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Josef “Jupp” Kompalla

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Josef “Jupp” Kompalla

*1936
Legendärer Eishockey Schiedsrichter

Jupp Kompalla vollzog den Wandel vom raubeinigen Verteidiger bei Preußen Krefeld zum weltweit anerkannten Schiedsrichter. Seine Souveränität und charismatische Art verhalf ihm zu Einsätzen bei 9 A-Weltmeisterschaften sowie der sogenannten Summit Series zwischen Kanada und der UdSSR 1972 und 1974 – sowie zu einer gemeinsamen Zigarre mit Leonid Breschnew.

Kurzbiografie

  •  Geboren 1939 in Kattowitz
  • 1950er-Jahre Jugendspieler bei Gwardia Kattowitz
  • 1958 Polnischer Eishockeymeister
  • 1958 Übersiedlung nach Krefeld
  • 1958-1969 Spieler bei Preußen Krefeld
  • Ab den 1960er-Jahren stand Kompalla im Dienste der Stadt Krefeld
  • 1972-1986 Schiedsrichter bei insg. neun A-Weltmeisterschaften; Vergleichsspielen Kanada vs. UdSSR 1972 und 1974
  • 1976, 1980 und 1984 Schiedsrichter bei den Olympischen Spielen
  • 1997-2006 Mitglied im Schiedsrichterausschuss des DEB
  • Seit 2003 Mitglied der IIHF Hall of Fame

Jupp Kompalla über …

  • … seine Kindheit in Polen und Anfänge in Krefeld

    „Wir wollten aussiedeln aus Polen nach Deutschland, weil wir Deutsche waren. Ich bin im Kindergarten, erste, zweite und dritte Klasse, in die deutsche Schule gegangen. Und dann kam Polen und ich bin sitzen geblieben, weil ich kein Wort Polnisch sprach. Wir haben zu Hause immer Deutsch gesprochen. Und mein Vater hat gesagt, wenn ich was auf Polnisch sagte: ‚Zuhause wird Deutsch gesprochen!‘ Und Gott sei Dank habe ich das gemacht. Und Russisch habe ich in Polen gelernt. Jeden Tag war eine Stunde in der Schule Russisch. Ich habe gesagt: ‚Will ich nicht!‘ Dann kam die Lehrerin und sagte: ‚Hinter die Tür!‘ Und dann, nach einem halben Jahr, hat sie zu meiner Mutter gesagt: ‚Wenn der Kompalla sich in Russisch nicht verbessert, kommt er nicht weiter.‘ Und dann habe ich gepaukt und dann bin ich weitergekommen, und das kam mir im Sport unheimlich zugute.
    In Deutschland hat mir der Verein Preußen Krefeld Arbeit besorgt. Ich bin gelernter Autoschlosser. Das hab ich nicht verbunden, weil ich so viel wegmusste, wegen der Spiele. Und da haben sie gefragt: ‚Wollen sie Eishockey spielen oder arbeiten?‘ Da habe ich gesagt: ‚Ich will Eishockey spielen.‘ Damals gab es ja kein Geld. Das habe ich nebenbei alles gemacht. Früher habe ich gearbeitet. Abends war ich Barkeeper in einem Nachtlokal in Krefeld. Der Chef war ein begeisterter Eishockey-Fan. Und dann habe ich das Angebot bekommen, nach Südafrika zu gehen. Und dann habe ich gesagt: ‚Ich gehe ein halbes Jahr nach Südafrika.‘ Als ich zurückgekommen bin, habe ich mir etwas anderes gesucht, bei der Stadt.“

  • … den Startschuss für die Karriere als Schiedsrichter

    „1968 bin ich zu den Olympischen Spielen nach Grenoble als Zuschauer gefahren. Dort war ein deutscher Schiedsrichter, den habe ich angeguckt. Ich bin dann mit dem Auto zurück. In der Gaststätte dort in Krefeld war ein Lehrgang. Und da sagt der Schiedsrichter Obmann: ‚Komm doch zum Schiedsrichterlehrgang. Du brauchst keine Tests machen. Praxis, Schlittschuhlaufen und Theorie kannst du alles.‘ Da habe ich mich überreden lassen. Dort waren so 30 oder 20 Teilnehmer damals und ich habe dann bestanden. Nun, dann habe ich meine ersten Spiele bekommen. Erst Knaben, Schüler und so. Und dann sagte ich, ich war 33: ‚Nein, ich spiele noch weiter Eishockey.‘ Da hat mir damals der Obmann aus Landshut, Herr Zeller, einen Brief geschrieben: Jupp, wir haben dich beobachtet. Du hast das Zeug. Spielen kannst du vielleicht noch zwei Jahre. Wie wäre es als Schiedsrichter?
    Da bin ich mal einen Abend im Park gesessen und habe überlegt: Spielen oder Schiedsrichter? Dann habe ich mich entschieden. Ach, mache ich Schiedsrichter. Dann habe ich zugesagt, das war 1970. Und dann habe ich immer schon Juniorenspiele bekommen, dann Regionalliga und 1970 kriegte ich meine internationale Lizenz und habe Europacup gepfiffen.

    Und 1972 kriege ich ein Schreiben vom internationalen Verband. Die Deutschen haben mich eingeladen zur Weltmeisterschaft nach Prag, A-Gruppe. Ich dachte, sind die verrückt geworden? A-Gruppe? Das waren ja nur zwölf Hauptschiedsrichter mit Linesmen. Ich sage: ‚Ich fahre mal hin.‘ Dann habe ich beim ersten Spiel die Scheibe eingeworfen, da zittern mir die Knie. Nun, dann habe ich mich da durchgeschlagen. Der Spiegel schrieb damals: Der Senkrechtstarter aus Krefeld. Ich habe zwölf Spiele, die meisten Spiele gepfiffen. Prag war praktisch mein Start.

    1972 wurde ich nach Kanada eingeladen. Da waren damals die Spiele Russland, Kanada, die Profis, die Spiele des Jahrhunderts. Vier Spiele in Kanada und vier Spiele in Moskau. Da bin ich nach Kanada. Dort sind wir 14 Tage vorher hingefahren, haben am Lehrgang teilgenommen und sie haben uns gedrillt. Dann habe ich mein erstes Spiel gepfiffen in Québec. Beim Face-off gab mir die Scheibe damals der Präsident Trudeau. Dann habe ich eingeworfen, und dann bin ich von Québec nach Ottawa. Dann nach Winnipeg und dann nach Edmonton. Und dann habe ich zwei Exhibition-Games gepfiffen, zwischen zwei kanadischen Mannschaften. In Saskatoon und in Regina. Dann waren wir in Vancouver. Und dann sind wir zurückgeflogen nach Stockholm. Dort habe ich zwei Spiele gepfiffen: Schweden-Kanada in Stockholm. Von dort aus sind wir nach Moskau geflogen. Und in Moskau, bei allen vier Spielen, habe ich das entscheidende Spiel gepfiffen, wo die Kanadier gewonnen haben. Die haben die Serie gewonnen. Da gib es ein berühmtes Bild. Ich stehe als Schiedsrichter vor dem Spieler. Der Spieler will auf mich losgehen mit dem Schläger. Aber er hat nicht zugeschlagen. Und dann war da ein Palaver. Der kanadische Trainer hat die Bank aufs Eis geworfen und ich habe gesagt: ‚Spielt ihr jetzt weiter oder was? Die ganze Welt schaut zu!‘ Das waren die russischen Profis und die Amerikaner, die besten Spieler.“

  • … die Lex Kompalla in Krefeld

    Für Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften hat mich die Stadt bezahlt freigestellt. Und außerdem habe ich noch dreißig Tage Urlaub gehabt. Die haben gesagt: ‚Du hast eine Lex Kompalla.‘ Ich habe im Sportamt gearbeitet. Bis ein Uhr am Mittag am Eis, jeden Tag. Darum brauchte ich auch nicht so viel trainieren, weil ich jeden Tag am Eis war. Und am Nachmittag war ich beim Sport. Dann habe ich Tennis gemacht, dann bin ich zum Tennisturnier. Oder etwas, was mit Schulsport zu tun hat, Basketball oder so.“

