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Friedhelm Julius Beucher

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Friedhelm Julius Beucher

*1946
Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes e. V.

Der ehemalige Schuldirektor Friedhelm Julius Beucher war von 1990 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort fungierte er von 1998 bis 2002 als Sportausschussvorsitzender. Seit 2009 bekleidet er das Amt des DBS-Präsidenten.

Kurzbiografie

  • Geboren 1946 in Bergneustadt
  • 1963-1972 Sportreporter für die Kölnische Rundschau sowie den Kölner Stadt-Anzeiger in den jeweiligen Lokalausgaben Oberbergische Volkszeitung und Oberbergischer Anzeiger
  • 1969-1973 Studium an der Pädagogischen Hochschule Bonn
  • 1974-1990 Sportlehrer und Rektor an der Gemeinschaftsgrundschule Hackenberg in Bergneustadt
  • 1981-2001 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landesvorstands der SPD
  • 1990-2002 Mitglied des Deutschen Bundestages als Angehöriger der SPD-Fraktion
  • 1990-2002 Mitglied und (ab 1998) Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag
  • 2005-2009 Vizepräsident Special Olympics Deutschland
  • Seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes e. V. (DBS)

Friedhelm Julius Beucher über …

  • … Laufsport in Jugend- und Abegordnetenjahren

    „Ich bin dann selbst in diesem Turnverein aktiv gewesen. Das waren damals noch die Gauturnfeste und in der Schule die Bundesjugendspiele. Im Sommer mit der Urkunde, da haperte es manchmal. Aber im Winter erhielt ich immer eine Sieger- und vereinzelt auch eine Ehrenurkunde. Und dann hat ein älterer Übungsleiter gesagt: ‚Ich glaube, der Junge kann gut laufen.‘ Wir haben systematisch Laufen trainiert, Mittelstrecke. 1967 sind wir mit dem TV Bergneustadt hinter der SSG 09 Bergisch Gladbach, da gab’s noch den dreimal tausend Meter-Lauf bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften, Zweite geworden und hatten die Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft mit einer Zeit von unter neun Minuten. Ich habe diese Mittelstrecke beibehalten. Natürlich sind wir den klassischen Gummersbacher Silvester-Cross immer mitgelaufen. Mir hat dieser Tage noch jemand ein Festbuch geschenkt, in dem an die wackeren Bergneustädter erinnert wird. Da hatten wir vor einem großen Verein aus dem Ruhrgebiet den Mannschaftssieg errungen, also einen großen Pokal. Das war `63. Und da ich nach der Realschule die Höhere Handelsschule besucht habe, gab es Landesmeisterschaften der kaufmännischen Schulen. Und dann bin ich im Müngersdorfer Stadion das erste Mal auf einer tartanähnlichen Bahn gelaufen. Da hatte ich dann eine Zeit über 1000 Meter von 02:38.02 Minuten. Das war schon etwas. Ich hatte so Adidas-Spikes, die waren so was von knochenhart und mit noch relativ langen Dornen. Die hatte ich aber nicht wegen dieses Laufes. Ich hatte die mir über Ferienarbeit erspart – und die längeren Dornen brauchte ich auch für die Crossläufe. Die habe ich meine ganze Jugend hindurch gemacht, um beim Laufen zu bleiben. Bis zu meiner Bandscheibenoperation habe ich auch drei Marathonläufe absolviert. Den ersten in Berlin durchs Brandenburger Tor – ein ungeheures emotionales Erlebnis. Dann New York, dort bin ich `93 gelaufen, irgendwo zwischendurch, da war ich inzwischen junger Abgeordneter in Bonn, da gab es den Post-Marathon. Da musste die Strecke zweimal durchlaufen werden. Ich habe mich seinerzeit von Karl Lennartz beraten lassen. Karl Lennartz war Hochschullehrer von mir an der Pädagogischen Hochschule im Institut für Leibesübungen. Und ich hatte Karl gesagt: ‚Ich habe nicht viel Zeit, aber ich will mal Marathon laufen. Was ist die minimale Vorbereitung?‘ Er sagte: ‚Nur, wenn du nicht auf die Uhr guckst.‘ Daran habe ich mich gehalten. Ich bin also praktisch immer um die Aggertalsperre an Wochenenden gelaufen oder in Bonn am Rhein entlang. Und manchmal, ich wohnte in Kessenich, den Venusberg hoch.“

  • … das Boxvermächtnis seines Vaters im Bergischen Land

    „Mein Vater hat erst Leute um sich geschart aus dem Turnverein Bergneustadt. Sie waren zunächst eine Abteilung des Turnvereins. Dort gab es auch ein gewisses Konkurrenzdenken, etwa bei den Handballern – da wurde noch Feldhandball gespielt. Und dann hat man sich selbstständig gemacht. Ich habe eine weit entfernte Erinnerung noch an die vielen Menschen. Aber manchmal werden auch die Erinnerungen dadurch verstärkt, wenn man sich Bildmaterial ansieht. Und man denkt, man wäre dabei gewesen, was eigentlich nicht so war.

    Da hat man auf der Jahnkampfbahn das damalige Sportplatzgelände des Turnvereins Bergneustadt Freiluftkämpfe durchgeführt. Da kamen 400-500 Leute und dieser Boxsport-Bazillus, der setzte sich fort. Dann hat mein Vater noch einen Verein mitgegründet, in Bielstein. Heute Wiehl-Bielstein, Stadt des Bieres. Und es gab auch nachher einen in Wipperfürth, das war im Rhein-Wupper-Kreis. Da gab es noch nicht die kommunale Neugliederung. Und 1951 haben wir, sensationell, einen deutschen Meister im Schwergewicht gehabt aus Bielstein, Lothar Rau. Und 1953 hatte Bergneustadt auch im Juniorenhalbschwergewicht einen dritten Platz bei den deutschen Junioren Meisterschaften. Ansonsten sehr viele Bezirksmeister-Titel. Und eben je nachdem, wie das Boxen sich weiterentwickelte, half man sich gegenseitig aus, ob das der BC Troisdorf war, der meines Wissens auch `48 gegründet wurde mit dem legendären Johnny Biewer, dem Sportjournalisten. Dann kamen auch Kölner Trainer raus ins Bergische. Wie gesagt: ‚Wir müssen zu den Buren!‘ Oder auch manchmal mit einer städtischen Überheblichkeit. Und wo die Buren dann eben gezeigt haben, was sie in der Faust hatten. Es hat dann regelmäßig Kämpfe gegeben, und das muss man sich mal vorstellen, in einem Saal einer Gaststätte. Da passten über 300 Leute rein. Da wurde dann auch geraucht und es gab immer Durchsagen am Ring: ‚Bitte das Rauchen einstellen! Denken sie an die Gesundheit der Boxer.‘ Die waren manchmal in einer Qualmwolke. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, da schüttelt man den Kopf, und anschließend wird der Ring abgebaut. Und dann war da eine Tanzfläche.

    Es war ein Sport auf dem Land und das hat auch immer eine gesellschaftliche Dimension. Die haben sich damals einen sporttauglichen Ring, war ja kein Geld da, selber zusammengeschweißt, also mit den offiziellen Maßen. Einen selbst gebauten Ring, der dann auch wieder verliehen wurde. So ist das Boxen ins Oberbergische gekommen.“

  • … Erfahrungen und Ansichten als Sportlehrer

    „Wenn bei uns nach vier Jahren Grundschule die Kinder, und ich spreche jetzt von der Zeit bis 1990, die Schule verlassen hatten, dann konnten sie diejenigen an einer Hand abzählen, die bei vier Klassen nicht schwimmen konnten. Das haben wir durchgekriegt. Das war ein riesiger logistischer Aufwand, das waren Busfahrten zum Hallenschwimmbad oder eben zum Freibad. Und was wichtig war, waren Fortbildungen an der Sportschule Hennef. Neben dem Reiz, den die Sportschule mit sich brachte, war eben auch wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen auf dem neuesten Stand waren. Wir hatten nicht die Reihenfolge beim Stundenausfall: Sport, Religion, Musik zuerst. Das wurde gleichbehandelt, auch manchmal gegen einzelne Eltern, die aber danach irgendwann sagten: ‚Ach, das ist doch gut!‘ Denn die motorischen Schwierigkeiten waren noch nicht so ausgeprägt. Mittlerweile ist das teilweise eine Katastrophe, mit welcher Bewegungsarmut Kinder aufwachsen. Und nicht nur adipöse, die Kinder setzen teilweise die Beine falsch hintereinander. Da merkst du, die sind sechs Jahre lang nicht so bewegt worden, wie es kindgemäß hätte sein müssen. Und wir haben uns dann natürlich auch zu weiterführenden Schulfesten gemeldet.
    Als ich nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag noch mal in die Schule ging und die integrative Gemeinschaftsgrundschule in Burscheid geleitet habe, da habe ich den Sport-Bazillus auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt gepflanzt. Und ich lief dabei offene Türen ein. Die haben das auch erkannt. Wir hatten dort eben auch Kinder von den früheren Sonderschulen, die jetzt Förderschulen hießen. Und wir hatten welche, die in ihrer Konzentration nicht so stark waren und die eben dort auch einfach in ihrer Persönlichkeitsstruktur Hemmungen hatten. Das nennt man heute Förderschwerpunkt Lernen. Und da haben wir mittels des Sports, darauf bin ich heute noch stolz, über 20 Arbeitsgemeinschaften an der Schule integriert. Die meisten waren Sportarbeitsgemeinschaften. Und das in Verbindung mit dem örtlichen Sportklub. Wir haben sogar Tennis angeboten für Kinder, die von ihrer Sozialisation her wahrscheinlich nie im Leben Tennis gespielt hätten, es sei denn, sie kommen aus ihrem Umfeld raus.
    Und ohne repressiv zu werden, wenn die Lernschwierigkeiten hatten und einfach die Aufgaben nicht gemacht haben, wenn sie es nicht machen können, ist das etwas anderes. Wenn Sie es einfach nicht gemacht haben, weil das nicht bei ihnen drinnen war, die wurden dann am Wochenende, wo wir spielten, nicht aufgestellt. Die haben so was von die Ohren angelegt, denn da konnten sie den anderen zeigen, was sie konnten. Also Sport ist auch, ohne repressiv zu sein, dass man einfach sagt: ‚Das ist eine Vereinbarung.‘ Zum Trainieren und zum Sporttreiben gehört auch Lernen in der Schule. Und wenn man das als Einheit begreift, ist das eine wunderbare Chance.“

