Mastermanns, der auch Mitglied im Fanprojekt Dortmund e.V. war. Und zu Heinz Kippmann, kurioserweise mein damaliger Trainer, der mich wegen meiner Haare so oft geärgert hatte, der war auch Mitglied im Fanprojekt und e. V. Und die sahen das anfangs auch ganz gern, dass ich den Job auch ausübte. Ich hatte dann gemeinsam mit dem Sportlehrer, meinem damaligen Kollegen Joachim Falke, auch das Glück, noch eine Verwaltungskraft dazu zu bekommen. Und wir durften dann auf ABM Basis arbeiten. Das heißt also, das Arbeitsamt zahlte unsere Mittel, unsere Personalkosten und einem Etat von 50.000 Mark im Jahr. Damit konnten wir unsere Arbeit gestalten. Damals haben wir uns überlegt, dass wir mitfahren zu Auswärtsfahrten. Klar, dass wir bei Spielen immer präsent sind. Dass wir in der Woche für die Fans Ansprechpartner sind. Dass wir bei auftretenden Problemen für sie da sind. Dass die Fans ihre politischen Einstellungen hinterfragen, wenn sie denn rechtsgerichtet waren. Und so konnten wir dann eigentlich frei jeder Bürokratie arbeiten.“

  • … überregionale Arbeit und Anerkennung

    „Der DFB hat recht schnell gemerkt, dass die Sozialarbeit sich in den verschiedensten Bundesländern ausbreitete, das heißt Sozialarbeit mit Fußballfans. Und dass sich einige Fanprojekte in verschiedenen Städten bildeten. Wir haben dann irgendwann gesagt, die Fans treffen gerade bei internationalen Begegnungen aus verschiedenen Städten zusammen. So ist es auch wichtig, dass Mitarbeiter der verschiedenen Städte an dem Spielort zugegen sind, um ihren Einfluss den Fans gegenüber geltend zu machen. Und das hat der DFB dann auch unterstützt.
    Es wurden Konzepte geschrieben. Und der DFB hat das recht schnell erkannt, dass das wirklich wahr ist. Und 1990 war die erste Fanbetreuungsmaßnahme des DFB in Italien, wo wir mit sieben oder acht Kollegen in Italien waren.
    Zeitlich begrenzt zwar, aber wir waren da und mussten zwischendurch mal wieder nach Hause fahren, weil das Geld fehlte. Aber wir waren da, wann immer wir gebraucht wurden. Das war ganz gut. Das war die erste internationale Fanbetreuungsmaßnahme.

    Es ging alles damit los, dass ich in Dortmund immer eine ziemlich große Klappe hatte. Und das hat sich dann auch nach Düsseldorf rumgesprochen. Und ich dann auch Politiker kannte aus Dortmund schon, die dann auch in Düsseldorf tätig waren. Zum Beispiel Dr. Gerd Bollermann.
    Dr. Gerd war auch an der Fachhochschule der Polizei für öffentliche Verwaltung und da habe ich ab und zu mal dann auch den Polizeibeamten so ein bisschen das Thema näher gebracht. Der hat das natürlich dann auch nach Düsseldorf getragen.

    Ein Wendepunkt war dann 1993, der Besuch von Franz Müntefering im Fanprojekt Dortmund, der damals Arbeits- und Sozialminister in NRW war. Und der wollte dann unbedingt wissen, was die Borussenfront ist. Da habe ich gesagt: ‚Gut, kommen Sie mal vorbei.‘