  • … eine Zigarre mit Breschnew

    „Ich habe bei der Weltmeisterschaft in Sankt Petersburg früher zum Beispiel mit Putin gesprochen. Er hat gesagt: ‚Wir kennen uns. Ich habe Sie gesehen, im Fernsehen.‘ Er spricht sehr gut Deutsch, der Putin. Und zu Breschnew, da wollte ich erzählen: Wir wollten zur Besichtigung, zum Kreml und zum Mausoleum. Das war nicht immer offen, es war zu. Aber vom russischen Sport haben die gesagt: ‚Wir machen das klar mit dir.‘ Der Kreml, der ganze Platz. Ich ging mit einem Soldaten zum Mausoleum. Und da habe ich Lenin gesehen, Stalin hat da auch gelegen. Und dann zurück. Und einmal war ich beim Iswestija-Cup. Da war der Breschnew vorher gestorben. Ich habe ein Jahr vorher mit Breschnew auf der Tribüne, als ich frei hatte, mit ihm eine Zigarre geraucht im Luschniki-Palast. Und ein Jahr, zwei Jahre, später, da war er tot. Da war ich ja auch in Moskau. Ich wollte zum Grab. Weil er dort in der Mauer war. ‚Nun ja, machen wir.‘ Dann bin ich gefahren, mit dem Polizisten zum Mausoleum. Noch alleine am Grab wollte ich fotografieren. Da sagt er: ‚Geht nicht, da sind alles Kameras. Kann ich nicht.‘ Und dann trug ich den Mantel von den Olympischen Spielen mit dem Bundesadler. Und wie ich zurückgekommen bin, durch die Zäune, sagen deutsche Touristen: ‚Kompalla müsste man heißen, dann kommt man überall rein.‘“

  • … Eigenschaften eines erfolgreichen Schiedsrichters

    „Ich bin damit zufrieden, was ich in meinem Leben erreicht habe. Man muss mit dem Herzen dabei sein. Man muss jede Aktion verarbeiten und auch aus Fehlern lernen. Wenn ich mit dem Auto nach Hause gefahren bin, dann bin ich das Spiel im Kopf noch einmal durchgegangen: Warst du zu kleinlich, zu großzügig? Ich habe auch meine Linesmen gefragt: ‚Habt ihr etwas gesehen? Und wenn da was war, dann meldet euch.‘ Ich habe das ja nicht alleine gemacht. Ich habe ja noch Leute, die mir helfen. Ich bin nicht der Kompalla. Ich habe ja noch zwei, die zu meinem Gespann zählen. Wenn die Mist sind, bin ich auch Mist. Ich habe die auch gelobt in der Kabine im Drittel: ‚Gut gemacht!‘ Oder: ‚Das hast du dort nicht gesehen.‘

    Ich hatte wenig mit den Offiziellen zu tun. Wenn jemand mich sprechen wollte, dann habe ich gesagt: ‚Bitte nicht. Nach dem Spiel.‘ Und dasselbe, wenn ein Trainer beim Spiel mich sprechen wollte, dann habe ich gesagt: ‚Später können sie mich sprechen.‘ Denn in dem Moment hat der Wut. Dann hätte er mir was gesagt. Und dann, eine Viertelstunde später, dann sagt er: ‚Nee, es war nichts.‘ Man muss nicht, wo es brennt, noch Feuer reingeben. Man muss löschen. Eishockey, das ist ein Kampfsport, das sind Kämpfer. Die haben eine Waffe, die Schläger, Verletzungen und so. Gut, die Regeln sind jetzt ein bisschen strenger geworden und auch gefährlicher durch die Plastikscheiben. Früher prallte einer gegen die Bande, da ging der Kopf noch rüber und nichts war. Und heute, wenn er dagegen prallt, dann prallt der gegen Plastik und gegen die Wirbelsäule. Es ist schon gefährlich. Man muss immer sagen: Die haben eine Waffe. Beim Fußball, das sind die Spinner. Die fallen wie die Fliegen und haben nichts. Dafür müsste man Gelb zeigen. Gut, beim Fußball wurde durch Video mit dem Abseits geholfen. Aber vielleicht brauchen wir in zehn, zwanzig Jahren keine Schiedsrichter mehr. Alles machen Computer. Oder es sitzt einer oben, der kriegt einen Impuls im Gehirn, wenn es Foulspiel ist.“ 

  • … Haare im Wind und lange Autofahrten

    „Mein Vater spielte Handball. Das wusste ich von Erzählungen. Der war ganz stolz, dass ich Eishockey spielte. Der hat sich hinter der Bande manchmal mit Leuten gezankt. Ich habe ihm gesagt: ‚Wenn du noch mal zum Spiel kommst, dann hältst du die Klappe und zankst dich dort nicht rum!‘ Früher gab es ja kein Plastik, nur so Drahtnetze herum. Aber er war ganz stolz auf mich, wie ich die erste Weltmeisterschaft gepfiffen habe. Da hatte mir Mutter erzählt, dass sie extra einen Fernseher gekauft haben, weil ich dort in Prag zwölf Spiele gepfiffen habe. Das war mein internationaler Grundstein.
    Wir pfiffen auch früher ohne Helme. Das war das Schöne, der Wind, Frisur, kurze Haare. Heute Panzer und Plastik. Heute wissen sie gar nicht, wer pfeift. Früher hatten wir Namen hinten gehabt und Nummern. Ich habe mit der IIHF telefoniert. Die hatten einen Guide rausgebracht und letztens bin ich da noch mit den meisten internationalen Turnieren. Aber ich bin auf dem Teppich geblieben. Ich habe mich immer gefreut auf das nächste Spiel. Ich habe Menschen dadurch kennengelernt, Städte in Deutschland und überall. Es gibt Leute, die kennen nur Krefeld und nichts weiter. Die waren nicht in Berlin, die waren nicht in Frankfurt, nicht in Hamburg.
    Manchmal, um Geld zu sparen, habe ich im Auto geschlafen. Ich bin auf der Autobahn gefahren, Raststätte raus und Nickerchen gemacht. Oder wenn ich kaputt war, dann bin ich auch mal mit dem vorderen Reifen an die Leitplanken. Also auch ein bisschen müde. Ich habe manchmal gearbeitet, dann abends zu Spielen nach Landshut. 600 Kilometer nach Landshut, Spiel gepfiffen, Tasse Kaffee und 600 zurück und dann wieder zur Arbeit.“

Von Kattowitz nach Krefeld

Trainer- oder Schiedsrichtertätigkeit?!

Summit Series 1972

Erfolgsrezept á la Kompalla


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Reinhard Rasch

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Reinhard Rasch

*1949
Langjähriger Leiter des Sport- und Bäderamtes in Paderborn

Als Jugendlicher bestach Reinhard Rasch durch läuferische Qualitäten auf der Mittelstrecke. Auch im Berufsleben blieb er dem Sport erhalten: Der Diplom-Verwaltungswirt leitete für viele Jahre das Sport- und Bäderamt der Stadt Paderborn.

Kurzbiografie

  • Geboren 1949 in Gütersloh
  • 1968 Westfalen-Meister 3×1.000m mit dem Gütersloher TV
  • 1971 1. Platz Westfalenmeisterschaft 4x800m (Westfalenrekord)
  • 1973 Abschluss zum Diplom-Verwaltungswirt, Stadt Gütersloh
  • 1974 Staatlich geprüfter Sportlehrer für Leichtathletik, DSHS Köln
  • 1974 1. Platz 10km, 28.Int. Paderborner Osterlauf
  • 1974-2013 Angestellter der Stadt Paderborn, ab 1980 Leiter Sport- und Bäderamt
  • 1994-2021 Deutsche Gesellschaft für das Badewesen e. V.
  • 1996-2017 Geschäftsführer Förderverein Pro Leistungssport Paderborn e. V.