  • … Sport und Politik

    „Politik gehört nicht in den Sport. Bei Parteipolitik würde ich das unterstreichen. Trotzdem gibt man nicht, wenn man als Parteipolitiker irgendwo hingeht, das Parteibuch an der Garderobe ab. Man bleibt dann eben politisch. Sport ist ein gesellschaftliches Phänomen und ein unverzichtbarer Bestandteil von gesellschaftlichem Zusammenleben. Und das geht nicht ohne Politik. Diese Entscheidungen fallen in der Politik, in welchem Rahmen das Zusammenleben stattfinden kann, außer dem Individualbeitrag des Sportlers oder der Sportlerin.
    Und insofern ist für mich Sport auch hochpolitisch. Wenn ich überlege, dass ich eben als Jugendlicher und junger Mann dann in dem Vereinsvorstand vom TV 18 80 Bergneustadt sitze und die darüber schimpfen, dass sie von der Stadt noch nicht mal etwas rote Erde bekommen, damit sie das auf dem Platz auswechseln können. Und ging das auch her: ‚Der kannte den Schalenbach und er kannte den Schmies.‘ Und das waren dann mal ehemalige Bürgermeister und die wurden dann eben auch für so was instrumentalisiert, das heißt: Einfach gebeten, notwendiges machen, damit Sporttreiben möglich ist. Ich mache ich jetzt den Rahmen: Von unseren 19.000 Einwohnern sind, ohne jetzt die Doppelmitgliedschaften zu zählen, über 8000 Mitglied eines Sportvereins. Wir haben in der Bundesrepublik bei 82 Millionen Menschen 28,5 Millionen Mitglieder eines Sportvereins. Das ist die größte gesellschaftliche Bewegung. Kirchen, Gewerkschaften, Parteien träumen einfach davon. Nur der Sport ist insgesamt zu zurückhaltend. Und diese Zurückhaltung habe ich eigentlich immer kritisiert. Ich sage: ‚Ihr müsst das auch einfordern, ihr fordert und nicht nur für euch. Ihr leistet auch einen Beitrag zur Gesundheit der Menschen!‘ Ich muss jetzt nicht hier die hehren Ziele des Sports darlegen, in einer historischen Rückbetrachtung. Und so war das natürlich in der Kommunalpolitik. Ich bin 1967 Mitglied der SPD geworden und dann haben natürlich auch die Genossen in Bergneustadt gesagt: ‚Ja, und wenn dann Rat ist, dann kandidierst du für den Rat.‘ Beziehungsweise als der nachher eng wurde, dann musste man sich schon zusammentun, um auch Leute zu ersetzen, wie das so ist. Und dann konnte ich bei den Wahlen erst 1975 für einen Rat kandidieren, weil vorher noch die Wählbarkeit bei 23 Jahren war. Das war ich eben 1969, 1970 nicht. Und dann aber, als ich dann die Wählbarkeit erreicht habe. Hat die SPD Bergneustadt mich als sachkundige Bürger in den Sportausschuss geschickt. Und es war eigentlich fast eine Folge sportlich selber aktiv, Mitglied im Turnverein Bergneustadt, Mitglied im Boxring Bergneustadt und bin dann 1975 in den Rat gewählt worden und dort zum Sportausschussvorsitzenden. Das bin ich bis zu meinem Ausscheiden aus dem Rat der Stadt Bad Neustadt 2004 geblieben und immer wieder wiedergewählt worden. Und bin 2004 in den Kreistag des Oberbergischen Kreis gewählt worden und logisch, Sportausschuss des Kreistags des Oberbergischen Kreis und Sportausschussvorsitzender. Bin heute jetzt bei der letzten Wahl im September wiedergewählt worden. Wir haben den Slogan: ‚Sportler wählen Sportler‘. Und ich bin also aktuell Sportausschussvorsitzender im Kreistag des Oberbergischen Kreises und 1990 wurde ich in den Bundestag gewählt, den ersten gesamt deutsch gewählten Bundestag. Und dann war es eigentlich Friedl Schirmer, wir hatten da ein Gespräch. Vorher hatte ich auf Parteiebene angeregt, in der Mitte der 80er-Jahre einen Arbeitskreis Sport wieder aus dem Dornröschenschlaf zu holen und habe das auch auf Parteiebene mitgeholfen. Und Friedl Schirmer, der sagte: ‚Der Junge muss in den Sportausschuss!‘“

  • … kommunale Sportpolitik

    „Die kommunale Ebene des Sports, die ist ja weniger von hehren sportpolitischen gesellschaftlichen Triebfedern angetan, denn da ist es für den Verein wichtiger, wenn die Dachrinne tropft oder es durchregnet in der Halle oder wie sie die nächsten Trikots bezahlen sollen oder wie sie die Fahrt zum Wettkampf oder den Trainingsbetrieb aufrechterhalten. Das habe ich ja beibehalten in meiner Zeit als Sportausschussvorsitzender und bin ja dann auch durch die Republik gereist und habe auch über Nordrhein-Westfalen hinaus zum sportpolitischen Thema geredet. Und wenn die Leute dasitzen und du fängst an: ‚Sport ist etwas Tolles und verbindet die Gesellschaft. Und das ist wichtig für die Volksgesundheit‘. Und was man alles an tollen Sachen über Sport sagen kann. Und dann sitzen dir ja auch Gesichter gegenüber und die denken: Wann kommt er jetzt eigentlich zum Problem, wo kriegen wir den Zuschuss für den neuen Betrag her? Das sehen Sie. Dann habe ich oft damit angefangen: ‚Für alle diejenigen, die Sorge haben, dass die Dachrinne tropft am Vereinsheim. Darauf werde ich gleich noch eingehen. Denn ich bin Mitglied eines kommunalen Sportausschusses.‘ Und das war einfach eine Klammer. Und das geht dann parallel. Als Mitglied des Stadtrates hat man eben auch Einfluss, was im Haushaltsplan der Stadt Bergneustadt steht. Als Mitglied des Kreistages nimmt man Einfluss, was im Haushaltsplan zum Thema Sport des Oberbergischen Kreises steht und auf der Bundesebene ebenso. Und das sind dann Kämpfe, nämlich Verteilungskämpfe. Und dann kommt der berühmte Kampf: Kultur gegen Sport, ohne der Kultur was wegzunehmen. Dann hat man immer dieses Subventionsdickicht. Das ist die Neiddebatte, die bringt nichts weiter. Man muss die gleichrangig betrachten. Der Körper braucht Bewegung, aber der Körper braucht auch was für den Kopf und für die Seele. Sport ist Hochkultur. Das ist kein Gegeneinander. Ich will das zusammenbringen. Dabei es ist natürlich schwierig, das in einen nüchternen Antrag reinzubringen. Aber da kann man Leute auf dem Weg der Begeisterung mitnehmen und sagen: ‚Leute, das geht doch nicht nur darum, da den Sportplatz zu ertüchtigen. Es geht auch darum, dass wir sicherstellen, dass nicht ein Schwimmbad nach dem anderen kaputt geht oder nicht erneuert wird.‘ Oder dass es sich bei uns im Oberbergischen aufgrund der Witterungslage einfach nicht ökonomisch betreiben lässt. Es ist wichtig, dass die Leute schwimmen können. Wir im Oberbergischen sind der Landkreis mit den meisten Talsperren in ganz Deutschland. Wir haben eine unverantwortlich hohe Zahl an jungen Menschen, die ertrinken und auch an Erwachsenen, die nie schwimmen gelernt haben. Eigentlich braucht man nicht nur als höchsten Schulformabschluss das Abitur in geisteswissenschaftlichen Fächern, jedes Kind und jeder Mensch braucht auch ein Sportabitur. Und dazu gehört Schwimmen. Er wird ja nicht gezwungen, sich zu bewegen. Aber er muss auch mal die Gelegenheit bekommen, dass er die Freude daran erfahren kann. Und ob das jetzt im Verein, im Fitnessstudio oder alleine im Wald ist, ist alles egal. Aber es müssen die Voraussetzungen da sein.“

  • … Sport als Mittel zur Friedens- und Entwicklungspolitik

    „Es ist wichtig, dass Sportler sich auch in die Gesellschaft einbringen und sich nicht nur auf schneller, höher, weiter reduzieren lassen, sondern auch die Stimme erheben. Und das hat so am Anfang der 70er-Jahre angefangen. Vielleicht schon Ende der 60er-Jahre, dass sich Parteien auch der Testimonials bedient haben, in dem auch Sportler erkannt wurden. Es ist mittlerweile guter Ton und das finde ich ganz toll, dass bei der Bundesversammlung, wo ja neben den Abgeordneten auch Bürgerinnen und Bürger benannt werden, also alle Parteien darauf achten, auch irgendwo einen Sportler dabei zu haben. So kam dann Markus Rehm als Begleiter von Vanessa Low, einer erfolgreichen Sprinterin mit Prothesen, mit in den Genuss, an einer Bundesversammlung teilzunehmen. Martin Braxenthaler in Bayern, also hier Vanessa Low für NRW. Hannelore Kraft hat damals gesagt: ‚Friedhelm, wir würden gerne auch eine paralympische Sportlerin in der NRW-Delegation vorschlagen.‘ Da war auch Heiner Brand dabei. Da ging es, glaube ich, um die Wahl von Köhler.
    Bei ‚Sportler für den Frieden‘, damit rennt man offenen Türen ein. Und diese sagenhafte Veranstaltung in der Westfalenhalle, die war ja der bundespolitische Höhepunkt. Und da ist es umgekehrt auch gelungen, in Sportlerköpfe wichtige politische Botschaften zu transportieren. Ich sage mal: ‚Wir sind Friedensbotschafter.‘ In der Entwicklungspolitik werden Entwicklungshelfer irgendwohin gestellt, und es gibt auch Sportentwicklungshelfer. Wie viele Trainer haben wir in Entwicklungsländer geschickt, die dort über Sport auch für unser Land geworben haben. Das ist ein ganz tolles Thema. Und ich bin froh, ein Teil dieser Bewegung zu sein.“

Tätigkeit als Sportberichterstatter

Erinnerung an Größen des Sports in NRW

Engagement für paralympischen Sport

Exponat: Doppelendball des Vaters von 1947


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Walfried König

Walfried König

Walfried König

*1938
Leitender Ministerialrat im für Sportpolitik zuständigen Ministerium der Landesregierung NRW

Von 1975-2001 arbeitete Walfried König für die Landesregierung NRW. Seine Arbeit widmete er u.a. der Vernetzung von Sportpolitik und Sportwissenschaft.