    Unser Verein ist ja 1988 gegründet worden. Erst zwei Jahre habe ich auf ABM gearbeitet, bis es dann 1990 zu einer festen Stelle wurde. Zu dem Zeitpunkt, da habe ich natürlich im Dortmunder Bereich ziemlich gerührt, habe versucht, viele Leute von diesem Thema oder zu sensibilisieren. Wir hatten Politiker in unserem Fanprojekt, den Dr. Gerd Bollermann zum Beispiel, wir hatten andere Spitzenpolitiker, wir hatten Leute von Borussia Dortmund, die natürlich auch das, was sie in Dortmund erlebten, an ihre Kollegen in anderen Städten weitergetragen haben.
    So haben wir 1989 unter großem medialen Interesse die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte gegründet. Als ich anfing, gab es, glaube ich, sechs Fanprojekte. Die Bundesarbeitsgemeinschaft hatte 1989 schon neun oder zehn. Dann ging es so langsam weiter. Und auch der DFB hat gesehen, dass die Fanprojekte ernstzunehmende Partner sein müssen oder können und hat sie demnach auch gefordert und gefördert. Der Wendepunkt war eigentlich so 1993, als die Innenministerkonferenz damals unter Herbert Schnoor, das nationale Konzept Sport und Sicherheit auf den Weg brachte, welches in jeder Bundesligastadt ein Fanprojekt vorsah. Und inzwischen gibt es Fanprojekte bis in die dritte Liga. Die arbeiten alle jugendpolitisch und sozialpädagogisch mit Fans. Das ist eigentlich eine ganz schöne Entwicklung. Man ist so von einer repressiven Phase weggekommen, auf die pädagogische.

    Ich denke schon, dass das Ruhrgebiet ein schöner Katalysator war, speziell Dortmund. Wir haben im Ruhrgebiet viele sozialpädagogische Einrichtungen gehabt, wie zum Beispiel in Bochum die Streetwork Abteilung der Stadt. Die hatten als einzige Stadt eine Streetwork Abteilung. Das hat man sich damals gar nicht so gar nicht so vorstellen können. Aber die sind auch mit ihrem Bauwagen an verschiedene Orte gefahren, die von irgendwelchen Jugendgruppierungen besetzt waren. Und die haben sich auch um Fußballfans gekümmert. Und daraus entstand dann irgendwann das Fanprojekt Bochum. Das dann von der AWO unterstützt wurde aber immer mit einem Mitarbeiter eine Abteilung der Stadt war. Und bei uns war das ja der eingetragene Verein, der auch seine politischen Arme überall hatte.“

  • … den Wandel von Hools zu Ultras

    „Das war so um die Jahrtausendwende. Dann haben sich die Ultragruppierungen gegründet. Unter anderem hat auch einer aus der Chefetage von Borussia Dortmund, der ‚Janni‘ Gruszecki damals die Desperados gegründet, im Fanprojekt. Das weiß ich noch.
    Da gründeten sich plötzlich neue Fanclubs, die sich Ultras nannten, die sich auch anders definierten als die alten Fanclubs. Die wollten irgendwas bewirken im Verein und wollten dem Fußball einen Sinn geben. So haben sich die die Ultras damals gegründet und das wurde von den Hools anfangs sehr kritisch beäugt. Aber irgendwann haben die dann gesagt: ‚Wir ziehen uns zurück und machen unsere eigene Hooligan-Gruppe weiter. Und lassen die Ultras Ultras sein. Nicht ernst zu nehmen, die verschwinden wieder.‘

    Ja, das ist jetzt einige Jahre her. Das ist jetzt zwölf, 15 Jahre her, dass sie nicht verschwunden sind. Und die werden auch dableiben, denke ich. Also der Prozess für die Ultras war nicht schleichend, der war stetig.
    Die Ultras haben Leute an sich gebunden. Haben aber gleichzeitig auch Auswahlkriterien geschaffen, was die Jungs eigentlich auszeichnen musste, um Ultra zu sein. Ultra war plötzlich so eine Art Berufsbezeichnung. Und das, was sie an Zeit da reingesetzt haben, ist wirklich bewundernswert.
    Das ist ein Phänomen, diese Anprangerung der Kommerzialisierung. Das ist ein Phänomen der Ultras. Also die die Fußballfans, die Ultras haben ja irgendwann die Hools verdrängt.

    Sie meinen, sie müssten mehr Sinn in dieses Spiel bringen. Und haben dann auch ihre Themen gesucht, die sie auch vehement verteidigten. Zum Beispiel die Kommerzialisierung des Fußballs. Es gab Arbeitsgruppen bei den Ultras. Die Ultras lehnen es bis heute ab, den Fußballplatz Signal Iduna Park zu nennen. Bis heute schreiben oder reden auch die ganz jungen Leute bei den Ultras vom Westfalenstadion. Die Ultras sind inzwischen die vorherrschende Kraft in der Fanszene. Die einerseits sehr, sehr kreativ sind, aber auch einige nahestehende Gruppierungen kennen, die radikaler geworden sind, als sie früher waren, auch unter dem Motto des Rechtsradikalismus. Es gibt ja regelrechte Käfigkämpfen, die ich persönlich noch nie gesehen habe. Und da treffen sich dann auch die Fans, die wirklich so aus der Hooligan Szene übriggeblieben sind und versuchen unter den Ultras eine politische Ebene aufzubauen.