Reinhard Rasch über …

  • … Erinnerungen an die britische Besatzung und seine Kindheit in Gütersloh

    „Ich bin am 11. Juli 1949 in Gütersloh geboren und habe also die Nachkriegszeit noch in guter Erinnerung. Ich habe mit meinen Eltern im alten Gütersloher Rathaus mitten in der Innenstadt gewohnt. Und kann mich noch daran erinnern, wie Pferdewagen mit dem Milchkanister dahinter durch die Stadt gefahren sind und Milch verkauft haben. Ich kann mich auch daran erinnern, als die englischen Besatzungskräfte ihre Übungen und Manöver innerhalb des Stadtgebietes abgehalten haben. Und bei uns vor dem Schlafzimmerfenster, ich habe es aufgemacht und auf einmal sehe ich da im Grunde genommen einen englischen Soldaten, dann hinter der Hecke liegen, im Anschlag.  Das sind also die Dinge, die irgendwann ich schätze mal um 1952/53, in der in der Zeit gelaufen sind. Ich war im Kindergarten fast genau vor der Haustür. 300 Meter von Zuhause weg und bin dann 1956 in die Grundschule gekommen, damals noch Volksschule. Und habe dort die ersten Kontakte zum Sport gefunden, wie das so üblich ist in dieser Zeit zum Turnen. Die Turnhalle war auch nur 500, 600 Meter von Zuhause weg. Es war eine typische alte Turnhalle, hieß auch Jahn-Turnhalle. War aber so groß wie eine ballspielgerechte Zweifachhalle. Mit altem – ich weiß nicht, ob es Holzleimbinder, dann zu dem Zeitpunkt schon gegeben hat? Aber das Interessante dabei: Es war komplett ein Sägemehlboden. Und nachdem ich also dann im Turnen das eine oder andere an Gaumeisterschaften auch mal mitgemacht habe hat es mir aber nachher keinen Spaß mehr gemacht. Das hat den Grund, durch den Wechsel zur Realschule hatte ich natürlich einen völlig anderen Freundeskreis bekommen, die dann auch der der Leichtathletik gefrönt haben. Und da war für mich die eigentlich die Entscheidung ich will nicht mehr Turnen, sondern ich möchte also lieber Leichtathletik betreiben und zwar das Laufen. Meine Eltern haben gesagt: ‚Du bist und bleibst jetzt im Turnverein, da bist du drin, da hat es dir immer gefallen!‘ Aber die eigenen Neigungen sollten Eltern auch berücksichtigen. Dass man also auch dann das macht, was Spaß macht. Ich durfte also nicht zur Leichtathletik. Ich durfte auch nicht zum Fußball und habe dann den Umweg gewählt über die Sportabzeichen-Abnahmen, die sicherlich etwas weiter außerhalb des Gütersloher Kernstadtbereiches waren. Aber ich dachte auch: Da kannst du doch mitlaufen und kannst dann also auch vielleicht das eine oder andere dann machen. Denn in der Zeit oder bis zu diesem Zeitpunkt habe ich also andere Kinder in der Innenstadt herausgefordert und gesagt: ‚Lass uns doch mal um unsere Martin-Luther-Kirche in der Innenstadt rumlaufen!‘ Und habe dann auch so Rundenläufe gemacht. Und dann auch so Ausscheidungsrennen. Klar, die Veranlagung war dann vorhanden und dadurch hat man natürlich auch diese Läufe gewonnen. War so ein bisschen auch Selbstzweck. Und das Gleiche ist dann auch in den Pausen in der Grundschule gelaufen. Mit dem mit dem ähnlichen sportlichen Erfolg, aber auch mit der Situation, dass ich mehr oder weniger verschwitzt dann im Klassenraum gesessen habe und Lehrer und Lehrerinnen einen natürlich entsprechend angeguckt haben.“

  • … den informellen Sport in Paderborn

    „Ab Anfang der 70er-Jahre war natürlich die Trimm-Aktion in Deutschland, die der Deutsche Sportbund initiiert hatte, entsprechend bekannt. Und da war es natürlich die Zielsetzung, die Inhalte und die Möglichkeiten entsprechend dann auch noch nach außen zu tragen. Wir sind 1974 damit angefangen, dass wir uns beim Deutschen Leichtathletik-Verband haben eintragen lassen, als 66. oder 68. Lauftreff. Den wir dann entsprechend betreut haben mit der LG Paderborn. Es war damals ein großes Problem, dann Übungsleiter zu gewinnen und vor allen Dingen eine große Akzeptanz zu erreichen. Man ist es ja gewohnt, dass man läuft. Nicht draußen auf der Straße oder in Parks, sondern dass man auf der Rundbahn etwas macht. Aber damit kann ich keine Leute begeistern. Und wenn man dann also die Bevölkerungsentwicklung in Paderborn sieht. Das sind also 50 Prozent oder 50.000 Einwohner bis 2014 mehr geworden, seit der Neugliederung. Und das ist immer ein kontinuierlicher Prozess gewesen. Und dann hat man natürlich nicht die entsprechenden normierten Sportanlagen da, sondern muss ja sehen, wie man dann möglicherweise über informelle Sportangebote, hier dem noch nicht in dem Maße vorhandenen Sportbedürfnis der Bevölkerung auch nachgekommen ist. Aber es ist uns auch gelungen, und die Lauftreffs haben sich entsprechender Nachfrage erfreut. Ich habe selbst damals noch in Gütersloh gewohnt und bin mit meiner damaligen Freundin dann samstags dann immer noch von Gütersloh aus nach Paderborn zum Lauftreff gefahren und habe die Gruppen entsprechend dann auch betreut. Und das läuft nach wie vor. Ich kann jetzt nicht sagen, an wievielen Standorten in Paderborn. Das lief aber sehr gut. Und daraus hat sich dann vor allen Dingen auch mit Heinz Nixdorf zusammen, dann entwickelt, dass wir angefangen haben Laufpfade, die wir an den Paderborner Fischteichen fast im Innenstadtbereich haben, beleuchtet haben. Man hat uns für verrückt erklärt, aber uns kam es natürlich auch als Läufer und für die Trainingsgruppen entsprechend zugute, dass wir eine entsprechende Beleuchtungsanlage dann hatten.“

  • … Sponsoring und den Einfluss von Heinz Nixdorf

    „Ende der 1970er-Jahre kam die Sache mit Sponsoring dann auf. Es war nicht einfach, Firmen zu begeistern, weil man dieses Feld von Sponsoring mit seinen Möglichkeiten in dem Maße noch gar nicht richtig überschaut hat. Welche Möglichkeiten bestehen? Heinz Nixdorf ist einer gewesen, der, weil er ja nun auch aus der Leichtathletik kommt, von vornherein gesagt hat: ‚Wir müssen hier was tun!‘ Er hat auch der Kommune entsprechend, dann auf die Füße getreten, also eben: ‚Ihr müsste also was machen!‘ Und er ist derjenige gewesen, der in Paderborn als Mentor viele Dinge dann initiiert hat mit dem Ahornsportpark, mit der der Förderung der Leichtathletik auch. Und da hat es natürlich dann, auch ein großes Problem gegeben. Ich war ja seinerzeit auch in dem Vorstand vom LC Paderborn. Die Schwierigkeit, dass immer dann von anderen Firmen da draufgeschaut worden ist: ‚Wir brauchen ja für euch nichts zu tun. Ihr habt ja Heinz Nixdorf.‘ Heinz Nixdorf hat nie großen Wert daraufgelegt, auf reines Sponsoring, wie wir das heute sehen, sondern das war schon mehr ein Mäzenatentum. Ich sage jetzt mal bewusst von einer privaten und persönlichen Verrücktheit geprägt. Aber ein Idealist und ein Förderer, wie er im Buche steht.
    Wir haben natürlich dann in den Jahren mehr Möglichkeiten, dann auch gemacht. Ich kann mich an einer Sache erinnern, dass wir als Sportamt nicht gesponsert worden sind, aber unterstützt worden sind, indem wir also irgendwann schon Mitte der 90er-Jahre oder in den 92er, 93er-Jahren, eine Ausstattung von einer Firma mit Computern bekommen haben. Und da war die Zielsetzung nur: Mach ein Bild in der Tagespresse mit dem Dezernenten. Und unsere Kämmerei, der Kämmereileiter ging natürlich in die Luft: Wie etwas Derartiges den denn sein könnte, dass wir mit so etwas an die Presse gehen würden. Aber da haben wir im Grunde genommen keine Scheu gehabt. Und wir hatten Anfang der 90er-Jahre auch dann mit dem jetzigen Geschäftsführer des SC Paderborn, der bei uns jahrelang gearbeitet hat, ein Konzept entwickelt sportliche Großveranstaltungen als Teil kommunalen Marketings. Und wenn man also derartige Dinge dann nicht gemeinsam mit Sponsoren und Mitfanziers macht, da hat man natürlich schlechte Karten und kommt nicht rein. Und da ist uns natürlich wirklich das eine oder andere gelungen, mit Hallenhandball, oder Basketball, Supercup. Wir hatten etliche andere Länderspiele. Und das lässt sich über Finanzen der Stadt nicht alleine erreichen. Ein Problem ist natürlich auch, dass man dann innerhalb der Verwaltung natürlich dann entsprechende Neider hat die auf einen schauen: ‚Ihr steht ja schon wieder in der Zeitung.‘ Da steht man dann also mit Michael Stich und Jim Courier, den hatten wir zu einem Schaukampf, dann eingeladen, dann drin. Und dann wird man natürlich entsprechend komisch angeschaut. Aber das hat uns alles wie man so schön sagt, nicht gejuckt. Wir sind unseren Weg gegangen und haben letztendlich den Paderborner Sport auch gemeinsam mit vielen anderen Aktivitäten unterstütz.“