Kurzbiografie

  •  Geboren 1938 in Bad Oyenhausen
  • Studium der Romanistik, Sportwissenschaft, Philosophie und Pädagogik in Freiburg i.Brsg., Grenoble, Münster und Hamburg; 1.Staatsexamen 1964
  • bis 1974 Referent für die Schulfächer Sport und Französisch
  • 1975 – 2001 Tätigkeit im für Sportpolitik zuständigen Ministerium der Landesregierung NRW
  • seit 1989 Lehrauftrag an der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln, Fachgebiet: Sportpolitik
  • 1986 Bundesverdienstkreuz am Bande
  • ab 1992 beratende Tätigkeiten im Büro des Sports bei der Europäischen Union
  • 2005 Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen

Walfried König über …

  • … den Sport der Nachkriegsjahre in Ostwestfalen

    „Ich bin 1944, also im letzten Kriegsjahr, in die Schule gekommen. Sie können sich vorstellen, dass das erste Schuljahr ständig unterbrochen war durch Bombenangriffe auf meinen Heimatort, der ein Verkehrsknotenpunkt in Ostwestfalen war. Also bin ich dann viereinhalb Jahre lang zur Grundschule gegangen, in Obernbeck, einem Dorf, das eigentlich zusammengehörte mit dem Ort Löhne und dort wohnte ich nun sehr nahe an dem einzigen Sportplatz im Ort. Ich erreichte ihn durch unseren Garten und über einen Acker. Und dort haben wir natürlich gespielt, all die Kinder in diesem Ortsteil, mit denen ich zum Teil dann aber auch den Schulweg gemeinsam erledigte, indem wir einen kleinen Hartgummiball oder auch nur ein Wollknäuel kreuz und quer über die Straße spielten, was damals problemlos möglich war.

    Ein Sportunterricht gab es in jener Zeit nicht. Das änderte sich erst, als ich 1949 als einziger Junge aus diesem Dorf ins Gymnasium Bad Oeynhausen wechselte. Dort gab es zwar Sportunterricht unter Leitung eines deutlich in die Jahre kommenden älteren Herren. In der Stundentafel standen zwei Sportstunden pro Woche, die aber nur zeitweilig erteilt wurden. Genauer gesagt, nur bei schönem Wetter, weil es überhaupt keine Sporthalle gab. Denn die einzige in Bad Oeynhausen verfügbare, war von der englischen Besatzungsmacht, die dort ihr Hauptquartier eingerichtet hatte. Sie wurde erst wieder frei, als dieses Hauptquartier nach Mönchengladbach-Rheindahlen verlagert wurde, Mitte der Fünfzigerjahre. Was wiederum bedeutet, dass ich in jener Zeit eine Halle erstmalig von innen gesehen habe. Das war also etwa 1954/1955.

    Entsprechend qualifiziert sah da meine Turnkunst aus, als ich dann meine Aufnahmeprüfung für das Sportstudium in Freiburg machen musste. Aber zuvor hatte ich natürlich schon eine gewisse sportliche Laufbahn gehabt in dem Verein, der als einer von zwei Vereinen in diesem Dorf existierte. Es war ein Turnverein, in dem auch Handball gespielt wurde. Geturnt wurde in einem Wirtshaussaal. Dort habe ich leichtsinnigerweise auch mal einen Nachmittag lang zu boxen versucht, aber habe das nach dem allerersten Versuch auch aufgegeben. Dafür war mir das Fußballspielen mit all den Jungen aus meinem Dorfteil viel zu lieb. Wir hatten natürlich unsere Straßenmannschaften und spielten gegeneinander. Das Lebensalter spielte dabei keine Rolle. Drei kleine galten so viel wie ein älterer. Und so entwickelte sich langsam eine gewisse Qualität, die mich dann etwa im Alter von zehn, elf Jahren in die sogenannte Schülermannschaft des Vereins führte, heute heißt das D-Jugend. Darunter gab es damals noch nichts. Also E oder F oder G waren völlig unvorstellbar. Genauso unvorstellbar war natürlich die Teilnahme irgendwelcher Mädchen. Aber dieses Spielen mit älteren, das hat natürlich sehr geschult. Und so spielte ich dann mit 13, vielleicht auch 14 Jahren zum ersten Mal in der Mannschaft meines Gymnasiums, wiederum natürlich mit wesentlich älteren. Wurde dann bald darauf in die Kreisauswahl von Herford berufen, dann ein, zwei Jahre später auch in die Ostwestfalen-Mannschaft und konnte jeweils auch ein paar Spieler meiner Mannschaft nachziehen. Später habe ich in mancher Rede, eben auch in denen für die Minister geschriebenen Reden darüber gespottet, dass jeder in seiner Jugend ja mal Kreismeister gewesen sei, also für mich trifft das in der Tat zu. Ja, das waren so die ersten Kontakte in den organisierten Sport hinein.“

  • … seine Wahrnehmung zu verbandlichen Strukturen in den 1950er-Jahren

    „Für die Jugendlichen spielte die Sportorganisation noch keine wesentliche Rolle. Das änderte sich erst durch die Berufung in die Ostwestfalenauswahl. Da habe ich begriffen, dass es Gremien gab, die für solche Regionen zuständig waren. Und mehr natürlich auch durch die Einladung zu Auswahllehrgängen in die Sportschule Kaiserau, wo ich dann begriffen habe, dass der Westfälische Fußball- und Leichtathletik-Verband dort ein großes Domizil hatte mit eigenen Trainern und wunderbaren Plätzen, die ich aus meinem Heimatort überhaupt noch nicht kannte. Denn bei uns gab es einen Platz, der bestand zur Hälfte aus Asche und zur anderen Hälfte aus wucherndem Rasen. In Kaiserau gab es schon gepflegte Rasenflächen. Ja, und darüber hinaus hatte die Sportschule den großen Vorzug, eine wunderbare Verpflegung anzubieten, wo man dann als Jugendlicher die Wurst oder auch den Käse gleich in zwei Schichten aufeinanderlegen durfte. Und da wurde mir klar, dass diese Verbände ein gewisses Eigengewicht haben und auch ein Eigenleben haben.
    Und diese Kenntnis erweiterte sich dann sukzessive im Laufe meiner weiteren Entwicklung. Da ich dann ja auch im Alter von 22 Jahren nach Kaiserau zurückgekehrt bin, um da meine Trainerlizenz zu erwerben. Da hatte ich nun endgültig begriffen, dass den Verbänden doch eine Funktion zukommt, von der wir Jugendlichen natürlich einfach nichts wussten.
    Wie auch der ADH, der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband. Der tauchte bei mir zum ersten Mal auf bei Siegerehrungen. Vorher wusste ich, da gibt es irgendjemand, der das organisiert. Und ich wusste auch, die haben eine Nationalmannschaft, aber, ach, das interessierte mich alles gar nicht.“

  • … die Anfänge der Sportpolitik im Kultusministerium

    „Ich bin dann im Januar 1975 in Düsseldorf tätig geworden. Ich war für den Sport hier im Lande natürlich ein unbeschriebenes Blatt. Aber es war für mich nützlich, dann doch immer wieder sagen zu können ‚Liebe Leute, ich bin nicht einfach nur der Mann, der am Büroschreibtisch Innenministerium sitzt, sondern ich habe auch eine Trainerlizenz.‘ Ich habe Spieler-Erfahrungen, und ich habe auch mehrere Jahre in Vorständen eines Landesverbands und eines Landessportbundes hinter mir. Und darüber hinaus zähle ich zu den Gründern des Freiburger Kreises. Also sie können davon ausgehen, dass sich die Situation von Vereinen und Verbänden kenne. Und zwar mit dem, was sie zu leisten vermögen, aber auch mit dem, wo sie an ihre Grenzen stoßen, also, wo sie mit Problemen zu kämpfen haben. Und ich sehe meine Aufgabe darin, diesen Vereinen mit den Möglichkeiten zu helfen, die ich nun in dem für Sport zuständigen Ministerium habe, das war zu jener Zeit das Kultusministerium. Doch wer waren wir im Kultusministerium?