    Der Erfolg von Borussia Dortmund hat natürlich in erster Linie dafür gesorgt, dass im Stadion in Dortmund kaum noch ein Platz zu bekommen ist. Also das Signal Iduna Park ist immer ausgebucht.

    Die Arbeit hat sich insofern für mich verändert. Weil diese Handlungsweise der Ultras, die waren feinfühliger und intelligenter als die der der Hooligans damals. Ich bin mehr so der Freund der klaren Ansprache gewesen. Die Ultras sind viel, viel schlauer geworden, also viel intelligenter, als die Hools damals waren. Und die vertreten auch viel vehementer ihre Meinung. Was den Fußballsport betrifft, wie gesagt, die traditionellen Werte oder die Kommerzialisierung. Oder den Ausverkauf des Fußballs. Wie es vor kurzem ja war. Das ist ja schön gewesen. Und auch für mich war es schön zu lesen, dass die DFL mit dem Plan gescheitert ist, Investoren reinzuholen. Und die sind daran gescheitert, dass die kleinen Vereine das gestoppt haben. Und ich bin mir sicher, ich bin sehr davon überzeugt, dass die Ultras der verschiedenen Städte sehr dazu beigetragen haben, dass diese Entscheidung so gefallen ist.“

Vom Überleben ins Arbeitsleben

Alltag und Akzeptanz der frühen Sozialarbeit

‘Ihr seid doch die Sozis!’

Müntefering an der Borussenfront


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Akici, Atilla

Foto_Akici

Atilla Akici

*1961
Torjäger des Türkischen Sport Vereins Düren 1969 e. V.

Atilla Akici schoss den Türkischen Sport Verein Düren in den ausgehenden 1970er- bis in die 1980er-Jahre zu diversen Titeln. Der älteste ethnische Fußballverein in NRW bereichert die lokale Sportlandschaft noch heute.

Kurzbiografie

  • 1961 geboren in Konya (Türkei)
  • 1976-1980 Besuch des Berufskollegs für Technik in Düren
  • 1976-1991 (mit 1,5 Jahren Unterbrechung) Türkischer Sport Verein Düren 1969 e. V.
  • 1977-1980er Boxring Düren 1955 e. V.
  • TuS 1908 Langerwehe e. V.
  • Mehrfacher Atatürk-Pokal NRW-Gebietssieger
  • Seit 1983 Betätigung als Taxifahrer

Atilla Akici über …

  • (Fußball-) Erfahrungen in Düren und Langerwehe

    „Mein Vater war ja schon viele Jahre in Deutschland, ich bin der älteste Sohn in der Familie. Ich war schon 16 und die anderen waren noch klein.
    Und Papa war nicht ohne, er hatte hier eine Freundin gehabt, er war hier glücklich, wie jeder andere auch. Irgendwann hat er sich entschieden, uns zu holen. Das war am 16. August 1976, da sind wir losgefahren, mit dem Auto nach Deutschland, direkt nach Düren. Ich bin seitdem Dürener.
    Vater ist gefahren, er hat ja als einziger einen Führerschein gehabt. Er ist in einem 190er Mercedes gefahren und anderthalb Tage später waren wir in Düren.