  • … die Bedeutung interkommunaler Zusammenarbeit der Sportämter in Ostwestfalen

    „Wenn man relativ frisch nach Verwaltungsausbildung und nach einer sportfachlichen Ausbildung, dann in die Sportverwaltung kommt. Ist es natürlich ein Bereich, den, denen man nicht lernen, vorher nicht lernen kann. Sondern da kommt es natürlich darauf an, dass die Altvorderen einem entsprechende Tipps und Ratschläge geben, wie man Probleme dann auch angeht. Und mein Vorgänger Heinz Bergmann, der ist also bei einer Sportamtsleitertagung in Bielefeld gewesen, und ich bin dann danach nach Lüneburg und bei jeder Sportamtsleitertagung gewesen und habe dort auch festgestellt, dass man dann in diesem Kreis, der Altvorderen dann sehr positiv als junger Spund aufgenommen worden ist. Und was man dort also an Erfahrungspotenzial für seine eigenen Tätigkeiten mitnehmen kann, dass ist also enorm. Und das hat mich dann also auch dazu bewegt, dass dann die Fragestellung dann kam: Wie geht das denn aus? Wir müssen uns also auch entsprechend klein gegliederter darstellen. Sodass ich also auch dann, wenn auch nicht den Vorsitz, aber dann auch den stellvertretenden übernommen habe in der Arbeitsgruppe der ostwestfälischen Sportamtsleiter. Weil mir also auch vor allen Dingen klar war — Sportentwicklung kann alleine nicht eine lokale Seite sein. Die muss also zumindest auch eine gewisse regionale Seite haben, dass man sich darauf abstimmt, auf bestimmte Aktivitäten. Und natürlich auch entsprechend austauscht. Und dadurch haben wir uns also auch regelmäßig in Ostwestfalen mit den Kollegen und Kolleginnen dann auch ausgetauscht. Das war also auch gut bis hin zu der gesamten Entwicklung, die dann war, was die Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit dann auch betrifft. Dass man also auch dann wirklich sportpolitisch für die Region etwas gemacht, da ging das um eine regionale Sportschule. Es ging dann um die Sport- und Gesundheitsregion Ostwestfalen. Bis Paderborn dann eben auch Standort einer regionalen Sportschule wurde. Jetzt mittlerweile mit Sportinternat. Das ist natürlich dann positiv für Paderborn gewesen, aber auch das lässt sich da nur entsprechend interkommunal dann Regeln. Das der eine vom anderen weiß, was los ist. Damit nicht alle nebeneinander her planen und damit auch entsprechende Geld verbrannt werden könnte.“

  • … Bäderentwicklung ab den 1990er-Jahren

    „Mit den ersten Kontakten zum Verein Deutscher Bäderfachmänner, da war erst die Tendenz so Ende der 80er-Jahre: ‚Wir brauchen keine kleinen Bäder mehr.‘ Diese kleinen Schulbäder diese Kisten, die bringen uns überhaupt nichts. Wir müssen also große Bäder haben. Und da haben wir in Paderborn schon die Meinung vertreten, dass wir gerade angesichts der demografischen Veränderungen und des Freizeitverhaltens sehen müssen, dass wir klein gegliederte Bäderbereich haben müssen. Denn die damals entstandenen Freizeitbäder, die hatten im Grunde alle Möglichkeiten, nur nicht zum Schwimmen oder zum Schwimmen lernen. Und das haben wir dann auch entsprechend vertreten. Und dieses Schulschwimm-Hallenbad, das mit 16 2/3 mal acht Meter, das ist mittlerweile zum dritten Mal modernisiert worden. Das ist also irgendwann entstanden, am Ende der 60er-Jahre und erfüllt nach wie vor seinen entsprechenden Zweck. Was will ich mit einem 50 Meter Hallenbad, wo möglicherweise kein Hubboden mehr drin ist, wo es also im Grunde genommen einen festen 80, 90 Zentimeter Nichtschwimmerbereich gibt, der dann zum Schwimmen nicht geeignet ist, dann ist immer die Leine noch dazwischen. Also das sind die Dinge, die dann gewesen sind. Und dann kommt natürlich noch eins drauf, und das sind auch dann die die eigenen Erfahrungen dann auch. Die aber im Nachhinein bundesweit überall festzustellen sind. Wenn man dann angesichts von Bäderentwicklungsplanungen auch Sanierungskonzepte mit integrierter hat, dann hat man also festgestellt: ‚Nein, da haben wir kein Geld für. Das geht nicht! Das machen wir nicht.‘ Und so ist die Situation. Wir sehen es ja heutzutage noch an der Brücke in Lüdenscheid. Es ist also etliches nicht investiert worden für Sanierungsarbeiten. Man hat zwar entsprechende Wirtschaftspläne gehabt, wo auch Abschreibungen mitenthalten waren. Aber die Abschreibungen sind nie in den Bäderbetrieben geblieben, sondern die sind dann mehr oder weniger im Gesamthaushalt verfrühstückt worden, damit der Kämmerer ein entsprechend die Luft für andere Sachen dann hatte. Und ich kann mir in meiner Situation damals so ein bisschen komisch vor, wenn man das Ganze betriebswirtschaftlich dann eigentlich anpackt und betreiben will, dass man dann mehr oder weniger auf sich alleine gestellt ist. Und mir ist danach auch mal gesagt worden: ‚Naja, wir finanzieren das schon. Betriebswirtschaftliche Aspekte spielen nicht unbedingt die Rolle.‘“

Trainingsumfeld im Gütersloher Turnverein

Vom Osterlauf zur beruflichen Passion

Wandlungsprozesse in der Paderborner Bäderlandschaft

Bürgernah und Kellerbar

Leitmotiv der Paderborner Sportstättenentwicklung


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Thomas und Andreas Steinmeier

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Thomas und Andreas Steinmeier

*1958
Weltmeisterliches Radball-Duo

Die Zwillinge Andreas und Thomas Steinmeier zählten in den 1980er und 1990er Jahren zur Elite des internationalen Radballsports: Drei WM- und vier Europapokaltitel stehen auf dem Erfolgskonto der gebürtigen Liemer, die sich im Duett auch acht nationale Meisterschaften erspielten.

Kurzbiografie

  • Geboren 1958 in Lemgo-Lieme
  • 1970 Eintritt in den Verein RSV „Tempo“ Lieme
  • 1975 Deutsche Jugendmeister
  • 1976 Jugend-Europapokalsieger
  • 1980-1984 Andreas studiert an der Fachhochschule Lippe mit dem Abschluss zum Diplom-Betriebswirt – sein Bruder Thomas besucht die DSHS Köln mit dem Abschluss zum Diplomsportlehrer
  • Zwischen 1981 und 1994 – 6x Bundespokal-Sieger
  • Zwischen 1982 und 1995 – 8x Deutscher Meister
  • 1982, 1983 und 1990 Weltmeister
  • 1984, 1986, 1990 und 1992 Europapokal-Sieger
  • 2015-2020 Bankhaus Lampe in Frankfurt (Andreas)
  • 2017-heute Key Account Manager bei KAM Experts (Thomas)

Thomas und Andreas Steinmeier über …

  • … Vereinsleben und soziales Miteinander

    Andreas Steinmeier (AS): „Was wir wahrgenommen haben, das war die Unterstützung des Vereins. Wir waren nicht arm, kamen aber aus bescheidenen Verhältnissen. Viele Leute aus dem Verein haben uns zu den Sportveranstaltungen gefahren. Radball ist ja keine Sportart, die von Dorf zu Dorf gespielt wird. Man fährt auch schon mal 100 oder 200 Kilometer. Viele aus dem Verein haben sich sehr für uns engagiert.
    Das Soziale war natürlich sehr ausgeprägt in einem so kleinen Verein in Lemgo-Lieme. Der Verein selbst wurde 1910 gegründet und in den 60er-/70er- und 80er-Jahren hat man sich dann ausschließlich auf Hallenradsport konzentriert. Auf der einen Seite Radball, und Radkunstfahren auf der anderen Seite. Das Vereinsleben hat uns zu dieser Zeit sehr geprägt.