    Wir waren zunächst nur ein paar einzelne Referate, zuständig für den Schulsport und ein bisschen auch für die anderen Sportangelegenheiten, soweit ein Schulministerium sich darum zu kümmern, das Recht für sich beansprucht.
    Natürlich hatten wir auch schon ein Referat, dass sich um Finanzangelegenheiten kümmerte. Und so wurden wir dann als eine Einheit von zunächst nur vier Referaten – nach meiner Erinnerung, möglicherweise auch schon fünf – zu einer sogenannten Gruppe innerhalb einer Schulabteilung. Nicht mehr. Wir hatten einen Abteilungsleiter, der sich vorrangig natürlich mit allgemeinen Angelegenheiten der schulischen Entwicklung zu befassen hatte.
    Das hatte Vor- und Nachteile. Den Nachteil, dass er sich natürlich für Sportangelegenheiten weniger interessierte, aber auch den Vorteil, dass wir große Freiheit hatten, das zu tun, was Johannes Eulering und ich für erforderlich hielten. Und von diesem Recht und von dieser Möglichkeit haben wir großzügig Gebrauch gemacht, wobei wir von Anfang an uns als ein Gespann gesehen haben, wo er der Vorgesetzte war, als neuberufener Gruppenleiter und ich eben Referatsleiter für den Schulsport und den Hochschulsport und ein paar andere Dinge, die dazu gehörten. Nun darf man dazu nicht vergessen, dass der Sport in jener Zeit auch in der politischen Wertung einen weiten Weg zu absolvieren hatte.“

     

  • … das Aktionsprogramm Breitensport

    „Neben den Behinderten oder chronisch Kranken will ich noch erwähnen, dass die Erfahrungen, die wir mit dem Programm für Infarktrehabilitanten gemacht haben, uns auch sehr genützt haben bei unserer Absicht, Sport für Diabetiker einzuführen. Das ging allerdings nicht genauso direkt wie bei den Infarktpatienten, weil es keine hinreichenden wissenschaftlichen Grundlagen dazu gab. Wir mussten also erst ein Forschungsprojekt in Auftrag geben. Das haben wir dann an die Universität Paderborn vergeben, wo einer meiner früheren Studienkollegen aus Freiburg für die Medizin zuständig war, der auch gleichzeitig Präsident der deutschen Diabetologen-Gesellschaft war. Also eine zufällige Fügung und Wolf-Dieter Brettschneider, der erstgenannte war Professor Dieter Grüneklee, hat dann den sportlichen Teil übernommen in einem Projekt, das zwei Jahre gedauert hat. Bei dessen Abschluss wussten wir auch, dass für Diabetiker dieser Sport eingeführt werden kann. Natürlich unter Bedingungen, und zwar eben auch unter der Bedingung der Verfügbarkeit von Notfallgeräten, die wir dann bis zu 50 Prozent finanziell gefördert haben. Sowie alle diese Bemühungen, die wir gestartet haben, immer auch darauf hinausliefen, neu gegründete Organisationseinheiten auf Sportvereine zuzuführen. Das haben die Sportorganisationen nicht immer von Anfang an verstanden. Sie haben zum Teil geglaubt, hier solle ein neuer kommunaler Sport aufgebaut werden. Diese Auffassung war falsch von Anfang an. Denn wir haben immer gesagt, wir wollen es nutzen, dass das regelmäßige Sporttreiben in Sportvereinen eben doch stabilisierend wirkt und natürlich auch diese Sozialkontakte bringt, die wir uns wünschen. Das kann bei Angeboten anderer Anbieter, wie kommunale Sportämter oder wer auch immer sich dann meldete, um solche neuen Aktivitäten in einem Ort aufzubauen, nicht von vornherein angenommen werden. Aber das Ziel ist immer wieder dasselbe: Es sollte Richtung Verein gehen.

    Das galt dann eben auch für Projekte, die nicht alle gelungen sind. Wir haben versucht, den Hochschulsport den Vereinen näher zu bringen. Zum Teil mit einfachen Maßnahmen, nämlich Öffnung der Hochschulsportstätten für die örtlichen Vereine unter der Bedingung, dass die Kommunen auch wiederum ihre Sportstätten für die Hochschulen öffneten. Aber dann auch ein Projekt wie ‚Sport für Schichtarbeiter‘. Bezeichnenderweise sprechen die Belgier hier von ‚troix fois huit‘ also dreimal acht Stunden. Das macht ja deutlich, dass man mal in einer dieser drei Einheiten arbeiten muss, in einer Einheit schlafen muss und nur ein kleiner Rest übrigbleibt, der aber in unterschiedlichen Tageszeiten stattfindet. Und dass man dann Schwierigkeiten hat, am Vereinsleben teilzunehmen. Also haben wir ein solches Projekt versucht in Hattingen mit einer dort beheimateten großen Firma. Das hat nicht so gut geklappt.

    Dann haben wir uns der Immigranten angenommen. Wer in Nordrhein-Westfalen ankam, in einem Lager, und dann von dort aus weitergereicht wurde, in einzelne Orte, wurde in dieser Zentralstelle zunächst mal auch mit Sport konfrontiert und kriegte anschließend Adressen von Sportvereinen der Orte, in die er dann weitergeleitet wurde. Weitere Aktivitäten galten dem Strafvollzug und so weiter. Also alle diese verschiedenen Gruppen wurden mit dem jeweils erreichten Arbeitsstand in diesem Aktionsprogramm Breitensport angesprochen. Der Stand wurde beschrieben und er konnte nicht überall gleich sein. Daraus erklärt sich auch, wenn man dieses Textchen heute liest, der unterschiedliche Ausführlichkeitsgrad. Ich habe nachgelesen, dass wir Anfang der 80er Jahre irgendwann mal sagen konnten bei der Berichterstattung im Landtag, dass wir gegenwärtig gerade […] auf 13 verschiedenen Arbeitsfeldern tätig seien. Alle bezogen eben auf diese soziale Offensive, die der Regierungspolitik ja damals auch voll und ganz entsprach. Wobei ich Anlass habe zu sagen, dass die Minister Jürgen Girgensohn und Hans Schwier und ihre Staatssekretäre uns niemals irgendwelche Schwierigkeiten gemacht haben, uns immer wieder unterstützt haben, unsere Organisationseinheit im Ministerium auch weiter aufgebaut haben.“

  • … die Sportministerkonferenz

    „Wir waren auch maßgeblich beteiligt, nicht nur an der Weiterschreibung des Aktionsprogramms für den Schulsport im Jahr 1984/85, wo ich dann die Federführung hatte auf der staatlichen Seite, während Ommo Grupe die Federführung hatte auf der Seite der Sportorganisationen. Er war damals Vizepräsident des DSB, sondern wir waren auch maßgeblich beteiligt an den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur Talentsichtung und Talentförderung. Sodass unsere Erfahrungen, wie auch die Erfahrungen aus Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, das waren eigentlich die führenden Länder, festgeschrieben und auch in andere Bundesländer übertragen wurden. Dieses spielte natürlich nicht nur eine Rolle in der Kultusministerkonferenz, sondern mehr und mehr auch in der Sportministerkonferenz, die wir im Jahr 1977 in Düsseldorf gegründet hatten. Es war also eine ausschließlich von Nordrhein-Westfalen ausgehende Initiative, zunächst einmal die Staatssekretäre der anderen Länder einzuladen, um eine solche neue Konkurrenz zu gründen, parallel zur Kultusministerkonferenz und Finanzministerkonferenz und so weiter und anschließend dann auch die Minister hierzu einzuladen. Da die Staatssekretäre ‚Ja‘ gesagt hatten, haben wir dann die erste Ministerkonferenz im Jahre 1976 in Bonn durchgeführt unter Leitung des nordrhein-westfälischen Kultusministers Jürgen Girgensohn. Und wir waren praktisch zehn Jahre lang immer wieder entweder Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender dieser Sportministerkonferenz, die sich mehr und mehr konsolidierte, bevor sie dann in der Mitte der 80er Jahre in den Vorsitz-Wechselrhythmus einmündete, den wir aus der Kultusministerkonferenz übernommen haben. Allerdings mit dem Unterschied, dass in der Sportministerkonferenz der Rhythmus nur alle zwei Jahre wechselt. Aber in dieser Sportministerkonferenz wurden dann wirklich alle Fragen thematisiert, die man vorher im Kultusbereich nicht so sehr hatte thematisieren können. Also die Fragen der Sportstätten mit den Bestandsaufnahmen beziehungsweise mit den Stellungnahmen zu den weiter geschriebenen Texten zum Goldenen Plan, mit der Entwicklung des Leistungs- und Spitzensports, mit Sportinitiativen in den verschiedenen anderen Feldern und eben auch mit Stellungnahmen zur europäischen Sportpolitik, wo Nordrhein-Westfalen dann die Federführung hatte von 1975 bis 2001 – 27 Jahre lang durch mich als Person wahrgenommen. Mit anderen Worten: Hätte ich das Land noch einmal gewechselt, dann hätte ich diese Position in ein anderes Bundesland mitgenommen. Es war trotzdem das Verdienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Ich gehörte ja schließlich dieser Regierung hier an, beziehungsweise der Verwaltung, und das Land hat mir die Möglichkeit gegeben, die Wahrnehmung der Interessen aller Länder auch durchzuführen im Hinblick auf Europarat, Europäische Union und die UNESCO.“

Sportpolitische Wende um 1970

Sportministerkonferenz

Sportpolitische Aktivitäten der 1980er-Jahre


Hier finden Sie in Kürze das vollständige Interview im PDF-Format:

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Manfred Lämmer

Manfred Lämmer

Manfred Lämmer

*1943
Sporthistoriker

Von 1975 bis 2008 war Manfred Lämmer Leiter des Instituts für Sportgeschichte an der Deutschen Sporthochschule Köln. Sein Wirken umfasst eine Vielzahl an Funktionen im organisierten Sport – und nicht zuletzt ein andauerndes Engagement für die deutsch-israelischen Beziehungen.