    Mit 16 habe ich den Türkischen SV kennengelernt. Die Eltern hatten Kontakte zu dem Verein und es wurde ihnen gesagt, dass sie ihren Jungen bringen und nicht weggeben sollen. Da spielt ja Nationalität und das Blut wieder eine Rolle und da hört man auf die Älteren.
    Ich bin reingekommen und da haben sie mir einen gefälschten Pass gemacht. In meinem Sportpass bin ich noch drei Jahre älter. Ich war 16, aber die haben mein Alter auf 19 und einen illegalen Pass gemacht.
    Mit 16 habe ich angefangen eindrucksvoll zu spielen.
    Wir haben von der Kreisklasse C bis zur Bezirksliga gespielt und sind auch paar Mal Meister geworden. 1980 bin ich zum TuS Langerwehe. Die haben eine Mannschaft in der Bezirksliga und die erste Mannschaft in der Oberliga.
    Ich habe da keine zwei Jahre gespielt, denn der Trainer war, ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, aber das war halt ein Nazi, er mochte die Ausländer nicht. Ich war ja der Torjäger, da hat er wörtlich meinen Kollegen gesagt: ‚Gib ihm keinen Ball mehr ab.‘ Das haben alle gehört. Da war ich so beleidigt. Ich war ja sehr gut, ich war ja Torschütze. Da habe ich gesagt: ‚Die Tore, die ich mache, die nehme ich ja nicht mit nach Hause. Die mache ich für den Verein.‘
    Ich war so beleidigt. Ich habe meine Sachen gepackt und wollte weg. Aber dann kamen die Sponsoren an, im Porsche und Mercedes kamen die angefahren und haben gesagt: ‚Setz dich mal hin, was ist den hier los?‘ Ich habe gesagt: ‚Der hat so geredet, bei diesem Verein ist für mich Schluss.‘“

  • … seine erste Rote Karte

    „Wir hatten einen Spieler, der Murteza, der Trainer hatte aus ihm einen Libero gemacht. Er hat den getreten und geschlagen, wenn er Fehler gemacht hat, aber am Ende, hat er aus ihm einen Bombenmann gemacht. Er könnte locker Bundesliga spielen.
    Und der Elias, der konnte locker in der zweiten Liga spielen. Er hatte ja in der Türkei in der ersten Liga gespielt. Er hatte nur ein scheiß Mundwerk, die Füße liefen sehr gut, aber Mund das gleiche, das geht nicht.
    Ich habe in meinem Leben durch ihn meine erste Rote Karte gekriegt.
    Er hat eine Rote Karte gekriegt. Als Spielführer bin ich zum Schiri und habe gefragt: ‚Ist es normal wegen Motzerei eine Rote Karte zu geben?‘
    Da hat er mir auch eine Rote Karte gegeben, da habe ich rotgesehen, dann habe ich ihm eine geklatscht. In meiner Karriere war es die erste Rote Karte. Da war direkt zwei Jahre Sperre.
    Die haben gesagt, ich hätte den Schiri geschlagen. Ich bin hingegangen und habe gefragt: ‚Ist das normal wegen Meckerei, Rote Karte?‘ Da dreht er sich rum und knallt mir so die Rote Karte ins Gesicht.

    Die Jungs in der Kabine, das war im Hürtgenwald, wir kannten uns ja alle, auch wenn wir Gegner sind, wir waren auch gleichzeitig Freunde, wir leben hier in einem Gebiet. Die Jungs haben auch gesagt: ‚Jungs passt auf. Spielt ganz locker, ich habe mit den Türken was zum Abrechnen.‘ Wir haben festgestellt, seine Frau ist mit einem Türken laufen gegangen. Deswegen hat er Wut auf uns. Er hat Rote Karten verteilt wie Butterbrote.
    Alle waren wütend, aber was sollten wir machen?
    Das war in meiner Zeit nach Langerwehe, das war so 1986, 1987. Ich habe ja bei den Türken wieder gespielt, weil sie bei meinem Vater so Druck gemacht haben, ich solle wieder zurückkommen. Die haben alle Druck gemacht. Im Café habe sie gefragt: ‚Warum kommst du nicht? Bist du Landesverräter?‘ Die sprachen aktiv so, damit ich zurückkomme. Und dann bin ich zurückgekommen und habe da gespielt, bis ich Fußballrentner war, das war mit 30 Jahren.“