    Thomas Steinmeier (TS): Die Leistungsorientierung ist im Sport auch ein großes Thema gewesen. Man merkt dann, dass es gut klappt mit dieser Sportart. Dann möchte man auch gegen die anderen Spielen und auch mal ein Radballspiel gewinnen. Diese Leistungsmotivation spielt im Sport eine große Rolle, aber das ist es eben nicht alleine. Wenn man aus so einer Vereinsumgebung kommt wie dem Radsportverein ‚Tempo‘ Lieme, dann bekommt man ja auch mit, dass es mal soziale Spannungen gibt. Vielleich wurde etwas gestohlen aus dem Umkleideraum oder dass es dem einem vielleicht mal nicht so gut geht, weil die Eltern die Reise nicht finanzieren können. Man bekommt in dieser Zeit auch eine ganz starke soziale Prägung. Später, im beruflichen Leben merkt man, dass man so eine Leistungsorientierung hat. Das erfährt man auch bei anderen Kollegen, die aus Sportvereinen kommen. Die haben auch eine Teamorientierung, denn die können ja auch im Training ohne den Gegner zu Hause gar nicht vernünftig trainieren. Denn beides spielt eine große Rolle. Das ist eine Prägung, an die man sich erinnert und die man dann hinterher verinnerlicht.“

  • … die Technik hinter dem Radballspiel

    AS: „Wie spielt man Radball? Durch diesen gebogenen Lenker nach vorne und durch die Bewegung des Lenkers in eine Richtung, bewegt sich natürlich auch das Vorderrad in die eine oder andere Richtung. Man schießt, indem man das Lenkrad ruckartig bewegt und mit dem Pedal tritt und so nach vorne Druck bringt. Das sorgt dafür, dass so ein Radball mit 80 km/h fliegt. Es ist nicht so schnell wie ein Fußball oder Handball. Es ist aber auch ein wesentlich kleineres Sportfeld. Es ist 14 Meter lang und elf Meter breit. Es spielen zwei Mannschaften gegeneinander, jeweils zwei Personen. Der Radball ist etwas kleiner als ein Handball. Aber erheblich schwerer und er ist ausgestopft. Wenn man diesen Ball dann aus der optimalen Schußentfernung, die 3,50 Meter betrifft, mit 80 km/h abbekommt, dann ist das nicht schön. Da fällt man auch schon mal vom Rad. Dieser Ball hat dann eine unglaubliche Wucht, er springt ja auch kaum hoch, wenn man ihn fallen lässt.
    Es dauert für einen elf- bis zwölfjährigen Jungen wenigstens zwei Jahre, bis er endlich in der Lage ist, ein Spiel gegen einen Gegner zu führen, wo nicht alle sagen: ‚Wie schrecklich ist das denn?‘ Das heißt, man muss den Ball schießen, den Ball bewegen und bloß nicht vom Rad fallen, das ist die hohe Kunst.
    Es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, die häufiger vom Rad gefallen sind als wir beide. Man stürzt sehr viel. Aber was Radball ausmacht, sind Geschwindigkeit und Technik. Man muss sich klar werden, dass die Spieldauer zweimal sieben Minuten beträgt. Und dann ist man völlig erschöpft. Es ist physisch kaum möglich, mehr als vier-fünf konzentrierte Radballspiele an einem Tag zu machen, obwohl die Spielzeit nur zweimal sieben Minuten ist. Das macht den Sport für mich aus. Und natürlich ist es als Mannschaftssport sehr anspruchsvoll. Es macht aber auch sehr viel Spaß.

    TS: Es ist hart, es ist ruppig, es gibt auch Kontakte. Man ist permanent im Kontakt mit dem Gegner. Eishockey ist vielleicht auch von seiner Ruppigkeit ähnlich, es ist auch sehr komplex. Es braucht natürlich auch eine gute Vereinssituation, dass man das durchhält. Aber wenn man es dann mal angefangen hat, kommt man schlecht wieder davon los, dann ist man infiziert.“

  • … Vor- und Nachteile des Amateursports

    TS: „Radball wurde damals schon als Randsportart bezeichnet und das ist es auch geblieben. Es hat mich immer sehr verbittert, dass es nie olympisch geworden ist.
    Auch in der Zeit, als Olympia noch Amateursport war. Das kam erst in den 80er-Jahren, als das komplett kommerzialisiert worden ist. Früher hieß es: Die Jugend der Welt trifft sich – und es waren Amateure. Dann kam dieser Wettkampf mit diesen unsäglichen Medaillenlisten, dass der Osten eben da besser war. Und dann wollte der Westen mit Steffi Graf, Boris Becker und mit dem Fußball auch hinterher. Früher war Olympia ein Festival der Amateure und Radball war auch immer ein Amateursport und ist es heute auch geblieben.
    Der besondere Vorteil von diesem Amateurstatus sind die intensiven Beziehungen zu Sportlern aus dem Ausland. Der Nachteil ist, dass es eben kommerziell nicht so viel bringt.
    Das ist eine Sportart, da geht es nicht um Millionen, sondern um den Sport. Da geht es auch ein bisschen um die Ehre oder das Gesicht, was man verlieren könnte. Da geht es aber auch darum, dass man abends zusammen feiert. Wir haben heute noch mit Sportlern aus Österreich, der Schweiz oder dem Schwarzwald kontakt. Mit denen gehen wir immer noch zusammen Ski fahren. Eigentlich sind es Gegner gewesen, die wir auf dem Radballfeld kennengelernt haben, wo die Beziehung so intensiv geworden sind, dass man nach vielen Jahren sagt: ‚Lass uns doch mal einmal im Jahr treffen. Wir gehen mal drei Tage Skilaufen ins Montafon.‘ Und diese Freundschaften, die haben den einzigen Hintergrund, dass wir uns im sportlichen Bereich miteinander auseinandergesetzt haben. Vielleicht ist das ein Vorteil gegenüber den kommerziell so interessanten Sportarten.“

  • … mediale Aufmerksamkeit und Beziehungen zwischen Ost und West

    AS: „Mitte der Achtziger wurde auch Hallenradsport relativ häufig im Fernsehen gezeigt. Das hat damit zu tun gehabt, dass die dominierende Mannschaft der Welt das lange Zeit ungeschlagene tschechische Brüderpaar war, was wir in Wiesbaden 1982 bei der Weltmeisterschaft geschlagen haben. Es gab damals noch die Blöcke – den Ostblock und den Westblock. Das war halt für bestimmte Zeitgenossen besonders wichtig, dass man gegen den Ostblock gewonnen hat. Das Verrückte ist nur, wenn wir in der Tschechoslowakei gespielt haben, dann gab es von uns nur Sympathie für die Sportler aus der Tschechoslowakei und auch gegenüber der DDR-Sportler, die wir da kennengelernt haben. Da musste man auch mal einen Vorhang ziehen, da gab es schon Aufpasser. Das war seinerzeit halt so. Aber die Freundschaft mit diesen Sportlern, die ja auf dem Sportfeld immer unsere Gegner waren, die war schon da – und wir haben schöne Partys gefeiert.

    TS: Ich kann mich noch erinnern, da war ich bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe in Mainz und in der Grundausbildung in Wolfhagen. Ich war auf einem Länderkampf gegen die Tschechoslowakei und dann wurde ich hinterher vom MAD-Offizier befragt: Was ich denn da gemacht habe, ob ich Kontakte gehabt hätte? Ich sage: ‚Haufenweise. Wir haben gefeiert, ohne Ende!‘
    Ob die denn auch beim Militär gewesen sind? ‚Die waren alle beim Militär.‘ Also für mich war diese Beziehung zu den Menschen viel wichtiger. Auch zu den Kollegen aus der DDR, die es ja viel schwieriger hatten. Denn dort haben nicht-olympische Disziplinen nun gar keine Rolle gespielt. Die mussten viel mehr organisieren und das Material beschaffen. Und die hatten trotzdem Topsportler. Ich weiß noch Großkoschen, Senftenberg, da waren Topsportler in der DDR. Die haben wir dann heimlich in der Tschechoslowakei getroffen. Wir hatten ein super Verhältnis zu denen.
    Sport war auch immer mit Feiern und mit Fröhlichkeit verbunden. Das ist nicht nur Knechten und Wettkämpfe und Ernsthaftigkeit, das ist auch Lebensqualität. Wir haben das komplett genossen. Die Bedeutung der Medien, die war ja für Radball auch immer begrenzt. Damals haben sich gerade die großen Sender doch sehr stark auf Fußball fokussiert und die Randsportarten wurden aus meiner Sicht relativ vernachlässigt.“

  • … den Wettbewerb untereinander

    AS: „Der Umstand, dass wir über einen großen Teil unseres Lebens in die gleiche Schule gegangen sind, im gleichen Zimmer gelebt haben, das gleiche Elternhaus und das gleiche Training hatten, führt zu einer gigantischen Rivalität. Und das Verhältnis unter uns beiden war durch diese Umstände entsetzlich. Es war so schlimm, dass der Trainer schreiend rausgelaufen ist: ‚Ich kann diesen Zwiespalt zwischen diesen beiden nicht mehr ertragen!‘
    Der ältere Bruder hat dann geschlichtet.
    Der Zwist fand nicht nur in der Radballhalle statt, sondern eben auch zu Hause. Der Wettbewerb war extrem hoch und es war schlichtweg unerträglich für viele Beteiligte, auch die Eltern. Das Verrückte ist, dass nach diesem Bruch mit so 35 Jahren, nachdem wir aufgehört hatten, haben wir uns dann überlegt: Vielleicht können wir ja gemeinsam in den Urlaub fahren? Seitdem verbringen wir jeden Sommer gemeinsam, ohne Ausnahme.