Kurzbiografie

  • Geboren 1943 in Gladbeck
  • 1962 Abitur am Gymnasium Theodorianum in Paderborn
  • 1962-1965 Studium zum Diplomsportlehrer an der Deutschen Sporthochschule Köln
  • 1962-1967 Studium der Fächer Griechisch, Latein und Geschichte an der Universität zu Köln Promotion zum Dr. phil. in Geschichte und Klassischer Philologie
  • 1972-2005 Mitglied des Präsidiums der Deutschen Olympischen Gesellschaft
  • 1972-2006 Mitwirkung an der inhaltlichen Vorbereitung und wissenschaftlichen Begleitung aller Olympischen Spiele für das NOK für Deutschland
  • 1975 Berufung zum Professor und zum Leiter des Instituts für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln
  • 1981 Mitinitiator und Leiter des Aufbaustabs des Deutschen Sport- und Olympia-Museums in Köln
  • Seit 1993 Mitglied des Direktoriums des Deutschen Olympischen Instituts

Manfred Lämmer über …

  • … Schulzeiten am Gymnasium Theodorianum in Paderborn

    „Ich bin ein echtes Kind des Kohlenpotts, geboren in Gladbeck, nach der Aussage meiner Mutter 1943 während eines alliierten Luftangriffs und wurde dann im Keller notgetauft. Wenige Monate später wurden wir nach Ostwestfalen evakuiert, in ein kleines Dorf bei Paderborn, wo wir dann später auch wohnten. Und dort in der Kaiser-, Bischofs- und Hansestadt, bin ich im katholischen Milieu sozialisiert worden.
    Entscheidende Impulse, wie ich das heute sehe, gingen von meiner Schulbildung aus. Ich war Schüler des staatlichen altsprachlichen Gymnasiums Theodorianum, eine alte Jesuitenschule, die nach dem Kriege und nach der Zerstörung dann wieder den Betrieb aufnahm. Und was an dieser Schule entgegen dem Vorurteil, dass man manchmal hat herrschte, war auf der einen Seite eine sehr starke Betonung der klassischen Fächer Griechisch, Latein. Aber auf der anderen Seite war unsere Schule bekannt für ihre Nähe zum Sport.
    Die Schule hatte sofort nach dem Wiederaufbau eine große Turnhalle, was damals selten war. Das war schon 1951/52.
    In Paderborn wurde ein Bad wiedererrichtet, das Kaiser-Karls-Bad. Und aus den Trümmern der Stadt, die ja neben Düren und Pforzheim zu den zerstörtesten Städten Deutschlands gehörte, wurde das Inselbadstadion errichtet. Das heißt, die Trümmer wurden benutzt, um die Wälle aufzuschütten. Wir haben damals Lehrer gehabt, die nicht die Kombination Sport-Biologie, Sport-Geografie hatten, sondern alle Lehrer, die ich hatte, hatten im Hauptfach Griechisch oder Latein und im Nebenfach Sport. Und wir sahen sie nicht nur in der Schule. Wir sahen Sie auch nachmittags als Trainer auf dem Sportplatz.“

  • … Bannerwettkämpfe und eine besondere Begegnung mit Harald Norpoth

    „Ich habe nicht nur Fußball gespielt. Ich muss auch zugeben, dass sich erst im Turnverein TV 1875 war, dann im Paderborner Schwimmverein. Aber das Schwimmen lag mir überhaupt nicht. Ich wollte es, aber es lag mir nicht. Und so war der Fußballverein erst die dritte Wahl. Aber die beiden anderen sportlichen Tätigkeiten waren nur sehr kurz.
    Ich erinnere mich vor allen Dingen an die schulischen Wettkämpfe, die sogenannten westfälischen Bannerwettkämpfe. Die höheren Schulen in Westfalen haben jedes Jahr die Bannerwettkämpfe um ein Banner ausgetragen. Und unsere Schule, das Helmholtz-Gymnasium in Essen und das Marianum in Münster, das waren die Schulen, die immer an der Spitze lagen.
    Und diese Bannerwettkämpfe fanden immer an irgendeinem zentralen Ort statt. Ich erinnere mich noch an die Bannerwettkämpfe, die mal in Olpe stattfanden, im Sauerland. Und da hat man mich dazu verdonnert, in der 3x 1000 Meter-Staffel zu laufen. Ich war ein recht guter Mittelstreckler, muss ich sagen. Der 1500 Meter-Lauf war das Einzige später im Zehnkampf, was ich gewonnen habe.
    Ich übernahm also den Stab mit einem Riesenvorsprung, ich würde sagen 150-200 Meter und dachte: Das fährst du jetzt nach Hause! Plötzlich spüre hinter mir, dass da einer aufholt und er zieht an mir vorbei. Ich war regelrecht schockiert. Es stellte sich heraus, es war Harald Norpoth vom Gymnasium Telgte, dem Deutschen Meister und internationalen Langstreckler über 5000 Meter und 10.000 Meter. Das war so ein Erlebnis.
    Im Übrigen hatten wir in Paderborn wirklich das Glück, was selbst heute kaum eine Schule hat. Und zwar, dass das neu errichtete Kaiser-Karls-Bad ein Hallenbad bereits 1952 im vorher so zerstörten Paderborn wieder errichtet wurde, dass das keine fünf Minuten zu Fuß von der Schule waren. Wir haben also ohne großen Zeitverlust samstagmorgens immer Schwimmunterricht gehabt. Da träumt heute manche Schule von.“

  • … die Anfänge seines Wirkens während des Studiums an der DSHS Köln

    „Wir hatten damals eine ganze Galerie von Persönlichkeiten des Sports, die man heute auch noch als Lehrer kennt. Fußball habe ich gelernt bei Hennes Weisweiler, Turnen bei Helmut Banz mit mehr oder weniger geringem Erfolg. Andere bekannte Persönlichkeiten, Olympia-Teilnehmer von 1936, zum Beispiel Nettesheim und andere haben hier damals als Dozenten gewirkt. Die damalige Ausbildung war sehr stark auf die Praxis ausgerichtet, im Gegensatz zu heute, wo man ja von Sportwissenschaft spricht. Aus meiner Sicht wird die Praxis heute bedauerlicherweise sehr stark in der Ausbildung vernachlässigt.
    Das war die Zeit 1962/63. Wir waren kleine Semester, ich kenne die Zahlen nicht mehr. Aber während heute ein Semester 400-500 Studenten umfasst, waren das damals vielleicht 40-45.
    Ganz entscheidend damals für meinen beruflichen Bildungsweg war die Tatsache, dass ich Mitglied der Deutschen Olympischen Gesellschaft wurde und damals an einer der ersten Griechenland-Fahrten der DOG teilnahm, die von Herrn Doktor Kebernik aus Hersfeld über bestimmt 20 Jahre geleitet wurden. Und danach habe ich mich entschlossen, den Sport und das Interesse an der griechischen Antike miteinander zu verbinden.
    Ich habe schon sehr früh, ich glaube im zweiten Semester, nachdem Diem gestorben war, von seinem Nachfolger Professor Werner Körbs das Angebot bekommen, als studentische Hilfskraft bei ihm tätig zu werden. Und kurz darauf wurde dann auch die Hochschule in verschiedene Institute und Seminare geteilt und eines davon war der Geschichte zugewiesen. Aber Professor Körbs wurde Nachfolger von Diem als Rektor und konnte sich sehr wenig um den Aufbau dieses Instituts kümmern. Also hat er mir als jungen Studenten einen aus meiner heutigen Sicht unerklärlichen Freiraum gelassen. Ich konnte dort Bücher kaufen, ich konnte das Institut aufbauen ich war immer noch Student. Ich habe dann 1965 mein Diplom gemacht. Und schon in dieser Zeit hatte ich mich sehr stark auf die Olympischen Spiele der Antike fokussiert.
    Körbs hat mich dahingehend geprägt, dass er mich darauf aufmerksam machte, dass die antiken Olympischen Spiele in dieser romantisierenden und idealisierenden Sicht, die man damals vor allen Dingen auch in Sportkreisen vertrat, nicht der Realität entsprachen, die sich aus den objektiven Quellen ergaben. Und da habe ich dann eine Diplomarbeit geschrieben, die später auch meine Promotionsarbeit wurde.“

  • … die drei großen Enttäuschungen im Leben des Willi Daume

    „Also Willi Daume ist ja auch ein Kind aus Nordrhein-Westfalen. Er ist in Hückeswagen geboren. Er hat lange Zeit in Dortmund als Unternehmer und als Sportfunktionär gewirkt und ist ja eigentlich nur durch die Olympischen Spiele 1972 nach München gekommen.
    Willi Daume hat in seinem Leben sicherlich drei große Enttäuschungen erlebt, aus der ersten hat er etwas Positives gewonnen. Das war die IOC-Session 1965 in Madrid, als das IOC beschloss, das von 1968 an die deutsche politische Wirklichkeit durch zwei Olympiamannschaften verdeutlicht werden sollte.
    Er hat mir das selbst erzählt, wie er sich in der Nacht danach im Bett umgedreht hatte. Und dann kam nun diese offensichtliche Niederlage, wie er dies nun zu Hause darstellen sollte. Ob er das später ein bisschen geschönt hat oder nicht, weiß ich nicht, aber da ist ihm schon der Gedanke gekommen: Jetzt erst recht! Jetzt bewerben wir uns um Olympische Spiele und wir nutzen diese Niederlage zu einem Aufbruch.
    Und dann hat er in einem Parforceritt, der uns heute unverständlich erscheint, von genau zwei Monaten die olympische Bewerbung zustande gebracht, um sie am 31. Dezember 1965 gerade noch durch den deutschen Konsul in Genf dem IOC überbringen zu können.
    Heute dauern solche Dinge ja sieben Jahre, acht Jahre und so weiter. Also das war die erste große Enttäuschung. Aber daraus hat er etwas Positives gewonnen.
    Die zweite Enttäuschung waren natürlich die Spiele selbst, die er ja als Gesamtkunstwerk und als Spiele in einer gewissen Lockerheit und Heiterkeit geplant hat. Und so sollten sie später auch vor der Geschichte stehen. Und das ist natürlich durch das Attentat durch die palästinensischen Terroristen zerstört worden. Und es ist schon so, wenn man heute fragt: ‚An was erinnerst du dich 1972 in München?‘ Dann sagen 80 Prozent aller Befragten: ‚Da war doch was mit einem Attentat?!’ Das ist natürlich schade, denn Daume wollte etwas anderes. Diejenigen, die die Spiele jenseits des Attentates beurteilen, die ganze Anlage der Spiele, die Architektur der Sportstätten und so weiter, die sehen das heute nach wie vor anders. Dass das Spiele waren, die eine neue Dimension der olympischen Bewegung eingeläutet haben. Man kann sagen, die ersten Spiele, die wirklich was Neues waren, waren die Berliner Spiele, die zweiten die Münchener und die dritten die in Barcelona.
    Die dritte Enttäuschung, die er hatte, kam nämlich in Moskau 1980, als er nicht zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees gewählt wurde. Das ist ein bisschen zwiespältig. Ich muss sagen, wir haben oft darüber gesprochen. Willi Daume hat uns gegenüber immer wieder gesagt: ‚Das war alles wegen des Boykotts und so weiter!‘ Die um ihn herum haben das nicht geglaubt. Die Vorbereitung auf diese Wahl, die der clevere Diplomat Samaranch vorher in Moskau betrieben hatte. Der hatte so viel Netzarbeit betrieben, dass das der Hauptgrund war, dass er gewählt wurde. Wir glauben nicht, dass der Olympia-Boykott des westdeutschen NOK dort eine Rolle gespielt hat.“