  • … die Fußballlandschaft in Düren

    „Die Spieler beim SV waren nicht alle reinrassig Türkisch, so war das ja auch nicht gedacht. Die haben das gegründet, ich habe das gelesen und mir ein Stückchen notiert. Die haben das gegründet mit elf Mann und elf Mann waren gleichzeitig Spieler. Die haben noch nicht mal Ersatzspieler gehabt. Die haben das erst mal gemacht, um Sport zu betreiben. Das waren ja alles sportliche Typen, die gekommen waren. Das war die erste Generation, die nach Deutschland gekommen war. 1967 haben die den Verein gegründet, aber die haben den erst 1969 legal angemeldet. Die haben ja ganz normal in der Liga gespielt.
    Wie ich das damals gehört habe, hat man gedacht, dass das Sporttreiben Menschen hilft, um von ihren schlechten Seiten wegzukommen.
    Das sagt man ja heute noch. Egal welcher Sport es ist, die Kinder sollen üben, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. So werden bei uns zumeist die Kinder erzogen.
    Dann haben ich zwei Jahre später die A-Jugend gemacht, das war eine Bombenmannschaft, dann haben wir C- und D-Jugend gemacht. Dort war ich schon gut organisiert, also eine Zeit lang. Als ich mich zurückgezogen habe, kamen Leute, die sage ich mal, in ihrem Leben nie bekannt geworden sind und die jetzt mal etwas Ruhm ernten wollten. Das war aber nur Kacke. Das ist ja normal, wenn du keine Ahnung hast.
    Jetzt haben wir nur zwei Mannschaften, die eine spielt in der Bezirksliga und kann aufsteigen oder auch nicht, mal gucken.
    Ein Vereinsheim oder eine Umkleide, so was hatten die Gründer noch nicht. Die haben sich um die Ecke umgezogen und angezogen. Die haben noch nicht mal Duschen gehabt. Die sind alle ohne zu duschen nach Hause gegangen.
    Wir waren erst in Birkesdorf auf dem Ascheplatz. Das war ein Grundstück, halb Grün, halb Braun. Es war auch uneben. Aber ich danke den Leuten, die uns den Platz gegeben haben. Da hatten wir dann Umkleiden und Duschen für nach dem Spiel. Da waren wir schon dankbar. Und später sind wir dann zur Malteserstraße nach Düren. Das war dann ein gepflegter Ascheplatz, den pflegen wir auch viel. Das ist ja nicht unser Eigentum, aber den Platz haben wir schon sehr lange.

    Der griechische Verein, den es früher gab, der hat sich aber sehr schnell aufgelöst. Dann gab es auch noch Bella Italia, die haben sich auch nicht lange gehalten. Warum? Kein Nachwuchs. Der einzige Verein, der sich schon lange hält, das ist der Türkische SV.

    Was die Unterstützung durch die Stadt angeht, sind wir schon dankbar, dass wir einen Platz zur Verfügung bekommen haben und eine Umkleide hatten, die wir jeder Zeit benutzen konnten. Finanziell gab es keine Unterstützung.

    Der FC Düren geht auch den Bach runter, die müssen jetzt zwangsabsteigen, da sie kein Geld für ein neues Stadion haben.“

  • … Auswärtsfahrten … und die Kasse klingelt

    „Es war in der Hauptsache wichtig, dass die Leute sportlich waren. Für gute Leute stand immer die Tür auf, das war bei den Türken immer an erster Stelle und wurde auch so angegeben.

    Das stand auch überall so: Bitte kommt rein, die Türen sind für jeden offen. Wer in dieser Liga spielen kann, kann ein Probetraining machen und war sofort bei uns. Wir haben auch aus der Tasche noch Leute bezahlt. Wir haben die von woanders kommen lassen und haben denen Taschengeld gegeben oder persönlich monatlich 100-200 €.
    Ich habe da nicht durchblicken können, wie die das gemacht haben. Wir haben nach dem Sieg oder mit einem Pokal in allen Kneipen gespendet. Wir Spieler haben jeden Monat unsere Beiträge bezahlt, damit unsere Trikots gewaschen werden. Oder wir haben immer abwechselnd, jeder hat die eine Woche mitgenommen und zu Hause gewaschen, immer solche Sachen.
    Wenn der Verein vernünftig geführt wäre, mit Disziplin und alles offen und schneeweiß, dann wäre der Verein heute in der Oberliga. Die Probleme waren ja alle finanziell.
    Wir Spieler haben jeden Monat 50 Mark bezahlt, jahrelang.
    Zu Auswärtsspielen sind wir immer mit Privatautos gefahren. Wir hatten ja genug verrücktes Publikum, was ‚fußballjeck‘ war. Egal, ob wir zu Hause gespielt haben oder auswärts, da waren immer 500-600 Leute.
    Die deutschen Vereine, die gegen uns gespielt haben, dachten immer: Schön, jetzt kommen Türken. Das gibt guten Eintritt. Die haben viel Geld gemacht durch uns, denn unser Publikum hat uns nie alleingelassen. Ob Winter, Sommer immer waren, das Stadion oder der Sportplatz voll. 90 %, 95 % nur Türken. Da haben die deutschen Vereine sich gedacht: Jetzt müssen wir ein bisschen Geld machen. So war das damals.
    Wir haben alles aus eigener Kraft gemacht. Da wurde man nicht vom Verband unterstützt, Geld gegeben, Klamotten oder was zu essen. Ich habe 18 Jahre gespielt. Ich habe einmal Fußballschuhe von der Mannschaft bekommen, weil ich arbeitslos geworden war. Das waren die Beckenbauer mit Nocken, die haben damals 110 Mark gekostet, das war viel Geld.“