    TS: Es musste vom Gegeneinander auch zum Miteinander kommen. Und in der Trainingssituation war der Wettkampf schon so stark, wenn der eine etwas besser konnte, dann ließ man das nicht zu. Man versuchte in den nächsten Wochen genau diesen Abstand aufzuholen, den der andere durch seine bessere Leistung dokumentiert hat.  
    Bei Zwillingen sind ja die Voraussetzungen relativ ähnlich. Und dann ist der Wettkampf im Training natürlich sehr hoch. Um im Wettkampf dann gegen andere zu spielen, musste man schon zumindest aufhören mit Schuldzuweisungen. Da muss man sich fragen: ‚Was ist denn jetzt das gemeinsame Ziel?‘ Bei einer Ballsportart, wo zwei Leute das Spiel gestalten und aufbauen und Spielzüge entwickeln, wo sie anfangen, gemeinsam eine Situation ähnlich zu bewerten, damit man daraus ein Spielzug machen kann, da hat in diesem Moment Zwist natürlich keinen Platz. Das hat dann auch nach einer gewissen Zeit nachgelassen.
    Aber das ist keine Kontroverse: Der Wettbewerb untereinander und hinterher gemeinsam den Gegner schlagen. Das ist ja in der Politik auch so. Man braucht die Kontroverse, man braucht den Wettkampf untereinander. Man muss aber irgendwann auch mal das Gehirn einschalten und sagen: ‚Jetzt ist der Gegner nicht mehr mein Partner, sondern es ist der Gegner aus anderen Mannschaften.‘

    AS: Also der Wettbewerb unter uns, der war bei Turnieren absolut tabu. Dafür war der Trainer auch viel zu dominant und auch mein ältester Bruder hat Einfluss genommen. Das gab es nach außen natürlich in keiner Weise. Interessant ist auch, dass der nie gesagt hat: ‚Thomas, das hast du scheiße gemacht. Andreas, das ist blöd gelaufen.‘ Der hat immer gesagt: ‚Es gab eine andere Option. Das hätte man auch so machen können.‘ Er hat immer nach vorne geschaut. Heute sieht man noch Trainer, die das Negative rüberbringen. Unser Trainer hat schon vor 30 Jahren ganz klar gesehen: Wenn ich ein Spiel noch beeinflussen will, was nur zweimal sieben Minuten dauert, dann muss ich die motivieren. Da muss ich versuchen, die Schwächen abzustellen und die Stärken zu stärken.
    Und das hat er geschafft und er hat überhaupt keinen Streit zwischen uns auf dem Spielfeld zugelassen.
    Aber im Training war es entsetzlich.

    TS: Aber Ulrich, unser großer Bruder, der hat schon eine Zeit lang hinter dem Tor gestanden und versucht zu vermitteln. Als wir in Straßburg die Europameisterschaft in der Jugend gewonnen haben, war unser großer Bruder dabei, weil der Trainer nicht konnte. Das war die Zeit mit 16/17 Jahren, wo man sich stark gekabbelt hat. Und da hat das schon eine Bedeutung gehabt, wenn der große Bruder hinter dem Tor stand. Er war fünf Jahre älter, eine gewisse Seniorität damals für uns. Er hat schon vermittelt und uns in die richtige Spur gebracht.“

‘Radballhochburg’ Lemgo-Lieme

Sportliche Motivatoren

Deutsch-deutsche Begegnungen


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Bärbel Vitt

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Bärbel Vitt

*1938
Turnsportfunktionärin und Host der ZDF-Kindersendung „Turn mit!“

Der Titel ihrer ZDF-Kindershow „Turn mit!“ ist für Bärbel Vitt Programm: Ob als Lehrerin, Vereinstrainerin, oberste Jugendwartin des Deutschen Turner-Bundes oder Vorständin der Deutschen Sportjugend – das langjährige Mitglied der Cronenberger TG hat ihr Leben Kindern und Jugendlichen gewidmet.

Kurzbiografie

  • Geboren 1938 in Wuppertal
  • 1955-heute Mitglied der Cronenberger Turngemeinde 1880 e.V.
  • 1962-1998 Kunst und Sport Lehrerin am Städt. Gymnasium Gevelsberg
  • 1970-1978 Bundesjugendwartin Deutscher Turner-Bund
  • 1971-1978 Moderation der Kindersendung „Turn Mit“ im ZDF
  • 1978-1988 Vorstandsmitglied der Deutschen Sportjugend
  • 1988 Bundesverdienstkreuz
  • 1990-1998 Vorstandsmitglied des Deutschen Turner-Bundes
  • 2015 Sportplakette des Landes NRW

Bärbel Vitt über …

  • … Evakuierung und Umzug nach Wuppertal nach dem Zweiten Weltkrieg

    „Aufgewachsen bin ich in den ersten zehn Jahren in unterschiedlichsten Landschaften, ich bin ein Kriegskind. 1938 bis 1943 habe ich in Wuppertal mit meinen mit meinen Eltern gewohnt. Ich hatte drei Geschwister. Mein Vater war im Krieg. 1943 wurden wir nach Oberbayern auf einen Bauernhof, in der Nähe des Chiemsees evakuiert. Meine Mutter bekam dort die Nachricht, dass unser Haus bei einem Angriff in Wuppertal total zerstört- und dem Erdboden gleich war. Wo ging meine Mutter dann mit den Kindern hin? Sie hatte außer einem Koffer für uns gar nichts. Sie ging zurück in ihr Elternhaus. Meine Mutter war Westfälin aus Witten. Wir gingen dann zu den Großeltern und haben dort auch bei den Großeltern bis Ende des Krieges mit Angriffen und allem, was damals dazugehörte bis 1948 gelebt.
    Mein Vater kam dann aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Er war auch Wuppertaler und hat dann berufsmäßig wieder nach Wuppertal zurückgefunden. Wir sind dann 1948 in eine Wohnung gekommen, nach Wuppertal, in einen Vorort nach Cronenberg. Ein wunderschöner Vorort in Wuppertal, grün, umgeben von Wald und Wiesen. Es war ein Vorort, in dem ganz wenig durch Bombenangriffe zerstört worden war. Dort gab es also wirklich noch leere Wohnungen. Wir wurden dort eingewiesen und waren eigentlich, ja, ich kann es mir heute so vorstellen, völlig fremd. Wir kamen dort mit fünf Kindern hin. Das war in Wuppertal-Cronenberg sowieso eine Sensation. Dort hatte man zu der Zeit keine fünf Kinder. Und wir hatten nichts. Wir kamen wirklich in diese Wohnung und ich kann die Menschen auch verstehen, die uns doch sehr skeptisch angesehen haben. Aber wir sind doch schnell heimisch geworden, auch durch die Art meiner Mutter, die sehr tolerant war, die sehr liebenswürdig war, die sehr intelligent war. Und das haben die Menschen sehr schnell gemerkt, dass wir eine Familie waren, die auch sehr auf Bildung bedacht war. Und dann haben wir bis 1948 in Cronenberg gelebt. Ich habe da 1949 noch eine fünfte Schwester bekommen.
    Was machte man damals? Meine Eltern suchten natürlich für uns Kinder auch außerhalb der Schule nach Beschäftigung. Wo können unsere Kinder hingehen? Man kann das den heutigen Jugendlichen gar nicht erzählen, dass es das, was heute möglich ist, gar nicht gab. Es gab eigentlich so zwei Sachen, für die man sich entscheiden konnte: Die Evangelische Jugend oder auch die Katholische Jugend, die war doch dann sehr schnell nach dem Krieg aktiv und eben unser Turnverein. Dort waren schon 1946 die früheren Turner des Turnvereins sehr aktiv. Der Verein wurde auch von den Besatzungsmitgliedern freigegeben und schnell wiederaufgebaut. Und natürlich, es war ganz schnell klar: Wir können diesen Aufbau auch nur durch unsere Jugend bewältigen und müssen unserem Verein zugrunde legen, dass wir uns ganz schnell um die Kinder und Jugendlichen kümmern. Und das war für uns ein großes Glück. Diese Turnhalle war drei Minuten von meinem Elternhaus entfernt, und wir haben uns dann gleich ganz begeistert an den Turnverein angeschlossen. Und ich muss sagen: Das war so eigentlich das, was mein Leben bis heute sehr bestimmt hat.“