  • … die Vorreiterrolle NRWs bezüglich der deutsch-israelischen Beziehungen

    „Die Reise nach Israel ist noch von Carl Diem mit vorbereitet worden. Carl Diem sollte die Studenten begleiten, was auch dafür bezeichnend ist, was für ein Bild man in Israel und hier von Carl Diem damals hatte. Und dann starb er und an seiner Stelle ist seine Frau mitgefahren. Wir sind 25, 26 Studenten gewesen und wir sind damals an das Wingate Institut gefahren. Das war die zentrale Ausbildungsstätte des israelischen Sports, damals so auf Collegeniveau, aber schon sehr differenziert. Das war also eine Einrichtung: Wir würden sagen, das war eine Sporthochschule und gleichzeitig der Landessportbund und alles. Weil ja Israel so ein kleines Land war, damals mit nur 3,5 Millionen Einwohnern, so viele wie heute Berlin. Und diese Reise habe ich mitgemacht.
    Und Nordrhein-Westfalen war ja das erste Bundesland, das Kontakt zu Israel aufgenommen hatte und zwar 1961 durch den Landesjugendring und durch eine Reise einer Gruppe des Landessportbundes. Aber das waren keine Sportler, das waren Funktionäre. Wir waren dann 1963 die ersten Sportler. Die Reise war ein durchschlagender Erfolg, was uns kaum jemand glauben wollte, wir sind dort als junge Deutsche in einer Weise aufgenommen worden, dass man nicht für möglich gehalten hat. Niemand hat sich in irgendeiner Weise uns gegenüber negativ geäußert. Wir wurden eingeladen in die Familien. Es war eine Zeit, in der man, wenn man einen Bus bestieg, nun ausschließlich vor und hinter einem Deutsch hörte. Heute hört man Englisch oder Hebräisch oder Russisch. Das war damals also sehr stark noch aus dem deutschen Kulturraum geprägt. Wir sind so nah an die Menschen rangekommen, dass fast alle aus dieser Gruppe begeistert waren. Und ich habe dann die zweite Reise 1964 auch mitorganisiert, habe dann schon 1967 auf einem Kongress dort ein Vortrag über jüdische Sportgeschichte gehalten. 1971 haben wir dann die erste Hochschulpartnerschaft zwischen einer deutschen und einer israelischen Hochschule begründet. Das war die Partnerschaft der Deutschen Sporthochschule Köln und dem Wingate Institut in Natanya. Bis zu dem Zeitpunkt hatte keine deutsche Universität ähnlich intensive Verbindungen mit Israel. Der Sport hat hier den ersten Schritt getan und der Sport hatte es viel leichter als die Wissenschaft oder die Kultur.
    Und dann kamen diese Jahre der Sechziger und Siebziger, wo dann durch die Freundschaft von Hennes Weisweiler und Edi Schaffer, die ja hier an der Sporthochschule entstanden war, diese intensiven Sportbeziehungen weitergeführt worden.
    Ich war Mitglied im TuS 04 Leverkusen und Bayer Leverkusen und TuS 04 hatte damals die hervorragenden Leichtathleten. Und mit denen haben wir zwei Trainingslager vor den Olympischen Spielen in München gemacht. Das weiß heute auch niemand, dass ausgerechnet in Israel die Trainingslager der Leichtathleten stattgefunden hatten. Weil es im Frühjahr warm war, weil es diese Einrichtungen wie Estepona und Fuerteventura noch nicht gab und weil Flüge nach Kalifornien enorm teuer wo gewesen wären. Und deshalb sind die Leichtathleten ab 1969/70/71 nach Israel gefahren.“

  • … das Spiel Borussia Mönchengladbach gegen die israelische Nationalmannschaft 1970

    „Was interessant war und was auch für Nordrhein-Westfalen spricht, ist das die Israel-Mission, die all die Warenlieferungen des Luxemburger Wiedergutmachungsabkommens abwickelte von 1953 bis 1965 in Köln an der Subbelrather Straße errichtet worden war. Die israelischen Studenten, die hier an der Sporthochschule waren, die haben sich ihr Studium dadurch verdient, dass sie nachts diese Israel-Mission bewacht haben. Die haben dann Nachtdienst getan oder auf dem Kölner Flughafen Flugzeuge entladen.

    Und Schaffer und Weisweiler waren unzertrennlich. Und während des Studiums hat Schaffer dann die Fußballmannschaft von Rhenania Würselen trainiert. Und dann wurde Hennes Weisweiler 1968 eingeladen zu einem Lehrgang in Israel und hat dort 14 Tage doziert. Und da kam den beiden dann der Gedanke: Wir müssten doch mal ein Spiel machen zwischen Borussia Mönchengladbach und einer israelischen Mannschaft. Und da hat man dann vereinbart, im Februar 1970 ein Spiel gegen die israelische Nationalmannschaft zumachen.
    Und dieses Spiel war bedroht dadurch, dass wenige Tage vorher zwei Attentate verübt wurden, auf eine El-Al-Maschine in München und auf eine Swissair-Maschine, die über dem Mittelmeer explodierte. Also das war der Höhepunkt des Terrorismus.
    Die Spieler von Borussia Mönchengladbach und die Familienangehörigen hatten sehr große Sorge, dass die nun nach Israel wollten. Und das zweite Attentat, das mit der Swissair, war nur drei oder vier Tage vorher. Und dann hat Herr Grashoff, der Geschäftsführer von Borussia Mönchengladbach, sich an dem Wochenende an die Bundesregierung gewandt und gefragt, was er machen könnte. Die wollten montags fliegen, Dienstag sollte gespielt werden und am Freitag oder Samstag hat er sich an die Bundesregierung gewandt.
    Und daraufhin hat Bundesinnenminister Genscher mit dem Verteidigungsministerium entschieden, dass eine Maschine der deutschen Luftwaffe nun auf einer NATO-Route nachts nach Israel flog und die Mannschaft nach Israel brachte. Damals war das ein Tabubruch.
    Ich habe ja ein Buch geschrieben über die deutsch-israelische Fußballfreundschaft und habe darin auch Ergebnisse von Befragungen der Spieler gehabt. Und die Erinnerungen sind da seltsamerweise sehr widersprüchlich. Aber Berti Vogts saß im Cockpit und hat sich alles erklären lassen. Die Maschine hatte nicht einmal richtige Sitze, es war eine Transportmaschine, die für Frachtflüge von der Bundeswehr benutzt wurde. Und gegenüber der Flugsicherung wurde angegeben, es handelt sich um einen Versorgungsflug mit Lebensmitteln für Biafra. Und so ist die Maschine gestartet und über dem westlichen Mittelmeer plötzlich nach Osten abgebogen und nach Israel geflogen. Also eine unglaubliche Geschichte.
    In Israel hatte man schon gedacht, die kommen nicht. Und dann wurde die Mannschaft in Tel Aviv mit großer Begeisterung begrüßt. Aber noch begeisterter waren die israelischen Zuschauer, als die Borussen die israelische Nationalmannschaft mit 6:0 schlugen. Die Israelis waren auf dem Weg nach Mexiko. Sie wollten sich qualifizieren für die Weltmeisterschaft, in der Halbzeit stand es 3:0 für Deutschland. Schaffer hat mir das selbst erzählt, sagt er: ‚Kam der Hennes in die Kabine und sagte zu mir: Edi, sollen wir so weiterspielen oder sollen wir uns zurückhalten?‘ Und daraufhin hat Schaffer zu Weisweiler gesagt: ‚Spielt weiter so. Meine Leute sollen wissen, wie hoch die Trauben in Mexiko hängen.‘
    Und dann hat sich Israel das einzige Mal überhaupt für die Weltmeisterschaft qualifiziert und sind nur sehr unglücklich ausgeschieden, nach zwei Unentschieden und einer Niederlage. Die haben gegen Schweden unentschieden gespielt und da eine sehr gute Figur abgegeben. Noch heute erinnert sich eine ältere Generation an dieses Spiel vor 30.000 Zuschauern im Jaffa Stadion. Noch bis Mitternacht wurden die Spieler auf dem Balkon des Hotels immer wieder rausgeholt und berittene Polizei musste für Ordnung sorgen. Und dann ist Borussia Mönchengladbach 14 Jahre lang nach Israel gefahren, immer über Weihnachten ins Trainingslager und haben dort Spiele veranstaltet. Welche Mannschaft würde das heute noch machen, welche Profimannschaft? So eng war die Freundschaft zwischen den beiden. Und dann, als Weisweiler zum FC ging, hat er genau dasselbe mit dem FC gemacht. Die sind auch sieben, acht Jahre lang nach Israel gefahren, haben dort Trainingslager bezogen und Spiele veranstaltet. Also was Weisweiler und Schaffer mit zwei Mannschaften aus dem nordrhein-westfälischen Raum dort gemacht haben, ist damals außerordentlich beachtet worden. Ich glaube, das ist nicht übertrieben. Der deutsche Fußball hat das Bild, das Israelis damals von Deutschland hatten, entscheidend verändert. Das war eine Sympathiewerbung erster Güte.“

Sport am Paderborner Theodorianum

Die erste Israel-Reise deutscher SportlerInnen 1963

Das Institut für Sportgeschichte

Der Marathon zum musealen Olympia

Standortsuche für das Deutsche Sport und Olympia Museum


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Birgitt Palzkill

Birgitt Palzkill

Birgitt Palzkill

*1952
Pionierin der Themen Geschlechterfragen und sexualisierte Gewalt im Sport

Die promovierte Soziologin, Lehrerin und ehemalige Leistungssportlerin forscht zum Thema Rollenbilder und konfrontierte die (Sport-)Öffentlichkeit 1998 mit sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Sport.