  • … sein Selbstverständnis als Sportfan und Deutschtürke

    „Ich bin ja Sportfan. Wenn ich die Möglichkeit habe ein Spiel zu sehen, egal welcher Mannschaft, dann mache ich das. Es muss nicht unbedingt Bayern München sein. Für mich ist das Spiel die Hauptsache. Wenn ich Zeit dafür habe, dann sage ich meinen Kollegen: ‚Komm, wir schauen uns das an.‘ Ich bin kein Fanatiker. Ich will ja nicht nur sagen: ‚Nein, ich gehe nur zu meiner Mannschaft. Nein, das ist es bei mir nicht. Ich gehe auch zu Dorfmannschaften zum Gucken, wenn es Zeit dafür gibt.
    Wenn ich ein junges Talent sehe, dann macht es mir Spaß zu sehen, wir er den Ball mitnimmt und abgibt und so. Wir sind ja jetzt alt geworden. Was wir jetzt sehen, das macht uns Freunde, nicht das, was wir selber machen.
    Als ich nach Deutschland kam, hatten wir noch Satellitenschüsseln, dieses Fernsehen, das hält die Muttersprache frisch. Das zeigt dir, wo du herkommst und was da alles so passiert. Das lernst du ja nur durch diese Sendungen. Jetzige Kinder, die wissen von der Türkei nichts. Die sind alles Deutsche. Ich sage, du musst die Muttersprache behalten. Sprache ist sehr wichtig, egal welche Sprache.
    Sogar mein Sohn, der wohnt in Köln in der Nähe von Müngersdorf.  Er spricht mit mir zwei Wörter Türkisch und das dritte, das geht nicht, da lenkt er direkt auf Deutsch. Meine Enkelkinder sprechen nur Deutsch, sehr schlecht Türkisch. Das muss man normalerweise beibringen.

    Deutscher Staatbürger bin ich nie geworden. Meine geschiedene Frau ist deutsch, meine Kinder haben alle deutsche Papiere. Mich hat das nicht gestört. Ich gehe zu meiner Arbeit. Ich bin nie illegal. Viele haben gesagt, es gibt Sicherheit in Deutschland. Aber wenn du in Deutschland nichts machst, wofür brauchst du Sicherheit? Geh arbeiten, bezahl deine Steuern, dann tut dir keiner was.
    Ich habe das nie nötig gehabt, sagen wir mal so. Ich habe einen Sohn und eine Tochter. Meine Tochter und Schwiegersohn wollten in der Türkei leben. Ich habe gesagt: ‚Wozu wollt ihr in der Türkei leben. Seid ihr bekloppt?‘ Es hat nur 6 Monate gedauert, dann waren sie wieder hier. Es hat 100.000 gekostet. Die haben gelernt, dass es gar nicht geht. Ein in Deutschland lebender Türke kann nicht in der Türkei klarkommen.
    Zurückzugehen geht nicht, es gibt nur Wandern, hin und her wandern. Anders geht es nicht mehr. In der Türkei habe ich ja fast gar keine Verwandten mehr. Meine Mutter ist tot, mein Vater ist tot. Es gibt noch die zwei Onkel und eine Tante, die noch in der Türkei leben. Wenn die auch tot sind, dann habe ich keine Verwandten mehr. Wofür soll ich denn in die Türkei auswandern?“

Fussballanfänge im Evangelischen Jugendheim

Deutsche Sprache, ‘Straßensprache’

Die Organisation des Türkischen SV Düren

Von Düren nach Langerwehe und zurück

Dürener Erfolge beim Atatürk Pokal


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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