  • … gesellschaftlichen und kulturellen Mehrwert des Vereinssports

    „Sehr früh habe ich das als sehr schön empfunden, dass nicht nur geturnt wurde, sondern sehr viel Wert auch auf Vereinsfeste gelegt wurde. Zum Beispiel fand jeden Monat ein sogenanntes Vereinsbeisammensein statt, was immer an einem Samstag war. Unsere Jugendgruppe fand immer samstags statt, von 17.00 bis 20.00 Uhr. Es wurde also zuerst geturnt, dann wurde sich umgezogen. Wir hatten noch keine Duschen, wir haben uns dann gewaschen und haben dann einen anderen Pullover oder ein anderes T-Shirt angezogen. Und dann wurde gesungen und getanzt, und das war für mich schon so vom Gesellschaftlichen vom Sozialen her schon so eine Sache, die mehr war als nur Turnen, als nur Sport in dem Sinne. Wenn man Sport also als reine technische Sache betrachtet.
    Und das war auch das, was mich so sehr angesprochen hat, dass da also mehr Kulturelles war. Wir hatten in diesem Verein immer, solange ich mich erinnern kann, auch einen Kulturwart, den gibt es heute einfach nicht mehr.
    Den hat man zum Beispiel beim Deutschen Turner-Bund sehr lange gehabt, den es heute dort auch nicht mehr gibt. Der ist irgendwo in einer anderen Position aufgegangen, manchmal auch leider vergessen worden. Aber das war in unserem Verein wohl eine gewachsene Sache. Durch Vereinsfeste lernte man auch andere Abteilungen kennen. Es gab also zwei oder drei vom Alter verschiedene Gymnastikabteilungen. Also für die ganz jungen Turner, die sich anders gestaltete als für die älteren Turner. Die Älteren hat man also nie vergessen. Nach dem Krieg sorgten die auch für den Erhalt, glaube ich. Die Frauen waren ja im Krieg auch zu Hause. Und die Frauen waren eigentlich die Stärke, auch im Krieg, die das alles zusammengehalten haben. Und die haben dann im Turnverein hinterher sehr viel mitgearbeitet und den Verein wieder zusammengefügt, auch als die Männer wieder da waren. Und da war es also so, dass es ganz normal war, wenn unser Jugendgruppenabend zu Ende war, dass da einer sagte: ‚Ihr könnt mit zu uns gehen, meine Mutter hat Kartoffelsalat gemacht.‘ Das waren dann so Sachen, die waren selbstverständlich. Mann war dann im Verein so eine richtig große Familie. Und das hat sich natürlich dann immer mehr erweitert. Und nach meinem Studium, als ich 1962 fertig war, da war es ganz klar – du machst ehrenamtlich Arbeit in deinem Verein. Und seitdem arbeite ich ununterbrochen. Auch mit meinem Sohn, der dann 1966 geboren wurde und mit elf Tagen in den Turnverein im Kinderwagen angekarrt wurde. Der arme Junge, aber er hat sich ganz gut entwickelt.“

  • … studentische Nebenjobs im Hause Diem

    „Ich musste mir mein Sportstudium selbst verdienen. Und wusste also im Sommersemester, da hatte ich also drei Monate Zeit und im Winter gab es nur zwei Monate. Man war ja froh, für jede Mark, die man dazuverdienen konnte.
    Frau Diem hat dann sehr schnell gemerkt, dass ich so alles im Haus konnte. Ich komme aus einer Familie, wo sechs Kinder sind und man zu den ältesten Mädchen gehört. Unter mir sind vier Schwestern, mein einziger Bruder ist nur zwölf Monate älter als ich. Da wird man einfach ganz früh selbstständig und kriegt auch Aufgaben übertragen, die man heute keinem Kind in gewissem Alter übertragen würde. Und ich frage mich: Warum hast du das mit acht oder neun Jahre schon gekonnt? Aber ich konnte es eben.
    Und Frau Diem hat mich angesprochen und dann gesagt: ‚Also hör mal, du hast doch ein Fahrrad. Wir sind hier in Junkersdorf und wohnen auch hier in Junkersdorf. Du könntest doch mal zwischendurch, wenn du zwei Stunden nichts hast, dann bei uns zu Hause und in der Bibliothek gucken, ob Bücher aufgeräumt werden müssen, die mein lieber Mann liegen gelassen hat.‘ Professor Diem durfte auch die Bücher liegen lassen.
    Ich habe alles gemacht, was so im Haushalt in einer oder zwei Stunden dann zwischendurch gemacht werden konnte. Ich weiß noch genau, es gab für jede Stunde zwei Mark als Werkstudentin. Dadurch, dass ich immer einen Schlüssel hatte und das so innerhalb von vier Wochen machen konnte, hat mir Frau Diem jede Stunde abgenommen, die ich aufgeschrieben habe. Dadurch habe ich natürlich auch ein ziemlich persönliches Verhältnis zu Professor und zu Frau Diem entwickelt. Das war ganz klar. Man kannte sich dann näher, wenn man das Zuhause kannte. Das war schon sehr schön. Deshalb habe ich auch sehr gute Erinnerungen daran. Frau Diem konnte dann am Ende meines Studiums nicht verstehen, dass ich nicht an der Sporthochschule geblieben bin, als Dozentin oder als Assistentin im Bereich Spiel-Musik-Tanz, sondern mich wirklich entschlossen habe und das war immer mein Traum, dann an die Schule zu gehen. Ich wollte mit Schülern arbeiten und den Schülern wirklich den Spaß am Sport und die Freude am Sport vermitteln, auch wenn man selber nicht der größte Athlet war, zu vermitteln. Das ist mir auch gelungen.“

  • … Anfang der Funktionärstätigkeiten im Turnen

    „Ich arbeitete ab 1962 in der Schule und lebte noch zu Hause, war aber natürlich noch in meinem Turnverein.  Man brachte natürlich auch neue Ideen aus dem Studium mit. Ich hatte diese Idee, die ich fantastisch fand: Mutter-und-Kind-Turnen. 1962 hat das in Wuppertal noch kein Mensch gemacht. So nach dem Motto: Was machen denn die Mütter und Kinder in der Turnhalle? Es war also direkt ein großer Erfolg. Das hat sich dann sehr schnell auch in Wuppertal entwickelt, bei anderen Vereinen, da ich dann Lehrgänge für andere Übungsleiterinnen gemacht habe. Es spricht sich herum, man ist dann auf einmal Jugendwartin, in einem, damals hieß es noch Turngau und auf einmal ist man Landeskinderturnwartin im Rheinischen Turnerbund. Und dann ist man Bundesjungendwartin im Deutschen Turner-Bund.
    Es war also eine Entwicklung, die es vielleicht auch so in der Politik oder der Wissenschaft gibt – einfach mit der Erfahrung. Und es gab ja auch noch nicht so viele Leute, die so was machten und die das dann auch richtig weitergeben konnten. Das war vielleicht auch so meine Begabung, andere zu begeistern, weil ich so begeistert war.
    Ich war dann acht Jahre Bundesjugendwartin in der Deutschen Turnerjugend und du kennst natürlich auch alle anderen Jugendwarte aus den Fachverbänden. Wir trafen uns ja mindestens einmal im Jahr zur Vollversammlung der Deutschen Sportjugend. Und nachdem ich 1978 nicht wiedergewählt werden konnte, was ich auch sehr gut finde, dass solch eine Position wirklich nur einmal wiedergewählt werden darf, denn dann sollte jemand Neues kommen mit neuen Ideen, der vielleicht auch andere Ansätze hat. Und dann bin ich sofort, nachdem ich bei der Deutschen Turnerjugend aufgehört habe, im gleichen Jahr von den anderen Sportfachverbänden in die Sportjugend gewählt worden. Und da bin ich dann zehn Jahre von 1978 bis 1988 gewesen. Da bin ich also zweimal wiedergewählt worden. Ich glaube, ich war fast zwei Amtsperioden als einzige Frau im Vorstand der Deutschen Sportjugend. Es waren sonst nur Männer, heute sieht es ganz anders aus.“