Kurzbiografie

  • Geboren 1952 in Aachen
  • 1967-1970 LG PSV Wuppertal/ Wuppertaler SV (Leichtathletik)
  • 1970 Vize-Europa-Meisterschaft Juniorinnen im Kugelstoßen
  • 1970-1976 Diplom-Studium der Mathematik an der Uni Köln
  • 1971-1978 TuS Leverkusen (Basketball)
  • 1974-1978 Bundesdeutsche Nationalspielern im Basketball
  • 1976-1980 Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln, Staatsexamen Lehramt
  • 1979-1983 Agon Düsseldorf – Dreifache bundesdeutsche Meisterin (1980,1981,1983)
  • 1980-2016 Lehrerin an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Leverkusen
  • 1990 Veröffentlichung „Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh“ – Identitätsentwicklung lesbischer Leistungssportlerinnen
  • 1998 mit Michael Klein Veröffentlich der ersten Studie zu sexualisierter Gewalt im Sport
  • 2017-heute Unabhängige Beauftrage zum Schutz vor sexualisierter Gewalt des LSB NRW

Birgitt Palzkill über …

  • … Kinderspiele auf der Straße und (mangelnden) Sportunterricht

    „Ich bin 1952 in Aachen geboren. Die Zeit damals war durchaus noch vom Krieg geprägt. Gespielt haben wir auf der Straße. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, ich bin mit dreieinhalb Jahren alleine quer durch Aachen gelaufen. Allerdings war das nicht geplant, später wurde ich von der Polizei eingefangen und nach längerem Hin und Her nach Hause gebracht. Ich bin allerdings dann schon mit fünf Jahren von Aachen nach Stolberg gezogen. Mein Vater hat sich beruflich sehr oft verändert, von daher hatte ich viele Umzüge. Ich bin dann in einem kleinen Dorf eingeschult worden. Das war dann sechs Jahre später, also 1958. In dem Dorf gab es keine Sporthalle, keinen Sportplatz, gar nichts.
    […] Sport hatten wir in der Schule offiziell schon, aber das lief so ab: Zu den Zeugnissen mussten wir dann alle mal aufstehen und dann gab es eine Sportnote, das ging dann nach Figur. Ich kriegte dann eine Vier. Von daher war da mit Sport überhaupt nichts.
    Ich bin dann zum Gymnasium gegangen, da hatte ich dann schon vernünftigen Sportunterricht. Allerdings habe ich zu der Zeit vor allen Dingen Musik gemacht, also gar keinen Sport. Als ich dann in der siebten Klasse nach Wuppertal umgezogen bin, da wollte mich der Musiklehrer nicht in seinem Orchester haben. Das war sozusagen dann der Anlass für mich. Die Sportlehrerin hat mich dann in einen Verein geschickt. Ich wäre auch selber gar nicht auf die Idee gekommen, aber die hat wohl mein Talent erkannt. Und ich bin dann am Anfang der Sechziger irgendwann in den Wuppertaler Sportverein gegangen.
    Als Kind waren die Spiele vor allen Dingen Radfahren und Rollerfahren. Ich hatte einen roten Roller, das war mein Ein und Alles – und beim Polizeipräsidium klingeln und weglaufen. Es waren also Alltagsbewegungen. An Ballspiele erinnere ich mich eigentlich gar nicht. Später dann in dem kleinen Dorf, erinnere ich mich an diese monotonen Ballspiele. Zum Beispiel Ball an die Wand, da musste man dann hintenrum werfen und obenrum werfen, der Ball durfte nicht auf den Boden fallen. Dann auch solche Kriegsspiele, also solche Geschichten und Murmelspiele. Handball, Basketball oder Fußball gab es eigentlich nicht und es wurde gemischt gespielt. Ich kann mich da gar nicht an eine richtige Geschlechterzuordnung erinnern.
    In der Grundschule gab es keinen Sport und ich war ja an einem Mädchengymnasium. Von daher war das sowieso schon mal getrennt, sodass das kein Thema war.“

  • … ihr Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln

    „Ich habe 1976 mein Diplom in Mathematik gemacht und habe dann aber gedacht: Ich möchte lieber in die Schule gehen. Ich habe mir also das Diplom als Staatsexamen gutschreiben lassen und wollte dann aber nicht mit einem Fach in die Schule gehen. Ich habe dann 1976 angefangen, hier an der Sporthochschule noch zu Sport studieren, damit ich dann zwei Fächer hatte, mit denen ich in die Schule gehen konnte.
    Mir hat das Sportstudium ausgesprochen Spaß gemacht. Ich würde sagen, dass es familiärer war als heute. Damals gab es ja auch noch die Wohnheime hier auf dem Gelände. Ich weiß gar nicht, was da jetzt in diesen Quergebäuden ist. Das war ein sehr familiärer Betrieb hier. Und da ich in keiner Sportart außer Schwimmen Schwierigkeiten hatte, hat es mir eigentlich auch total viel Spaß gemacht. Außer dem Schwimmen war es ein einziges Vergnügen für mich.
    Ich kam ja aus dem Dorf, wie ich schon sagte, wo es auch kein Schwimmbad gab. Und ich war Nichtschwimmerin. Damals gab es noch keine Aufnahmeprüfungen an der Sporthochschule, das heißt, ich kam als Nichtschwimmerin hier hin, mit der naiven Vorstellung, ich studiere Sport, ich lerne das Schwimmen. Ich hatte hier mit Frau Fastrich meinen Schwimmkurs. Und die sagte dann: ‚Schwimmen sie sich mal fünf Bahnen ein.‘ Ich dachte: Oho, ja gut. Und bin dann erst mal wieder gegangen und habe dann bei Wilke das Anfängerschwimmen belegt. Ich habe dann tatsächlich Schwimmen gelernt. Das war zwar nicht so geplant, es war eigentlich mehr so gedacht, dass man dann die Didaktik für das Unterrichten des Anfängerschwimmens lernt. Aber auf die Art und Weise habe ich dann hier an der Sporthochschule schwimmen gelernt und habe dann auch einigermaßen mein Studium abschließen können.
    Ich habe dann von Diplom auf Staatsexamen noch einmal gewechselt, weil die Anforderungen im Schwimmen, die hätte ich nie geschafft, zumal ich ja gleichzeitig noch mein Leistungssporttraining hatte. Deshalb konnte ich nicht zusätzlich schwimmen. Ich habe mit Kurt Bendlin, dem Zehnkämpfer zusammen Schwimmen geübt. Wir haben hier das Schwimmbad schaumig geschlagen, aber kamen nicht vorwärts. Wir waren beide gleich schlecht begabt. Ich habe es dann irgendwie hingekriegt, hier meinen Schwimmschein zu machen. Aber diese Angelegenheit war ein bisschen anstrengend. Ansonsten hat mir das Sportstudium viel Spaß gemacht.“

  • … ihre Karriere als Basketballspielerin

    „Ich bin mit erst mit Basketball konfrontiert worden, als ich 1970 in Leverkusen trainiert habe. Einfach durch die konkrete Erfahrung, dass in der Halle über der Leichtathletikhalle eben Basketball gespielt wurde und ich durfte da mitspielen. Viel mehr Gedanken habe ich mir da nicht gemacht. In der Schule habe ich früher Volleyball gespielt und ich wollte eigentlich auch als Ausgleich Volleyball spielen. Aber das gab es in Leverkusen nicht. Das war dann ein Zufall, es gab halt Basketball und deshalb habe ich da Basketball gespielt. Mir war damals nicht bekannt, wie stark das verbreitet war oder eben nicht verbreitet war. Es gab wohl das Männerteam in Leverkusen, die ich glaube schon seit Anfang der Siebziger mit Hagedorn da gespielt haben. Insofern hatte ich als Zuschauerin da schon Kontakt zum Männerbasketball. Der Frauenbasketball hat sich, soweit ich mich erinnere, dann da erst entwickelt. Hagedorn hat er sehr viel gemacht. Der Schmidt, der war ja auch hier an der Sporthochschule, der war damals auch der Trainer. Also im Grunde genommen bin ich mit dem Basketball sozusagen hochgewachsen.
    Also in den 1970er-Jahren war das Niveau im Basketball sicherlich noch nicht so hoch, wie es heute ist. Das war ja noch in der Entwicklung. Es gab wohl schon vorher Deutsche Meisterschaften. Schon in den Siebzigern war Göttingen sehr stark. Aber nachdem wir in der Bundesliga waren, ging das relativ schnell aufwärts, sodass wir auch Pokalsieger waren. Ich glaube, 1976/77 haben wir den Pokal mit Leverkusen gewonnen und ich glaube 1978 die Deutschen Meisterschaften. Ich würde insgesamt sagen, dass das Niveau auf jeden Fall nicht so professionell war. Es wurde zwei Mal die Woche trainiert oder drei Mal die Woche trainiert, auch in der Bundesliga. Das hat sich ja schon in den 80er-Jahren verschoben. Ich war einfach von der Physis her den anderen so überlegen, dass meine technischen Mängel, die ich am Anfang noch hatte, dadurch ausgeglichen wurden.
    Ich habe 1978 zunächst aufgehört mit dem Basketball, habe aber dann 1980 wieder bei Agon Düsseldorf angefangen. Und da war also ein Qualitätssprung nach oben. Also Agon Düsseldorf hat erst einmal national die besten Spielerinnen konzentriert und dann auch international. Es haben bei uns auch Amerikanerinnen gespielt. Wir hatten dann auch mit Tony DiLeo einen amerikanischen Trainer. Und da ist das Niveau sehr stark angezogen, also vom Ende der 70er- zum Anfang der 80er-Jahre. Ich habe ja dann von 1979 bis 1983 bei Agon Düsseldorf gespielt und da war das Niveau auch international ziemlich gut. Da hat ja auch Ana Aszalos gespielt, die hat später den Tony DiLeo geheiratet. Die kam aus Rumänien, hat dann die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, sodass wir also dann noch zwei Amerikanerinnen hatten, die auch spielten. Also insgesamt drei international sehr hochkarätig Spielerinnen. Die waren eigentlich auch alle für die Olympischen Spiele nominiert gewesen und da war das Niveau auch international sehr hoch.“

  • … verschiede Ansätze zum Unterrichten des Schulfaches Sport in den 1980er-Jahren

    „Was das Curriculum angeht, ist es ja sehr weit weggegangen von der Sportartenorientierung hin zur Kompetenzorientierung. Da hatte sich schon eine Menge getan. Wobei das von den einzelnen Lehrkräften natürlich sehr abhängt. Es gibt Lehrkräfte, die wirklich kompetenzorientiert unterrichten und es gibt Lehrkräfte, die unterrichten nach wie vor sportartenorientiert.
    Was die Schülerinnen und Schüler angeht, glaube ich, dass da in meiner Wahrnehmung eine größere Breite eingetreten ist. Am Anfang war die Mehrzahl der Jungen doch sehr Fußball orientiert. Und alles andere hat eigentlich nicht besonders interessiert, in Leverkusen vielleicht noch ein bisschen Basketball. Das hat sich heute schon breiter aufgefächert, würde ich sagen. Und auch die Differenzen zwischen den Geschlechtern haben sich mehr verschwommen. Es gibt nach wie vor natürlich die extrem männlich konnotierten Sportarten und die extremen weiblich konnotierten. Aber insgesamt hat sich das im Laufe der Jahre mehr verwischt.
    Wobei wir in Leverkusen ein neues Konzept entwickelt haben für die Oberstufe. Wir haben da Wahlkurse eingerichtet, die teils nach Sportarten orientiert waren und teils aber auch nach der Ausrichtung, mit der die Schüler den Sport betrieben haben. Wir haben zum Beispiel abgefragt: ‚Machst du Sport vor allen Dingen gerne im Wettkampfmodus oder machst du es vor allen Dingen gesundheitsorientiert?‘ Wir haben dann danach vier Gruppen zusammengestellt und daraus hat sich dann auch ein Curriculum entwickelt. Und das hat sich sehr positiv entwickelt. Es war meistens so, dass ein Kurs zustande kam, der sehr auf Gymnastik, Tanz und Gesundheit fixiert war und einer, der gemischt war. Und die haben vor allen Dingen Volleyball gespielt. Und ein Kurs, der sehr stark auf Ballspiele orientiert und wettkampforientiert war. Und das hat sich eigentlich als sehr positiv herausgestellt, wobei wir in allen Kursen alle Inhalte gemacht haben, aber trotzdem sozusagen das Klientel homogener war.“

  • … ihr Interesse an den Themen Geschlechterfragen und Sexualität im Sport

    „Das Thema Geschlecht begleitet mich eigentlich, seitdem ich denken kann. Ich habe mich als Kind schon immer mit diesen Fragen beschäftigt. Ich erinnere mich an so einige Sachen. Zum Beispiel diese Geschichte mit dem VW:
    Ein roter VW steht vor der Straßenbahnschranke und es sitzt eine Frau am Steuer und ein Mann daneben. Da war ich fünf Jahre alt. Ich weiß das deshalb, weil wir später umgezogen sind, und ich habe mich immer gefragt, wie kann das sein? Ich kannte das, dass Frauen Auto fahren, aber nur, wenn keine Männer dabei waren. Und dann dachte ich, das ist komisch. Daher weiß ich, dass ich mich da immer schon mit beschäftigt habe. Wer macht was? Und wer darf was? Und wer darf was nicht? Mich hat auch immer schon gestört, dass ich viele Dinge nicht tun sollte. Also ich kriegte noch so Sachen gesagt wie: ‚Mädchen, die pfeifen und Hähne, die krähen, denen muss man beizeiten die Hälse umdrehen.‘
    Solche Sprüche habe ich noch gehört. Und es war auch bei uns an Volksschule sehr klar bestimmt, was Mädchen dürfen und was Jungen dürfen oder vor allen Dingen, was ich nicht darf. Und das hat mich immer schon gestört. Und von daher ist das eine Auseinandersetzung, die immer so parallel lief. Anfang der 80er-Jahre habe ich mich in eine Frau verliebt und habe dann lesbisch gelebt. Und habe das eben festgestellt und kannte sehr viele Frauen, die lesbisch waren. Es wurde drüber geredet, aber man redete nicht miteinander. Das war ganz komisch, das kann man sich heute gar nicht vorstellen. Das war ein absolutes Tabu. Es wurde nicht darüber gesprochen, noch nicht mal getuschelt. Es war einfach kein Thema. Und als ich dann selber lesbisch lebte, da habe ich gedacht, das ist komisch. Ich möchte aber eigentlich ins Gespräch kommen. Ich möchte darüber reden und bin dann auf die Idee gekommen, ich könnte ja Interviews mit lesbischen Leistungssportlerinnen führen. Zunächst einmal gar nicht als Dissertation geplant, ich wollte da ein Buch darüber machen oder einfach mal Gespräche führen. Dann habe ich angefangen, so narrative Tiefeninterviews zu führen. Das ging auch sehr schnell über ein Schneeballsystem. Ich habe zwei gefragt, ich hätte schließlich Hunderte Interviews führen können. Es ging also völlig problemlos. Und als ich schon so zwei, drei, vier Interviews geführt hatte, habe ich zufällig mit Michael Klein gesprochen.
    Und der hat mich dann gefragt, ob ich da nicht Dissertation daraus machen will. Und dann habe ich versucht, das eben noch einmal wissenschaftlich anders zu untermauern. Ich habe mir auch noch einmal die Interviewtechniken genauer angeguckt. Ich hatte inzwischen schon eine sozialtherapeutische Ausbildung gemacht und war von daher auch in Gesprächsführung geschult. Und ja, ich habe das dann noch theoretisch anders untermauert und immer weiter Interviews geführt. Solange, bis im Grunde genommen das Wissen dann gesättigt war. 1989 habe ich dann meine Dissertation abgeschlossen. Ein Dissertationsstudium habe ich eigentlich nicht gemacht. Ich habe es immer so nebenbei mehr oder minder freiberuflich gemacht.“

  • … Formen sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Sport

    „Ich habe auch Gewalt von Zuschauern mitbekommen. Ein Beispiel: Wir haben bei den Europameisterschaften gegen Dänemark gespielt. Die Däninnen trugen damals keine BHs, weil das wohl in Dänemark nicht üblich war. Die haben sich gar nichts dabei gedacht. Das war in Italien. Und das Publikum johlte also jedes Mal, wenn bestimmte Däninnen mit einer größeren Oberweite den Ball kriegten. Wir haben es am Anfang gar nicht verstanden. Bis mir klar wurde, es geht hier überhaupt nicht um unseren Sport, der Sport spielt überhaupt keine Rolle, sondern es geht um etwas ganz anderes. Und das fand ich schon sehr entwürdigend, weil ja klar war, dass die Zuschauer nicht des Sports wegen da waren, sondern um sich Frauenkörper anzugucken. Das ist jetzt so ein Beispiel von der sexualisierten Gewalt, die von Zuschauern ausging.

    Andere Beispiele: Natürlich habe ich Trainer erlebt, Schiedsrichter erlebt, die mit Mitspielerinnen sexuelle Beziehung eingegangen sind. Da kann man natürlich sagen, dass es Abhängigkeitsverhältnisse sind. Gut, die waren erwachsen. Aber man kann es so oder so bewerten. Ich habe auch mitgekriegt, dass in der Leichtathletik Trainer Beziehungen zu Sportlerinnen hatten. Und das da durchaus Abhängigkeitsverhältnisse bestanden. Gerade in dem Wurfbereich, wo es dann so war, dass die Diskuswerferin oder Kugelstoßerinnen ja darunter litten, dass sie als Frau nicht anerkannt wurden aufgrund ihrer Sportart. Das dann der Trainer mit ihnen sexuelle Beziehungen einging, um sozusagen ihre Weiblichkeit zu bestätigen. Also solche Sachen habe ich schon mitgekriegt. Die habe ich aber damals nicht in dem Maße reflektiert, wie ich sie dann hinterher reflektiert habe. Mal abgesehen von so blöden sexistischen Witzen oder so was, die damals gang und gäbe waren. Oder auch dem Ausschluss von Frauen aus bestimmten Sportarten. Auch das habe ich noch mitgekriegt – übrigens auch hier auch an der Sporthochschule.
    Ich habe dafür gekämpft, dass Frauen den Fußballlehrgang machen durften. Ich war die erste Frau, die hier am Fußballlehrgang teilnehmen durfte. Was insofern allerdings ziemlich beschissen war, ich kann nämlich überhaupt kein Fußball spielen und ich habe mich dann da so blöd angestellt, dass ich den Frauen dann so gesehen, dann damals keinen Dienst erwiesen habe. Aber es ging mir ums Prinzip.“

Von der Kugelstoßerin zur Körbewerferin

Eigenerfahrungen sexualisierter Gewalt

Engagement als Sportlerin für den Frieden

Studie: Identität und Existenz als
lesbische Frau im Sport

Pilotstudie: Sexualisierte Gewalt im Sport


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