  • … die Reaktion des Olympischen Jugendlagers auf das Attentat während der Spiele 1972

    „Wir konnten das eigentlich überhaupt nicht begreifen. Als wir davon hörten, war das ja mitten in den fröhlichen Spielen. Die Eröffnungsfeier war voller Musik, als die Nationen einmarschierten und die Tage danach waren voller Fröhlichkeit. Es war ein wunderbares Wetter, 1972 war ein herrlicher Sommer. Und dann dieser Eklat. Auch im Jugendlager, das war einfach so volles Entsetzen, dass alle ganz ruhig wurden. Ich habe noch nie in einem Stadion erlebt, auch hinterher, als Avery Brundage verkündete, die Spiele gehen weiter – es war nur Stille.
    Es war zwei Tage wirklich nur Stille im Olympiastadion, auch während der Wettkämpfe. Gefreut hat sich da keiner, auch die armen Sportler nicht. Weil erst keiner wusste, ob es nun weiter geht. Was wird daraus? Was passiert? Es war einfach ein großes Entsetzen. Und ich glaube auch bis zum Ende der Spiele hat sich diese Fröhlichkeit nie wieder einstellen können, konnte sie auch eigentlich gar nicht, nachdem was da passiert war. Da haben schon die Ersten gedacht: Das ist das Ende der Olympischen Spiele überhaupt.
    Oder als Brundage dann gesagt hat: ‚Die Spiele gehen weiter, wir lassen uns da nicht von beeinflussen.‘ Es ist ja sowieso immer eine große Schwierigkeit, auch heute Sport und Politik, Olympia und Politik. Aber dass es damals so einen schrecklichen Eklat gab. Wenn Sie mich heute fragen, wir haben es einfach nicht begriffen.
    Im Jugendlager war direkt die Diskussion: Wir lassen uns Olympische Spiele nicht zerstören. Man konnte ja damals sagen: Alle, die im olympischen Jugendlager waren, die Delegationsführer, die zusammenkamen, die dann natürlich auch diskutiert haben, haben also ganz klar gesagt: ‚Wir sind die Jugend der Welt.‘ Und wir können jetzt sagen: ‚Entweder ist Olympia, die Idee gescheitert und nicht mehr da und kann vielleicht auch gar nicht mehr geheilt werden.‘ Oder wir müssen jetzt hoffnungsvoll sagen: ‚Wir wollen uns davon nicht unterkriegen lassen. Wir wollen weiterhin zeigen, dass gerade im olympischen Sport der Zusammenhalt der Jugend der Welt weiter existieren kann.‘ Und das hat sich Gottseidank ja dann auch herausgestellt, dass man es geschafft hat.
    Es waren auch israelische Jugendliche da. Die haben sich natürlich, das kann man auch nachvollziehen, dann ein bisschen abgekapselt.
    Aber ich glaube, unter Jugendlichen ist es sehr viel schneller möglich, auch Trost zu spenden. Wenn alle merken, wir halten zusammen, wir lassen jetzt keinen zwischen uns kommen und wir sind für euch da und wir leiden auch mit euch und verstehen auch eure Trauer. Aber ich glaube auch Trauer, wo ganz viele zusammenhalten und ganz viele miteinander trauern, ist leichter zu ertragen, als wenn man alleine trauert. Das weiß man aus dem täglichen Leben. Das ist einfach so. Ihr fühlt mit uns und bei euch sind wir gut aufgehoben. Ihr seid geschützt bei uns, und wir selbst sind so sprachlos im Grunde genommen, dass wir eigentlich nichts anderes machen können, als euch zu umhüllen und euch zu sagen: ‚Wir sind für euch da. Und ihr bleibt bei uns und ihr seid nach wie vor einen Teil von uns.‘
    Und das hat, glaube ich, schon sehr geholfen. Und ich glaube, Kinder und Jugendliche können das einfach auf eine gewisse Art und ohne viel zu sagen, viel besser rüberbringen als Erwachsene.“

  • … das Sommerfest der deutschen Jugend in der Villa Hammerschmidt

    „Ich habe drei Bundespräsidenten kennengelernt, ganz intensiv Walter Scheel, danach Karl Carstens und dann Richard von Weizsäcker.
    Walter Scheel hat das erste Jugendfest veranstaltet. Er war derjenige, der gesagt hat: ‚Ich möchte hier in der Villa Hammerschmidt ein Sommerfest für die Jugend machen. Das hat die Deutsche Sportjugend in die Hand gekriegt und sollte es organisieren. Und da wir von der Turnerjugend diejenigen waren, die bei der Organisation vom Deutschen Turnfest mit seinen hunderttausenden von Teilnehmern mitwirkten, waren wir auch der Fachverband, der die meiste Erfahrung in der Organisation hatte.
    Aber es hat wunderbar geklappt, auch mit den anderen Fachverbänden. Es waren ja nicht nur Sportfachverbände, sondern es waren auch eingeladen, das Rotes Kreuz, CfJM und die Evangelische Jugend, es war ein Fest für die deutsche Jugend. Aber da die anderen so mit solchen großen Jugendfestivals vielleicht weniger Erfahrung hatten, haben wir das also in die Hand gekriegt und es war auch wunderbar. Walter Scheel war ein wunderbarer Gastgeber, einfach von seiner Art her. Und Mildred Scheel, ich höre heute noch ihr Lachen. Also es war so etwas von unkompliziert.
    Er wollte es auch ganz besonders toll machen. Es gab an diesem Tag alles für die Jugendlichen. Natürlich wollten sich sämtliche Firmen dort promoten. Die Kinder konnten so viel Eis von Langnese essen, wie sie wollten. Aber im Grunde wollten die das wohl gar nicht. Also wir haben das beim zweiten Mal gemerkt. Bei Karl Carstens gab es Erbsensuppe. Da saß Karl Carstens zwischen den Jugendlichen am Rheinufer auf der Wiese mit einer Schüssel Erbsensuppe. Und der war ja nun auch völlig anders. Also Walter Scheel in seiner jovialen Art, wie er nun einfach war. Und dann dieser ruhige Karl Carstens, der selbst keine Kinder hatte, seine Frau Veronika war ganz intensiv mit dabei. Ich weiß noch, dass ich ein tolles Gespräch mit ihr hatte. Das war einfach ganz anders.
    Das dritte Sommerfest für die deutsche Jugend mit Richard von Weizsäcker war wieder völlig anders. Richard von Weizsäcker war ja sehr von seinem Intellekt her geprägt. Man merkte das bei den Jugendlichen schon, der kam gar nicht so an die ran und die auch nicht an ihn. Der ging dann also auch fröhlich gestimmt, auch einfach auf überall hin. Aber so ein fröhliches Gespräch, wie das sogar Karl Carstens gemacht hat, bei dem habe ich das Gefühl gehabt, der hat sich so richtig bei den Jugendlichen wohlgefühlt. Aber Richard von Weizsäcker, der war immer so mit ein bisschen gefühltem Abstand, was er vielleicht gar nicht wollte. Das war einfach, so ein bisschen seine Eminenz, so ungefähr. Er war ja nun auch von seiner Art her sehr präsidial und anders als Walter Scheel.

    Das waren diese drei Sommerfeste, die gibt es ja leider nicht mehr. Ich weiß nicht, warum man die nach der Wiedervereinigung nicht weitergemacht hat und gesagt hat: ‚Jetzt haben wir noch ein viel größeres Spielfeld, wo man die jungen Leute nach Bellevue einladen kann.‘ Das hat es bis heute nicht wieder gegeben. Und ich finde es eigentlich schade, weil das immer so eine Begegnung war, die wirklich unkompliziert war. Da kam kein Jugendlicher hin, um Langnese-Eis zu essen, sondern da lernte man andere Jugendliche kennen.“

Vom Chemielabor in die Turnhalle

Erfahrungen als Frau im Sport

ZDF-Sendung “Turn mit!”

Ehrenamtliches Engagement für Geflüchtete


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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